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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Treitschkes Deutsche Geschichte.

Ich bekenne, daß ich dieser kurz angebundenen Erledigung nicht beipflichten
kann, und indem ich es übernommen habe, den Lesern dieser Zeitschrift von dem
Erscheinen des Buches Kunde zu geben, kann ich den Ausdruck des Bedauerns
nicht zurückhalten über das oben bezeichnete kritische Verfahren, welches ich un¬
billig und nur zum kleinsten Teile gerechtfertigt finde.

Es hat gewiß jedermann das formelle Recht, seine Meinung über ein Buch
zu sagen, welches mit seinem Erscheinen sich der öffentlichen Beurteilung dar¬
bietet. Für ein so hastiges Vordrängen mit einem (für einen großen Teil des
Buches wenigstens) summarisch verwerfenden Urteil indeß wird man besonders
augenfällige und zwingende Gründe vorzuführen haben, welche ein solches Auf¬
treten rechtfertigen oder vielleicht gar zur Pflicht machen. Diese Gründe können
entweder gegeben sein in der vollständigen Nichtigkeit einer Leistung, welche so
schnell als möglich bei Seite geworfen werden soll, oder in irgend einer Art
von Gemeinschädlichkcit, deren Wirkungen man schleunigst vorbeugen zu müssen
glaubt. In der That hat sich auch Baumgarten dieser Anforderung nicht ent¬
zogen, sondern in einer Reihe von Spezialansführungen nachzuweisen unter¬
nommen, daß Treitschkes Forschung ungenügend sei, daß er, verleitet von seiner
nltrapreußischen Einseitigkeit, eine Reihe von Sünden gegen die historische Ge¬
rechtigkeit begangen habe, durch welche sein Werk auf das Niveau einer publi¬
zistischen Parteischrift herabgedrückt werde. Man mußte nach den schallenden
Trompetenstößen des ersten Artikels auf ganz vernichtende thatsächliche Ent¬
hüllungen gefaßt sein.

Wenn ich nun überblicke, was Baumgarten in den folgenden Aufsätzen von
wirklich durchschlagenden Nachweisen und Berichtigungen im einzelnen beigebracht
hat, so muß ich bekennen, daß durch dieselben der siegesgewisse Ton seiner Heraus¬
forderung nicht im mindesten gerechtfertigt erscheint. Wenn nichts schlagenderes
vorgebracht werden konnte, so hatte die Sache jedenfalls keine so große Eile;
manches wäre wohl auch geeigneter für die Besprechung in einer Fachzeitschrift
gewesen. Die einzelnen behandelten Punkte sind zum Teil solche, über welche
eine begründete Meinungsverschiedenheit bei dem gegenwärtigen Stande unsrer
Kenntnis und bei der Beschaffenheit des vorhandenen Materials sehr wohl be¬
stehen kann; bei einigen bin ich für meinen Teil der entschiedenen Meinung, daß
der Kritiker es war, welcher fehlgegriffen hat. Übrigens habe ich die erfreuliche
Beobachtung gemacht, daß bei dem nicht sachkundigen Publikum, für welches die
Artikel ja in erster Reihe bestimmt waren, die am ungenügendsten begründeten
Vorwürfe den stärksten Eindruck machten.

Ich habe nicht die Absicht, das Für und Wider aller zwischen den beiden
Gegnern erörterten Streitpunkte hier nochmals zu rekapituliren und gehe nur ans
einzelnes etwas näher ein. Wenn Treitschke dem Vorwurfe, daß er das Wiener
Archiv nicht benutzt habe, die Mitteilung entgegenhält (die er ja vielleicht auch
in der Vorrede hätte machen können, vielleicht aber aus guten Gründen nicht


Treitschkes Deutsche Geschichte.

Ich bekenne, daß ich dieser kurz angebundenen Erledigung nicht beipflichten
kann, und indem ich es übernommen habe, den Lesern dieser Zeitschrift von dem
Erscheinen des Buches Kunde zu geben, kann ich den Ausdruck des Bedauerns
nicht zurückhalten über das oben bezeichnete kritische Verfahren, welches ich un¬
billig und nur zum kleinsten Teile gerechtfertigt finde.

Es hat gewiß jedermann das formelle Recht, seine Meinung über ein Buch
zu sagen, welches mit seinem Erscheinen sich der öffentlichen Beurteilung dar¬
bietet. Für ein so hastiges Vordrängen mit einem (für einen großen Teil des
Buches wenigstens) summarisch verwerfenden Urteil indeß wird man besonders
augenfällige und zwingende Gründe vorzuführen haben, welche ein solches Auf¬
treten rechtfertigen oder vielleicht gar zur Pflicht machen. Diese Gründe können
entweder gegeben sein in der vollständigen Nichtigkeit einer Leistung, welche so
schnell als möglich bei Seite geworfen werden soll, oder in irgend einer Art
von Gemeinschädlichkcit, deren Wirkungen man schleunigst vorbeugen zu müssen
glaubt. In der That hat sich auch Baumgarten dieser Anforderung nicht ent¬
zogen, sondern in einer Reihe von Spezialansführungen nachzuweisen unter¬
nommen, daß Treitschkes Forschung ungenügend sei, daß er, verleitet von seiner
nltrapreußischen Einseitigkeit, eine Reihe von Sünden gegen die historische Ge¬
rechtigkeit begangen habe, durch welche sein Werk auf das Niveau einer publi¬
zistischen Parteischrift herabgedrückt werde. Man mußte nach den schallenden
Trompetenstößen des ersten Artikels auf ganz vernichtende thatsächliche Ent¬
hüllungen gefaßt sein.

Wenn ich nun überblicke, was Baumgarten in den folgenden Aufsätzen von
wirklich durchschlagenden Nachweisen und Berichtigungen im einzelnen beigebracht
hat, so muß ich bekennen, daß durch dieselben der siegesgewisse Ton seiner Heraus¬
forderung nicht im mindesten gerechtfertigt erscheint. Wenn nichts schlagenderes
vorgebracht werden konnte, so hatte die Sache jedenfalls keine so große Eile;
manches wäre wohl auch geeigneter für die Besprechung in einer Fachzeitschrift
gewesen. Die einzelnen behandelten Punkte sind zum Teil solche, über welche
eine begründete Meinungsverschiedenheit bei dem gegenwärtigen Stande unsrer
Kenntnis und bei der Beschaffenheit des vorhandenen Materials sehr wohl be¬
stehen kann; bei einigen bin ich für meinen Teil der entschiedenen Meinung, daß
der Kritiker es war, welcher fehlgegriffen hat. Übrigens habe ich die erfreuliche
Beobachtung gemacht, daß bei dem nicht sachkundigen Publikum, für welches die
Artikel ja in erster Reihe bestimmt waren, die am ungenügendsten begründeten
Vorwürfe den stärksten Eindruck machten.

Ich habe nicht die Absicht, das Für und Wider aller zwischen den beiden
Gegnern erörterten Streitpunkte hier nochmals zu rekapituliren und gehe nur ans
einzelnes etwas näher ein. Wenn Treitschke dem Vorwurfe, daß er das Wiener
Archiv nicht benutzt habe, die Mitteilung entgegenhält (die er ja vielleicht auch
in der Vorrede hätte machen können, vielleicht aber aus guten Gründen nicht


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/243>, abgerufen am 25.08.2024.