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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Die Pflege der Monumenmlnmlerei in Preußen'

Ein nachträgliches "Zusammenstimmen," Retouchiren und nachhelfen wird immer
eitel Flickwerk bleiben.

Bei der Ausführung dieser großen Arbeit hatte Jenssen zunächst den un¬
schätzbaren Vorteil, daß er sich in allen Fragen, welche die künstlerische Gestal¬
tung und die malerische Ausführung seiner Kompositionen betrafen, unbeschränkt
sah. Nur die Stoffe waren ihm von den Geschichtskundigen der Stadt vor¬
geschrieben, Erfurts Geschichte ist recht bunt und kraus, arm an erhebenden
Momenten und desto reicher an Szenen der Erniedrigung, der Verwirrung und
der Gewaltthätigkeit, die gerade nicht dazu geeignet sind, die Phantasie eines
Künstlers zu schwungvollen Schöpfungen zu begeistern. Gleichwohl hat sich der
Maler mit großem Geschick seiner mißlichen Aufgabe entledigt. Wo der Inhalt
der Darstellung ihm keine Reize bot und wo keine hervorragenden Charaktere
oder doch wenigstens markige Volksthpen zu schildern waren, hat er der Farbe
vollste Freiheit gelassen und so dem Auge durch den satten Schein des Kolo¬
rits, durch die schillernde Pracht der Gewänder eine Zerstreuung, ein Wohl¬
gefallen geschaffen, welches der geistige Inhalt der Komposition nicht ge¬
währen kann. Und daß er dieses vermochte, daß er so stark in die Farbe gehen
konnte, verdankt er der in den kräftigsten Tönen gehaltenen Dekoration des
Saales, welche der Erfurter Stadtbaurat Spielhagen mit reich entwickeltem
Farbensinn geschaffen hat. Aus dunkel gebeizten Eichenholzrahmen leuchten die
Bilder heraus. Unter ihnen zieht sich ein reich geschnitztes Gestühl mit hin
einem Jntarsiafries darüber. Über den Gemälden sind in Lünetten die Bilder der
brandenburgisch-preußischen Regenten angebracht, und die dunkle Holzbeklcidung
der Decke ist durch eine ungemein schwungvolle, graziöse und leicht befiederte
Ornamentik, welche dem Dekorationsmaler Schayer verdankt wird, aufgelichtet.

Da die drei Wände, welche die neun Gemälde aufgenommen haben, in der
Mitte durch je eine Thür durchschnitten werden, mußte das Mittelbild eines
jeden Trio darnach gegliedert werden. Realistisch gehaltene Kompositionen waren
in diesen gebrochenen Flächen nicht gut anzubringen, und so entschied sich der
Maler für Darstellungen symbolisch-allegorischen Inhalts, welche nicht einen
bestimmten Moment aus der Geschichte der Stadt zur Anschauung bringen,
sondern ganze Epochen zusammenfassen oder in ihrer geistigen oder politischen
Bedeutung symbolisiren. Dadurch hat der Künstler zugleich einen wirksamen
Wechsel und eine gleichsam rhythmische Gliederung in die Bilderreihe hinein¬
gebracht. Dieselbe beginnt an der Nordseite mit der Predigt des heiligen Boni-
facius in der Wagweide bei Erfurt (719), durch welche die Erfurter zum
Christentum bekehrt wurden. Es folgt über der Thür und an den sich rechts
und links von derselben anschließenden Seiten die Darstellung der Schutzpatrone
Thüringens und Erfurts, der heiligen Elisabeth und des heiligen Martin, und
im Hintergrunde der Kinderkreuzzug, welcher sich auf das von dem goldigen
Grunde wie eine Vision, wie eine Fata Morgana abhebende Jerusalem zu be-


Die Pflege der Monumenmlnmlerei in Preußen'

Ein nachträgliches „Zusammenstimmen," Retouchiren und nachhelfen wird immer
eitel Flickwerk bleiben.

Bei der Ausführung dieser großen Arbeit hatte Jenssen zunächst den un¬
schätzbaren Vorteil, daß er sich in allen Fragen, welche die künstlerische Gestal¬
tung und die malerische Ausführung seiner Kompositionen betrafen, unbeschränkt
sah. Nur die Stoffe waren ihm von den Geschichtskundigen der Stadt vor¬
geschrieben, Erfurts Geschichte ist recht bunt und kraus, arm an erhebenden
Momenten und desto reicher an Szenen der Erniedrigung, der Verwirrung und
der Gewaltthätigkeit, die gerade nicht dazu geeignet sind, die Phantasie eines
Künstlers zu schwungvollen Schöpfungen zu begeistern. Gleichwohl hat sich der
Maler mit großem Geschick seiner mißlichen Aufgabe entledigt. Wo der Inhalt
der Darstellung ihm keine Reize bot und wo keine hervorragenden Charaktere
oder doch wenigstens markige Volksthpen zu schildern waren, hat er der Farbe
vollste Freiheit gelassen und so dem Auge durch den satten Schein des Kolo¬
rits, durch die schillernde Pracht der Gewänder eine Zerstreuung, ein Wohl¬
gefallen geschaffen, welches der geistige Inhalt der Komposition nicht ge¬
währen kann. Und daß er dieses vermochte, daß er so stark in die Farbe gehen
konnte, verdankt er der in den kräftigsten Tönen gehaltenen Dekoration des
Saales, welche der Erfurter Stadtbaurat Spielhagen mit reich entwickeltem
Farbensinn geschaffen hat. Aus dunkel gebeizten Eichenholzrahmen leuchten die
Bilder heraus. Unter ihnen zieht sich ein reich geschnitztes Gestühl mit hin
einem Jntarsiafries darüber. Über den Gemälden sind in Lünetten die Bilder der
brandenburgisch-preußischen Regenten angebracht, und die dunkle Holzbeklcidung
der Decke ist durch eine ungemein schwungvolle, graziöse und leicht befiederte
Ornamentik, welche dem Dekorationsmaler Schayer verdankt wird, aufgelichtet.

Da die drei Wände, welche die neun Gemälde aufgenommen haben, in der
Mitte durch je eine Thür durchschnitten werden, mußte das Mittelbild eines
jeden Trio darnach gegliedert werden. Realistisch gehaltene Kompositionen waren
in diesen gebrochenen Flächen nicht gut anzubringen, und so entschied sich der
Maler für Darstellungen symbolisch-allegorischen Inhalts, welche nicht einen
bestimmten Moment aus der Geschichte der Stadt zur Anschauung bringen,
sondern ganze Epochen zusammenfassen oder in ihrer geistigen oder politischen
Bedeutung symbolisiren. Dadurch hat der Künstler zugleich einen wirksamen
Wechsel und eine gleichsam rhythmische Gliederung in die Bilderreihe hinein¬
gebracht. Dieselbe beginnt an der Nordseite mit der Predigt des heiligen Boni-
facius in der Wagweide bei Erfurt (719), durch welche die Erfurter zum
Christentum bekehrt wurden. Es folgt über der Thür und an den sich rechts
und links von derselben anschließenden Seiten die Darstellung der Schutzpatrone
Thüringens und Erfurts, der heiligen Elisabeth und des heiligen Martin, und
im Hintergrunde der Kinderkreuzzug, welcher sich auf das von dem goldigen
Grunde wie eine Vision, wie eine Fata Morgana abhebende Jerusalem zu be-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/212>, abgerufen am 23.07.2024.