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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Die antiken Christenverfolgungen und der Kulturkampf.

Richtung der Zeit schnurstracks entgegenliefen. Die Schwierigkeiten, welche sich
allerorten erhuben, brachten Diocletian zu dem verhängnisvollen Schritte, die
Negierung niederzulegen. Er fühlte es, daß es vergeblich sei, das Schicksalsrad
aufzuhalten. Reue hat er über sein Vorgehen wohl nicht empfunden, als er
dann in Salona seinen Kohl baute; es war ein Versuch gewesen, die Unter¬
thanen des Reiches zu einer Grundanschauung zurückzuführen. Das Problem
sollte ganz anders gelöst werden, als wie Diocletian es versucht hatte.

Es sind schauderhafte Geschichten von dieser Verfolgung erzählt worden.
Darnach wären Legionen von Christen martervoll hingerichtet worden. In
neuerer Zeit hat man die Angaben der christlichen Schriftsteller -- die Gegen¬
partei ist in der Geschichte nicht zu Worte gekommen -- etwas gesichtet und
geprüft, und hat gefunden, daß die christlichen Schriftsteller sich -- gelinde aus¬
gedrückt -- großer Übertreibungen schuldig gemacht haben. Es reichen nämlich,
wenn man die offenbaren Erdichtungen abzieht, alle Strafen und Hinrichtungen,
welche vom Beginn des Christentums bis zur Regierung Konstantins von den
Heiden verhängt worden sind, lange nicht an das heran, was die alleinselig¬
machende Kirche geleistet hat. Bei der Verfolgung des Diocletian (deren
Verlauf, auch nach seiner Thronentsagung, im ganzen auf zehn Jahre ange¬
geben wird) sollen an 2000 Menschen verurteilt worden sein. Und diese Ver¬
folgung war die längste und blutigste. In den Niederlanden allein aber ver¬
loren nach Grotius etwa 150 000 das Leben, und zwar im Laufe einer
Regierung! Man vergleiche dies Fleckchen Land mit der Ausdehnung des rö¬
mischen Reiches! Man kann nun sagen, Grotius sei Partei gewesen, er habe zu
hohe Ziffern angegeben. Indessen lebte er doch in einer Zeit, in welcher die
Mittel, sich wahre Nachrichten zu verschaffen, viel zahlreicher waren als zur
Zeit der Christenverfolgungen; deshalb gilt die Parteilichkeit doch wohl mehr
von den Christen aus der römischen Zeit, welche den Grundsatz aussprachen
und befolgten, nichts zu sagen, was der Kirche schädlich werden könnte. Sie
befolgten dann später, als sich das Verhältnis im Römerreich umgedreht hatte,
den weitern Grundsatz, die nachteiligen Schriften der Gegner zu vernichten.
Daher kommt es eben, daß wir heute den Schriftstellern so wenig Glauben
schenken können, wenn sie uns von Hinrichtungen und Martern und Wundern er¬
zählen, zumal solche Erzählungen den Stempel einer blühenden Phantasie deut¬
lich an sich tragen. Hätten wir auch gegnerische Schriften von gebildeten Heiden,
wir würden besser daran sein, da wir die Angaben der einen durch die der
andern kontroliren könnten. Die Heiden, die ja das neue Religionssystem als
eine Art, die Gottheit zu verehren, nicht bloß bestehen ließen, sondern sogar in
ihr Religionssystem aufnahmen, waren gerechter gegen ihre Gegner als die Christen,
die ihren Glauben für durchaus notwendig zur Seligkeit hielten. Bei Verfolgungen
gingen die letzter" deshalb naturgemäß schärfer gegen Leib und Leben der Gegner
vor. Mochte der Leib zu Grunde gehen, wenn nur die Seele gerettet wurde.


Die antiken Christenverfolgungen und der Kulturkampf.

Richtung der Zeit schnurstracks entgegenliefen. Die Schwierigkeiten, welche sich
allerorten erhuben, brachten Diocletian zu dem verhängnisvollen Schritte, die
Negierung niederzulegen. Er fühlte es, daß es vergeblich sei, das Schicksalsrad
aufzuhalten. Reue hat er über sein Vorgehen wohl nicht empfunden, als er
dann in Salona seinen Kohl baute; es war ein Versuch gewesen, die Unter¬
thanen des Reiches zu einer Grundanschauung zurückzuführen. Das Problem
sollte ganz anders gelöst werden, als wie Diocletian es versucht hatte.

