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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Zwei Shakespeare-Essays.

und zugleich den Giftbecher zu leeren gezwungen wird, ein predigthafter Vorhalt
über die Nichtswürdigkeit dieser Wahl doppelter Mordwerkzeuge und das über¬
reichlich Verdiente seines Geschicks liegen und Hamlets Wort über den Sterbenden
"Folg' meiner Mutter" soll "einen versöhnlichen Sinn haben," den Sterbenden
auf den ewigen Richter hinweisen und "in sein Erscheinen vor demselben mit
der durch ihre Selbstaufopferung bereits entführten Mutter einigen Trost auch
für ihn legen." Die Selbstaufopferung der Mutter? wird man verwundert
fragen. Ja, leider! Besser entwickelt in fein gemütvoller Weise, aber eben völlig
unhaltbar, den Gedanken, die Königin trinke aus dem Kelch mit Absicht und
wisse mithin um die Vergiftung. Das ist ein arger Mißgriff. Der König
konnte und durfte seine Gattin in den Plan unmöglich einweihen, denn sie
würde ihn nie gelitten haben. Er selbst sagt in der siebenten Szene des vierten
Akts zu Laertes, seinem einzigen Mitwisser und Mitthäter: "Seine Mutter, die
Königin, lebt fast von seinem Blick" und an einer andern Stelle derselben
Szene bei Erwähnung des Probestücks, das dem Neffen den Tod bringen soll:
"Es soll um seinen Tod kein Lüftchen Tadel wehn. Selbst seine Mutter spreche
los die List und nenne Zufall sie." Wie kann man gegen diese durch das
ganze Verhalten zwischen Mutter und Sohn besiegelten Worte taub sein?

Die blutlose Reinigungsidee wird nun überall gesucht und gefunden. Wenn
Hamlet in herzlicher Aufwallung den teuern, treuen Jugendfreund mit den
fröhlich gefärbten studentischen Worten grüßt: "Ihr sollt noch trinken lernen,
eh' ihr reist," dann soll nach Besser eine hohe sittliche Besonnenheit darin zu
finden und die traute Begrüßung mir ein hinterhältiger "Fühler sein, ob Horatio
wohl auch wie Laörtes zur Krönungs- statt zur Leichenfeier gekommen" sei.
Die Gebetsszene des Königs und Hamlets Verhalten während derselben wird
völlig auf den Kopf gestellt. Besser geht von der Voraussetzung ans, Hamlet
habe den Claudius "nach demi Willen der Vorsehung zuvörderst reuig zu
machen" und ihn erst "im Falle des Mißlingens zu richten." Ob dies dra¬
matisch wäre oder nicht, kümmert den Ausleger nicht; für ihn handelt es sich
nur um die Frage: "Wird Hamlet sich selbst überwinden?" ini Falle ihrer Be¬
jahung aber um die andre: "Wird der König bußfertig vom Gebet wiederauf¬
stehen?" Man erinnere sich des flüsternden Selbstgespräches Hamlets, während
der König am Betpulte kniet, um sich über die Entscheidung Bessers, Hamlet
habe sich hier sittlich überwunden, nach Gebühr zu wundern. Nach den klaren
Worten des Dichters steht der Prinz von der Führung des Todcsstreiches nur
darum ab, weil er dem König nicht die Wohlthat erweisen will, während des
Betens zu sterben und auf diese Weise gen Himmel zu fahren. "Das wäre
Sold und Löhnung, Rache nicht." Zu andrer Stunde soll er fallen, "wenn
er berauscht ist, schlafend, in der Wut, in seines Betts blutschänderischen
Freuden," kurzum bei einem Thun, "das keine Spur des Heiles an sich hat,"
damit die Rache ganz vollkommen werde. Das ist so bündig wie möglich, daran


Zwei Shakespeare-Essays.

und zugleich den Giftbecher zu leeren gezwungen wird, ein predigthafter Vorhalt
über die Nichtswürdigkeit dieser Wahl doppelter Mordwerkzeuge und das über¬
reichlich Verdiente seines Geschicks liegen und Hamlets Wort über den Sterbenden
„Folg' meiner Mutter" soll „einen versöhnlichen Sinn haben," den Sterbenden
auf den ewigen Richter hinweisen und „in sein Erscheinen vor demselben mit
der durch ihre Selbstaufopferung bereits entführten Mutter einigen Trost auch
für ihn legen." Die Selbstaufopferung der Mutter? wird man verwundert
fragen. Ja, leider! Besser entwickelt in fein gemütvoller Weise, aber eben völlig
unhaltbar, den Gedanken, die Königin trinke aus dem Kelch mit Absicht und
wisse mithin um die Vergiftung. Das ist ein arger Mißgriff. Der König
konnte und durfte seine Gattin in den Plan unmöglich einweihen, denn sie
würde ihn nie gelitten haben. Er selbst sagt in der siebenten Szene des vierten
Akts zu Laertes, seinem einzigen Mitwisser und Mitthäter: „Seine Mutter, die
Königin, lebt fast von seinem Blick" und an einer andern Stelle derselben
Szene bei Erwähnung des Probestücks, das dem Neffen den Tod bringen soll:
„Es soll um seinen Tod kein Lüftchen Tadel wehn. Selbst seine Mutter spreche
los die List und nenne Zufall sie." Wie kann man gegen diese durch das
ganze Verhalten zwischen Mutter und Sohn besiegelten Worte taub sein?

