Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Das Manifest des Prinzen Napoleon.

Bestimmungen des Konkordats das Heil zu finden sei. Hier kann der Prinz
auf Beifall bei einem großen Teile der Franzosen rechnen; denn die in letzter
Zeit von der Regierung adoptirte Politik hat sehr viele vor den Kopf gestoßen
und in ihren Gefühlen verletzt. Ein weiterer Zug des Manifestes ist ein stark
markirtes Hinneigen zu sozialistischen Grundgedanken/ das ans den Beifall der
Roten berechnet ist. Im übrigen ist das Netz, mit welchem Anhänger eingefangen
werden sollen, ziemlich weit ausgebreitet. Der Prinz sagt "seinen Mitbürgern,"
daß Frankreich "sich verzehrt," daß es keine Regierung hat, daß es mit den
Finanzen übel bestellt, daß die Verwaltung diskreditirt ist, daß die richterlichen
Behörden das Verständnis für ihre Aufgabe verloren haben. Die auswärtige
Politik läßt die Schwachen im Stiche, sie hat in Tunis Spekulanten gedient,
und sie ist in Ägypten thöricht und feig Verfahren. Der Fehler liegt (eine durch¬
aus richtige Bemerkung) an den parlamentarischen Einrichtungen, das Heilmittel
in der Wahl eines obersten Beamten durch das Volk. Hinter dem Ganzen
steht, dünn verhüllt durch die Behauptung, daß Prinz Jerome eine bestimmte
Sache und ein Prinzip vertrete, das Verlangen nach persönlicher Beförderung.
Kurz, das Manifest ist nur ein neues Glied in der langen Reihe demagogischer
Adressen an das Volk, mit welcher die Bonapartes seit dem Anfange dieses Jahr¬
hunderts sich bei den Franzosen zu insinuiren versucht haben.

Die französische Republik hat bis jetzt das Glück gehabt, nur ohnmächtige
und wenig geschickte Gegner zu haben. Das gilt wie vom Prinzen Jerome
so auch voni Grafen Chambord, der sich gute Aussichten mit starrköpfigen Fest¬
halten an der weißen Fahne verdarb, und vom Grafen von Paris, der jenem
seine Ansprüche opferte und nun mit ihm steht und fällt. Aber dieses Glück
hat auch seine Schattenseite gehabt, es hat die Republikaner uneinig gemacht.
Nicht ernstlich bedroht durch Prätendenten, befehdeten sich die verschiednen Frak¬
tionen der Partei. Sie konnten sichs unter den obwaltenden Umständen ja
gestatten, es gab in der Kammer kein Gegengewicht, wie es eine starke Oppo¬
sition bildet. Infolge dessen vergaß man republikanischerscits nicht bloß die
Pflicht des Zusammenhaltens, sondern auch die der Mäßigung in den Zielen.
Sozialisten, extreme Kirchenfeinde, Verfechter unausführbarer Theorien, Leute,
die kein stehendes Heer und keinen permanent eingesetzten Richterstand wollten,
sahen eine vortreffliche Gelegenheit vor sich, ihre Ansichten zu verwirklichen.
Hütte es eine starke Opposition gegen die Republik gegeben, wäre ein Prätendent
mit guten Aussichten vorhanden gewesen, so würde man verpflichtet gewesen
sein, sich maßvoll und vorsichtig zu verhalten. Man würde dann nicht ohne
Not die religiösen Gefühle eines großen Teiles des Volkes verletzt haben, man
würde uach außen hin fest und würdig aufgetreten sein, man würde die Ge¬
rechtigkeitspflege, das Eigentum und die persönlichen Rechte mehr geachtet haben.
Wäre Prinz Jerome imstande, einen Aufstand hervorzurufen oder auch nur
länger Aufsehen zu machen, so würde sein jetziger pcipieruer Staatsstreich der


Das Manifest des Prinzen Napoleon.