Es sind schauderhafte Geschichten von dieser Verfolgung erzählt worden.
Darnach wären Legionen von Christen martervoll hingerichtet worden. In
neuerer Zeit hat man die Angaben der christlichen Schriftsteller — die Gegen¬
partei ist in der Geschichte nicht zu Worte gekommen — etwas gesichtet und
geprüft, und hat gefunden, daß die christlichen Schriftsteller sich — gelinde aus¬
gedrückt — großer Übertreibungen schuldig gemacht haben. Es reichen nämlich,
wenn man die offenbaren Erdichtungen abzieht, alle Strafen und Hinrichtungen,
welche vom Beginn des Christentums bis zur Regierung Konstantins von den
Heiden verhängt worden sind, lange nicht an das heran, was die alleinselig¬
machende Kirche geleistet hat. Bei der Verfolgung des Diocletian (deren
Verlauf, auch nach seiner Thronentsagung, im ganzen auf zehn Jahre ange¬
geben wird) sollen an 2000 Menschen verurteilt worden sein. Und diese Ver¬
folgung war die längste und blutigste. In den Niederlanden allein aber ver¬
loren nach Grotius etwa 150 000 das Leben, und zwar im Laufe einer
Regierung! Man vergleiche dies Fleckchen Land mit der Ausdehnung des rö¬
mischen Reiches! Man kann nun sagen, Grotius sei Partei gewesen, er habe zu
hohe Ziffern angegeben. Indessen lebte er doch in einer Zeit, in welcher die
Mittel, sich wahre Nachrichten zu verschaffen, viel zahlreicher waren als zur
Zeit der Christenverfolgungen; deshalb gilt die Parteilichkeit doch wohl mehr
von den Christen aus der römischen Zeit, welche den Grundsatz aussprachen
und befolgten, nichts zu sagen, was der Kirche schädlich werden könnte. Sie
befolgten dann später, als sich das Verhältnis im Römerreich umgedreht hatte,
den weitern Grundsatz, die nachteiligen Schriften der Gegner zu vernichten.
Daher kommt es eben, daß wir heute den Schriftstellern so wenig Glauben
schenken können, wenn sie uns von Hinrichtungen und Martern und Wundern er¬
zählen, zumal solche Erzählungen den Stempel einer blühenden Phantasie deut¬
lich an sich tragen. Hätten wir auch gegnerische Schriften von gebildeten Heiden,
wir würden besser daran sein, da wir die Angaben der einen durch die der
andern kontroliren könnten. Die Heiden, die ja das neue Religionssystem als
eine Art, die Gottheit zu verehren, nicht bloß bestehen ließen, sondern sogar in
ihr Religionssystem aufnahmen, waren gerechter gegen ihre Gegner als die Christen,
die ihren Glauben für durchaus notwendig zur Seligkeit hielten. Bei Verfolgungen
gingen die letzter» deshalb naturgemäß schärfer gegen Leib und Leben der Gegner
vor. Mochte der Leib zu Grunde gehen, wenn nur die Seele gerettet wurde.


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[0139] Die antiken Christenverfolgungen und der Kulturkampf. Richtung der Zeit schnurstracks entgegenliefen. Die Schwierigkeiten, welche sich allerorten erhuben, brachten Diocletian zu dem verhängnisvollen Schritte, die Negierung niederzulegen. Er fühlte es, daß es vergeblich sei, das Schicksalsrad aufzuhalten. Reue hat er über sein Vorgehen wohl nicht empfunden, als er dann in Salona seinen Kohl baute; es war ein Versuch gewesen, die Unter¬ thanen des Reiches zu einer Grundanschauung zurückzuführen. Das Problem sollte ganz anders gelöst werden, als wie Diocletian es versucht hatte. Es sind schauderhafte Geschichten von dieser Verfolgung erzählt worden. Darnach wären Legionen von Christen martervoll hingerichtet worden. In neuerer Zeit hat man die Angaben der christlichen Schriftsteller — die Gegen¬ partei ist in der Geschichte nicht zu Worte gekommen — etwas gesichtet und geprüft, und hat gefunden, daß die christlichen Schriftsteller sich — gelinde aus¬ gedrückt — großer Übertreibungen schuldig gemacht haben. Es reichen nämlich, wenn man die offenbaren Erdichtungen abzieht, alle Strafen und Hinrichtungen, welche vom Beginn des Christentums bis zur Regierung Konstantins von den Heiden verhängt worden sind, lange nicht an das heran, was die alleinselig¬ machende Kirche geleistet hat. Bei der Verfolgung des Diocletian (deren Verlauf, auch nach seiner Thronentsagung, im ganzen auf zehn Jahre ange¬ geben wird) sollen an 2000 Menschen verurteilt worden sein. Und diese Ver¬ folgung war die längste und blutigste. In den Niederlanden allein aber ver¬ loren nach Grotius etwa 150 000 das Leben, und zwar im Laufe einer Regierung! Man vergleiche dies Fleckchen Land mit der Ausdehnung des rö¬ mischen Reiches! Man kann nun sagen, Grotius sei Partei gewesen, er habe zu hohe Ziffern angegeben. Indessen lebte er doch in einer Zeit, in welcher die Mittel, sich wahre Nachrichten zu verschaffen, viel zahlreicher waren als zur Zeit der Christenverfolgungen; deshalb gilt die Parteilichkeit doch wohl mehr von den Christen aus der römischen Zeit, welche den Grundsatz aussprachen und befolgten, nichts zu sagen, was der Kirche schädlich werden könnte. Sie befolgten dann später, als sich das Verhältnis im Römerreich umgedreht hatte, den weitern Grundsatz, die nachteiligen Schriften der Gegner zu vernichten. Daher kommt es eben, daß wir heute den Schriftstellern so wenig Glauben schenken können, wenn sie uns von Hinrichtungen und Martern und Wundern er¬ zählen, zumal solche Erzählungen den Stempel einer blühenden Phantasie deut¬ lich an sich tragen. Hätten wir auch gegnerische Schriften von gebildeten Heiden, wir würden besser daran sein, da wir die Angaben der einen durch die der andern kontroliren könnten. Die Heiden, die ja das neue Religionssystem als eine Art, die Gottheit zu verehren, nicht bloß bestehen ließen, sondern sogar in ihr Religionssystem aufnahmen, waren gerechter gegen ihre Gegner als die Christen, die ihren Glauben für durchaus notwendig zur Seligkeit hielten. Bei Verfolgungen gingen die letzter» deshalb naturgemäß schärfer gegen Leib und Leben der Gegner vor. Mochte der Leib zu Grunde gehen, wenn nur die Seele gerettet wurde.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/139>, abgerufen am 23.07.2024.