Die blutlose Reinigungsidee wird nun überall gesucht und gefunden. Wenn
Hamlet in herzlicher Aufwallung den teuern, treuen Jugendfreund mit den
fröhlich gefärbten studentischen Worten grüßt: „Ihr sollt noch trinken lernen,
eh' ihr reist," dann soll nach Besser eine hohe sittliche Besonnenheit darin zu
finden und die traute Begrüßung mir ein hinterhältiger „Fühler sein, ob Horatio
wohl auch wie Laörtes zur Krönungs- statt zur Leichenfeier gekommen" sei.
Die Gebetsszene des Königs und Hamlets Verhalten während derselben wird
völlig auf den Kopf gestellt. Besser geht von der Voraussetzung ans, Hamlet
habe den Claudius „nach demi Willen der Vorsehung zuvörderst reuig zu
machen" und ihn erst „im Falle des Mißlingens zu richten." Ob dies dra¬
matisch wäre oder nicht, kümmert den Ausleger nicht; für ihn handelt es sich
nur um die Frage: „Wird Hamlet sich selbst überwinden?" ini Falle ihrer Be¬
jahung aber um die andre: „Wird der König bußfertig vom Gebet wiederauf¬
stehen?" Man erinnere sich des flüsternden Selbstgespräches Hamlets, während
der König am Betpulte kniet, um sich über die Entscheidung Bessers, Hamlet
habe sich hier sittlich überwunden, nach Gebühr zu wundern. Nach den klaren
Worten des Dichters steht der Prinz von der Führung des Todcsstreiches nur
darum ab, weil er dem König nicht die Wohlthat erweisen will, während des
Betens zu sterben und auf diese Weise gen Himmel zu fahren. „Das wäre
Sold und Löhnung, Rache nicht." Zu andrer Stunde soll er fallen, „wenn
er berauscht ist, schlafend, in der Wut, in seines Betts blutschänderischen
Freuden," kurzum bei einem Thun, „das keine Spur des Heiles an sich hat,"
damit die Rache ganz vollkommen werde. Das ist so bündig wie möglich, daran


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[0144] Zwei Shakespeare-Essays. und zugleich den Giftbecher zu leeren gezwungen wird, ein predigthafter Vorhalt über die Nichtswürdigkeit dieser Wahl doppelter Mordwerkzeuge und das über¬ reichlich Verdiente seines Geschicks liegen und Hamlets Wort über den Sterbenden „Folg' meiner Mutter" soll „einen versöhnlichen Sinn haben," den Sterbenden auf den ewigen Richter hinweisen und „in sein Erscheinen vor demselben mit der durch ihre Selbstaufopferung bereits entführten Mutter einigen Trost auch für ihn legen." Die Selbstaufopferung der Mutter? wird man verwundert fragen. Ja, leider! Besser entwickelt in fein gemütvoller Weise, aber eben völlig unhaltbar, den Gedanken, die Königin trinke aus dem Kelch mit Absicht und wisse mithin um die Vergiftung. Das ist ein arger Mißgriff. Der König konnte und durfte seine Gattin in den Plan unmöglich einweihen, denn sie würde ihn nie gelitten haben. Er selbst sagt in der siebenten Szene des vierten Akts zu Laertes, seinem einzigen Mitwisser und Mitthäter: „Seine Mutter, die Königin, lebt fast von seinem Blick" und an einer andern Stelle derselben Szene bei Erwähnung des Probestücks, das dem Neffen den Tod bringen soll: „Es soll um seinen Tod kein Lüftchen Tadel wehn. Selbst seine Mutter spreche los die List und nenne Zufall sie." Wie kann man gegen diese durch das ganze Verhalten zwischen Mutter und Sohn besiegelten Worte taub sein? Die blutlose Reinigungsidee wird nun überall gesucht und gefunden. Wenn Hamlet in herzlicher Aufwallung den teuern, treuen Jugendfreund mit den fröhlich gefärbten studentischen Worten grüßt: „Ihr sollt noch trinken lernen, eh' ihr reist," dann soll nach Besser eine hohe sittliche Besonnenheit darin zu finden und die traute Begrüßung mir ein hinterhältiger „Fühler sein, ob Horatio wohl auch wie Laörtes zur Krönungs- statt zur Leichenfeier gekommen" sei. Die Gebetsszene des Königs und Hamlets Verhalten während derselben wird völlig auf den Kopf gestellt. Besser geht von der Voraussetzung ans, Hamlet habe den Claudius „nach demi Willen der Vorsehung zuvörderst reuig zu machen" und ihn erst „im Falle des Mißlingens zu richten." Ob dies dra¬ matisch wäre oder nicht, kümmert den Ausleger nicht; für ihn handelt es sich nur um die Frage: „Wird Hamlet sich selbst überwinden?" ini Falle ihrer Be¬ jahung aber um die andre: „Wird der König bußfertig vom Gebet wiederauf¬ stehen?" Man erinnere sich des flüsternden Selbstgespräches Hamlets, während der König am Betpulte kniet, um sich über die Entscheidung Bessers, Hamlet habe sich hier sittlich überwunden, nach Gebühr zu wundern. Nach den klaren Worten des Dichters steht der Prinz von der Führung des Todcsstreiches nur darum ab, weil er dem König nicht die Wohlthat erweisen will, während des Betens zu sterben und auf diese Weise gen Himmel zu fahren. „Das wäre Sold und Löhnung, Rache nicht." Zu andrer Stunde soll er fallen, „wenn er berauscht ist, schlafend, in der Wut, in seines Betts blutschänderischen Freuden," kurzum bei einem Thun, „das keine Spur des Heiles an sich hat," damit die Rache ganz vollkommen werde. Das ist so bündig wie möglich, daran

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/144>, abgerufen am 23.07.2024.