Bestimmungen des Konkordats das Heil zu finden sei. Hier kann der Prinz
auf Beifall bei einem großen Teile der Franzosen rechnen; denn die in letzter
Zeit von der Regierung adoptirte Politik hat sehr viele vor den Kopf gestoßen
und in ihren Gefühlen verletzt. Ein weiterer Zug des Manifestes ist ein stark
markirtes Hinneigen zu sozialistischen Grundgedanken/ das ans den Beifall der
Roten berechnet ist. Im übrigen ist das Netz, mit welchem Anhänger eingefangen
werden sollen, ziemlich weit ausgebreitet. Der Prinz sagt „seinen Mitbürgern,"
daß Frankreich „sich verzehrt," daß es keine Regierung hat, daß es mit den
Finanzen übel bestellt, daß die Verwaltung diskreditirt ist, daß die richterlichen
Behörden das Verständnis für ihre Aufgabe verloren haben. Die auswärtige
Politik läßt die Schwachen im Stiche, sie hat in Tunis Spekulanten gedient,
und sie ist in Ägypten thöricht und feig Verfahren. Der Fehler liegt (eine durch¬
aus richtige Bemerkung) an den parlamentarischen Einrichtungen, das Heilmittel
in der Wahl eines obersten Beamten durch das Volk. Hinter dem Ganzen
steht, dünn verhüllt durch die Behauptung, daß Prinz Jerome eine bestimmte
Sache und ein Prinzip vertrete, das Verlangen nach persönlicher Beförderung.
Kurz, das Manifest ist nur ein neues Glied in der langen Reihe demagogischer
Adressen an das Volk, mit welcher die Bonapartes seit dem Anfange dieses Jahr¬
hunderts sich bei den Franzosen zu insinuiren versucht haben.

Die französische Republik hat bis jetzt das Glück gehabt, nur ohnmächtige
und wenig geschickte Gegner zu haben. Das gilt wie vom Prinzen Jerome
so auch voni Grafen Chambord, der sich gute Aussichten mit starrköpfigen Fest¬
halten an der weißen Fahne verdarb, und vom Grafen von Paris, der jenem
seine Ansprüche opferte und nun mit ihm steht und fällt. Aber dieses Glück
hat auch seine Schattenseite gehabt, es hat die Republikaner uneinig gemacht.
Nicht ernstlich bedroht durch Prätendenten, befehdeten sich die verschiednen Frak¬
tionen der Partei. Sie konnten sichs unter den obwaltenden Umständen ja
gestatten, es gab in der Kammer kein Gegengewicht, wie es eine starke Oppo¬
sition bildet. Infolge dessen vergaß man republikanischerscits nicht bloß die
Pflicht des Zusammenhaltens, sondern auch die der Mäßigung in den Zielen.
Sozialisten, extreme Kirchenfeinde, Verfechter unausführbarer Theorien, Leute,
die kein stehendes Heer und keinen permanent eingesetzten Richterstand wollten,
sahen eine vortreffliche Gelegenheit vor sich, ihre Ansichten zu verwirklichen.
Hütte es eine starke Opposition gegen die Republik gegeben, wäre ein Prätendent
mit guten Aussichten vorhanden gewesen, so würde man verpflichtet gewesen
sein, sich maßvoll und vorsichtig zu verhalten. Man würde dann nicht ohne
Not die religiösen Gefühle eines großen Teiles des Volkes verletzt haben, man
würde uach außen hin fest und würdig aufgetreten sein, man würde die Ge¬
rechtigkeitspflege, das Eigentum und die persönlichen Rechte mehr geachtet haben.
Wäre Prinz Jerome imstande, einen Aufstand hervorzurufen oder auch nur
länger Aufsehen zu machen, so würde sein jetziger pcipieruer Staatsstreich der


