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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Die antiken Lhristenverfolguugen und der Kulturkampf.

UM den Nerv als Brandstifter und Wüterich zu charakterisiren. Sicher ist,
daß der Brand stattgefunden hat, und ebenso sicher hat damit die Bestrafung
der sogenannten Lnristiimi im Zusammenhange gestanden, aber das Wie hat den
Erklärern von jeher ungemein viel Sorge und Mühe gemacht.

Gibbon hält dafür, das; die Grausamkeit Neros gegen die Juden gerichtet
gewesen sei und daß die Christen als jüdische Sekte mit betroffen worden seien.
Sein Gedankengang ist etwa folgender. Tacitus sah das Aufblühen und die
weitere Verbreitung des Christentums unter der Regierung des Titus, Domitian,
Nerva, Trajan für eine Regeneration des Judentums an, welches den Römern
so viel Sorge gemacht hatte. Jerusalem war erobert und zerstört worden, Ströme
Blutes von Juden und Römern waren geflossen, die Juden waren über den
ganzen Erdkreis zerstreut, ihr Staatswesen vernichtet worden. Sie hatten sich
haufenweise in den großen Städten des Römerreiches, in Rom selbst angesiedelt
und bildeten hier ein zu Aufruhr und Empörung geneigtes Element. Die
Weissagungen, welche ihnen den Messias verkündeten und die Rückkehr in ihr
Vaterland versprachen, aus dem sie nun schon zum zweitenmale verjagt waren,
waren ihnen unvergeßlich. Sobald sie Nachricht erhielten, daß in ihrer Heimat ein
Messias erstanden sei -- und wie leicht werden in der Verbannung lebende,
verzweifelte Menschen in Aufregung versetzt! -- so wurden sie unruhig. Wieder¬
holt waren sie deshalb aus der Stadt verjagt worden, aber nach ihrer ge¬
schmeidigen und biegsamen Natur kehrten sie bald wieder zurück. Still und
heimlich breiteten sie sich wieder aus, setzten sich wieder fest, um bei der nächsten
Gelegenheit neue Unruhen zu verursachen. Sie wurden deshalb aufs beste ge¬
haßt und verachtet, wie wir aus verschiednen Stellen des Juvenal sehen können.
Wenn nun die Christen mit ihnen identifizirt wurden, so mußte der allgemeine
Haß und die große Verachtung auch auf sie übergehen. Mithin wurden die
Christen von der Verfolgung mit betroffen, weil die Menge sie nicht von den
Juden schied, und Tacitus nannte sie besonders, weil er in ihnen das Judentum
in seinem kräftigsten Aufblühen zu sehen glaubte.

Ebenso nimmt Merivall an, daß der Verdacht des römischen großen Hau¬
fens gegen die unruhigen Juden gerichtet gewesen sei, deren Berufungen auf
den Namen Christi als eines erwarteten Königs oder Volksführers allgemein
bekannt waren. Im übrigen weicht aber seine Ansicht von der Gibbons ab.
Nach Merivall wurden einige jüdische Fanatiker aufgegriffen und angeklagt, diese
zeigten, da sie die Christen als Abtrünnige ihres Glaubens haßten, einzelne
Christen an, und so wurden letztere in die Anklage mit verwickelt, und da sie
in ihrem Sinne eingestanden, daß sie allerdings Christus verehrten, so wurden
sie, obwohl sie die harmlosesten Menschen waren, als Unruhestifter verurteilt und
bestraft.

Die Erklärung Merivall mag auf den ersten Blick etwas gesucht erscheinen,
dennoch ist sie nicht unwahrscheinlich, da die Juden häufig Angeber der Christen


Die antiken Lhristenverfolguugen und der Kulturkampf.

UM den Nerv als Brandstifter und Wüterich zu charakterisiren. Sicher ist,
daß der Brand stattgefunden hat, und ebenso sicher hat damit die Bestrafung
der sogenannten Lnristiimi im Zusammenhange gestanden, aber das Wie hat den
Erklärern von jeher ungemein viel Sorge und Mühe gemacht.

Gibbon hält dafür, das; die Grausamkeit Neros gegen die Juden gerichtet
gewesen sei und daß die Christen als jüdische Sekte mit betroffen worden seien.
Sein Gedankengang ist etwa folgender. Tacitus sah das Aufblühen und die
weitere Verbreitung des Christentums unter der Regierung des Titus, Domitian,
Nerva, Trajan für eine Regeneration des Judentums an, welches den Römern
so viel Sorge gemacht hatte. Jerusalem war erobert und zerstört worden, Ströme
Blutes von Juden und Römern waren geflossen, die Juden waren über den
ganzen Erdkreis zerstreut, ihr Staatswesen vernichtet worden. Sie hatten sich
haufenweise in den großen Städten des Römerreiches, in Rom selbst angesiedelt
und bildeten hier ein zu Aufruhr und Empörung geneigtes Element. Die
Weissagungen, welche ihnen den Messias verkündeten und die Rückkehr in ihr
Vaterland versprachen, aus dem sie nun schon zum zweitenmale verjagt waren,
waren ihnen unvergeßlich. Sobald sie Nachricht erhielten, daß in ihrer Heimat ein
Messias erstanden sei — und wie leicht werden in der Verbannung lebende,
verzweifelte Menschen in Aufregung versetzt! — so wurden sie unruhig. Wieder¬
holt waren sie deshalb aus der Stadt verjagt worden, aber nach ihrer ge¬
schmeidigen und biegsamen Natur kehrten sie bald wieder zurück. Still und
heimlich breiteten sie sich wieder aus, setzten sich wieder fest, um bei der nächsten
Gelegenheit neue Unruhen zu verursachen. Sie wurden deshalb aufs beste ge¬
haßt und verachtet, wie wir aus verschiednen Stellen des Juvenal sehen können.
Wenn nun die Christen mit ihnen identifizirt wurden, so mußte der allgemeine
Haß und die große Verachtung auch auf sie übergehen. Mithin wurden die
Christen von der Verfolgung mit betroffen, weil die Menge sie nicht von den
Juden schied, und Tacitus nannte sie besonders, weil er in ihnen das Judentum
in seinem kräftigsten Aufblühen zu sehen glaubte.