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0239" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/151788"/>
          <fw type="header" place="top"> Das Manifest des Prinzen Napoleon.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_784" prev="#ID_783"> Bestimmungen des Konkordats das Heil zu finden sei. Hier kann der Prinz<lb/>
auf Beifall bei einem großen Teile der Franzosen rechnen; denn die in letzter<lb/>
Zeit von der Regierung adoptirte Politik hat sehr viele vor den Kopf gestoßen<lb/>
und in ihren Gefühlen verletzt. Ein weiterer Zug des Manifestes ist ein stark<lb/>
markirtes Hinneigen zu sozialistischen Grundgedanken/ das ans den Beifall der<lb/>
Roten berechnet ist. Im übrigen ist das Netz, mit welchem Anhänger eingefangen<lb/>
werden sollen, ziemlich weit ausgebreitet. Der Prinz sagt &#x201E;seinen Mitbürgern,"<lb/>
daß Frankreich &#x201E;sich verzehrt," daß es keine Regierung hat, daß es mit den<lb/>
Finanzen übel bestellt, daß die Verwaltung diskreditirt ist, daß die richterlichen<lb/>
Behörden das Verständnis für ihre Aufgabe verloren haben. Die auswärtige<lb/>
Politik läßt die Schwachen im Stiche, sie hat in Tunis Spekulanten gedient,<lb/>
und sie ist in Ägypten thöricht und feig Verfahren. Der Fehler liegt (eine durch¬<lb/>
aus richtige Bemerkung) an den parlamentarischen Einrichtungen, das Heilmittel<lb/>
in der Wahl eines obersten Beamten durch das Volk. Hinter dem Ganzen<lb/>
steht, dünn verhüllt durch die Behauptung, daß Prinz Jerome eine bestimmte<lb/>
Sache und ein Prinzip vertrete, das Verlangen nach persönlicher Beförderung.<lb/>
Kurz, das Manifest ist nur ein neues Glied in der langen Reihe demagogischer<lb/>
Adressen an das Volk, mit welcher die Bonapartes seit dem Anfange dieses Jahr¬<lb/>
hunderts sich bei den Franzosen zu insinuiren versucht haben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_785" next="#ID_786"> Die französische Republik hat bis jetzt das Glück gehabt, nur ohnmächtige<lb/>
und wenig geschickte Gegner zu haben. Das gilt wie vom Prinzen Jerome<lb/>
so auch voni Grafen Chambord, der sich gute Aussichten mit starrköpfigen Fest¬<lb/>
halten an der weißen Fahne verdarb, und vom Grafen von Paris, der jenem<lb/>
seine Ansprüche opferte und nun mit ihm steht und fällt. Aber dieses Glück<lb/>
hat auch seine Schattenseite gehabt, es hat die Republikaner uneinig gemacht.<lb/>
Nicht ernstlich bedroht durch Prätendenten, befehdeten sich die verschiednen Frak¬<lb/>
tionen der Partei. Sie konnten sichs unter den obwaltenden Umständen ja<lb/>
gestatten, es gab in der Kammer kein Gegengewicht, wie es eine starke Oppo¬<lb/>
sition bildet. Infolge dessen vergaß man republikanischerscits nicht bloß die<lb/>
Pflicht des Zusammenhaltens, sondern auch die der Mäßigung in den Zielen.<lb/>
Sozialisten, extreme Kirchenfeinde, Verfechter unausführbarer Theorien, Leute,<lb/>
die kein stehendes Heer und keinen permanent eingesetzten Richterstand wollten,<lb/>
sahen eine vortreffliche Gelegenheit vor sich, ihre Ansichten zu verwirklichen.<lb/>
Hütte es eine starke Opposition gegen die Republik gegeben, wäre ein Prätendent<lb/>
mit guten Aussichten vorhanden gewesen, so würde man verpflichtet gewesen<lb/>
sein, sich maßvoll und vorsichtig zu verhalten. Man würde dann nicht ohne<lb/>
Not die religiösen Gefühle eines großen Teiles des Volkes verletzt haben, man<lb/>
würde uach außen hin fest und würdig aufgetreten sein, man würde die Ge¬<lb/>
rechtigkeitspflege, das Eigentum und die persönlichen Rechte mehr geachtet haben.<lb/>
Wäre Prinz Jerome imstande, einen Aufstand hervorzurufen oder auch nur<lb/>
länger Aufsehen zu machen, so würde sein jetziger pcipieruer Staatsstreich der</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0239] Das Manifest des Prinzen Napoleon. Bestimmungen des Konkordats das Heil zu finden sei. Hier kann der Prinz auf Beifall bei einem großen Teile der Franzosen rechnen; denn die in letzter Zeit von der Regierung adoptirte Politik hat sehr viele vor den Kopf gestoßen und in ihren Gefühlen verletzt. Ein weiterer Zug des Manifestes ist ein stark markirtes Hinneigen zu sozialistischen Grundgedanken/ das ans den Beifall der Roten berechnet ist. Im übrigen ist das Netz, mit welchem Anhänger eingefangen werden sollen, ziemlich weit ausgebreitet. Der Prinz sagt „seinen Mitbürgern," daß Frankreich „sich verzehrt," daß es keine Regierung hat, daß es mit den Finanzen übel bestellt, daß die Verwaltung diskreditirt ist, daß die richterlichen Behörden das Verständnis für ihre Aufgabe verloren haben. Die auswärtige Politik läßt die Schwachen im Stiche, sie hat in Tunis Spekulanten gedient, und sie ist in Ägypten thöricht und feig Verfahren. Der Fehler liegt (eine durch¬ aus richtige Bemerkung) an den parlamentarischen Einrichtungen, das Heilmittel in der Wahl eines obersten Beamten durch das Volk. Hinter dem Ganzen steht, dünn verhüllt durch die Behauptung, daß Prinz Jerome eine bestimmte Sache und ein Prinzip vertrete, das Verlangen nach persönlicher Beförderung. Kurz, das Manifest ist nur ein neues Glied in der langen Reihe demagogischer Adressen an das Volk, mit welcher die Bonapartes seit dem Anfange dieses Jahr¬ hunderts sich bei den Franzosen zu insinuiren versucht haben. Die französische Republik hat bis jetzt das Glück gehabt, nur ohnmächtige und wenig geschickte Gegner zu haben. Das gilt wie vom Prinzen Jerome so auch voni Grafen Chambord, der sich gute Aussichten mit starrköpfigen Fest¬ halten an der weißen Fahne verdarb, und vom Grafen von Paris, der jenem seine Ansprüche opferte und nun mit ihm steht und fällt. Aber dieses Glück hat auch seine Schattenseite gehabt, es hat die Republikaner uneinig gemacht. Nicht ernstlich bedroht durch Prätendenten, befehdeten sich die verschiednen Frak¬ tionen der Partei. Sie konnten sichs unter den obwaltenden Umständen ja gestatten, es gab in der Kammer kein Gegengewicht, wie es eine starke Oppo¬ sition bildet. Infolge dessen vergaß man republikanischerscits nicht bloß die Pflicht des Zusammenhaltens, sondern auch die der Mäßigung in den Zielen. Sozialisten, extreme Kirchenfeinde, Verfechter unausführbarer Theorien, Leute, die kein stehendes Heer und keinen permanent eingesetzten Richterstand wollten, sahen eine vortreffliche Gelegenheit vor sich, ihre Ansichten zu verwirklichen. Hütte es eine starke Opposition gegen die Republik gegeben, wäre ein Prätendent mit guten Aussichten vorhanden gewesen, so würde man verpflichtet gewesen sein, sich maßvoll und vorsichtig zu verhalten. Man würde dann nicht ohne Not die religiösen Gefühle eines großen Teiles des Volkes verletzt haben, man würde uach außen hin fest und würdig aufgetreten sein, man würde die Ge¬ rechtigkeitspflege, das Eigentum und die persönlichen Rechte mehr geachtet haben. Wäre Prinz Jerome imstande, einen Aufstand hervorzurufen oder auch nur länger Aufsehen zu machen, so würde sein jetziger pcipieruer Staatsstreich der

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/239
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/239>, abgerufen am 03.07.2024.