Ebenso nimmt Merivall an, daß der Verdacht des römischen großen Hau¬
fens gegen die unruhigen Juden gerichtet gewesen sei, deren Berufungen auf
den Namen Christi als eines erwarteten Königs oder Volksführers allgemein
bekannt waren. Im übrigen weicht aber seine Ansicht von der Gibbons ab.
Nach Merivall wurden einige jüdische Fanatiker aufgegriffen und angeklagt, diese
zeigten, da sie die Christen als Abtrünnige ihres Glaubens haßten, einzelne
Christen an, und so wurden letztere in die Anklage mit verwickelt, und da sie
in ihrem Sinne eingestanden, daß sie allerdings Christus verehrten, so wurden
sie, obwohl sie die harmlosesten Menschen waren, als Unruhestifter verurteilt und
bestraft.

Die Erklärung Merivall mag auf den ersten Blick etwas gesucht erscheinen,
dennoch ist sie nicht unwahrscheinlich, da die Juden häufig Angeber der Christen


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[0134] Die antiken Lhristenverfolguugen und der Kulturkampf. UM den Nerv als Brandstifter und Wüterich zu charakterisiren. Sicher ist, daß der Brand stattgefunden hat, und ebenso sicher hat damit die Bestrafung der sogenannten Lnristiimi im Zusammenhange gestanden, aber das Wie hat den Erklärern von jeher ungemein viel Sorge und Mühe gemacht. Gibbon hält dafür, das; die Grausamkeit Neros gegen die Juden gerichtet gewesen sei und daß die Christen als jüdische Sekte mit betroffen worden seien. Sein Gedankengang ist etwa folgender. Tacitus sah das Aufblühen und die weitere Verbreitung des Christentums unter der Regierung des Titus, Domitian, Nerva, Trajan für eine Regeneration des Judentums an, welches den Römern so viel Sorge gemacht hatte. Jerusalem war erobert und zerstört worden, Ströme Blutes von Juden und Römern waren geflossen, die Juden waren über den ganzen Erdkreis zerstreut, ihr Staatswesen vernichtet worden. Sie hatten sich haufenweise in den großen Städten des Römerreiches, in Rom selbst angesiedelt und bildeten hier ein zu Aufruhr und Empörung geneigtes Element. Die Weissagungen, welche ihnen den Messias verkündeten und die Rückkehr in ihr Vaterland versprachen, aus dem sie nun schon zum zweitenmale verjagt waren, waren ihnen unvergeßlich. Sobald sie Nachricht erhielten, daß in ihrer Heimat ein Messias erstanden sei — und wie leicht werden in der Verbannung lebende, verzweifelte Menschen in Aufregung versetzt! — so wurden sie unruhig. Wieder¬ holt waren sie deshalb aus der Stadt verjagt worden, aber nach ihrer ge¬ schmeidigen und biegsamen Natur kehrten sie bald wieder zurück. Still und heimlich breiteten sie sich wieder aus, setzten sich wieder fest, um bei der nächsten Gelegenheit neue Unruhen zu verursachen. Sie wurden deshalb aufs beste ge¬ haßt und verachtet, wie wir aus verschiednen Stellen des Juvenal sehen können. Wenn nun die Christen mit ihnen identifizirt wurden, so mußte der allgemeine Haß und die große Verachtung auch auf sie übergehen. Mithin wurden die Christen von der Verfolgung mit betroffen, weil die Menge sie nicht von den Juden schied, und Tacitus nannte sie besonders, weil er in ihnen das Judentum in seinem kräftigsten Aufblühen zu sehen glaubte. Ebenso nimmt Merivall an, daß der Verdacht des römischen großen Hau¬ fens gegen die unruhigen Juden gerichtet gewesen sei, deren Berufungen auf den Namen Christi als eines erwarteten Königs oder Volksführers allgemein bekannt waren. Im übrigen weicht aber seine Ansicht von der Gibbons ab. Nach Merivall wurden einige jüdische Fanatiker aufgegriffen und angeklagt, diese zeigten, da sie die Christen als Abtrünnige ihres Glaubens haßten, einzelne Christen an, und so wurden letztere in die Anklage mit verwickelt, und da sie in ihrem Sinne eingestanden, daß sie allerdings Christus verehrten, so wurden sie, obwohl sie die harmlosesten Menschen waren, als Unruhestifter verurteilt und bestraft. Die Erklärung Merivall mag auf den ersten Blick etwas gesucht erscheinen, dennoch ist sie nicht unwahrscheinlich, da die Juden häufig Angeber der Christen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/134>, abgerufen am 25.08.2024.