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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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geradezu bald eine ncronische, bald eine diocleticmische Verfolgung genannt. Sie
wollten damit der Regierung einen recht harten Vorwurf machen. Denn die
nervnifche Christenverfolgung ist die erste, die dioelctianische die letzte der neun
großen Verfolgungen^ welche der katholischen Kirche ihre meisten Märtyrer ge¬
liefert haben. Indessen kann man getrost annehmen, daß den wenigsten von
denen, die einen solchen Vorwurf zu hören bekamen, wie auch von denen, die
ihn aussprachen, ein irgendwie bestimmtes Bild von der einen oder andern Ver¬
folgung vorgeschwebt hat. Auch wir haben uns meistenteils damit begnügt,
daß wir jenen Vergleich sür eine arge Übertreibung hielten, wie sie wohl in
der Erregung ausgesprochen wird, und haben uns bei dem Gedanken beruhigt,
daß es ein Unding sei, die Lage der heutigen katholischen Kirche mit der unter
Nero oder Diocletian zu vergleichen.

Sehen wir auf die Art der Verfolgung unter Nero und Diocletian, wie
die katholische Tradition sie schildert, so müssen wir jede Ähnlichkeit von
vornherein bestreiten. Den" es hat in Deutschland niemand Gelegenheit gehabt,
sich durch Hingabe seines Lebens ein Martyrium zu erwerben. Aber man könnte
uns ja entgegenhalten, daß überhaupt die Zeit eine andre, mildere geworden
sei, und daß deshalb auch die Art der Verfolgung ein milderes Aussehen ge¬
habt habe, während sie dasselbe bezweckt habe wie jene heidnischen Verfolgungen.
Dieselben Beweggründe können sich ja im Laufe der Zeit in ganz verschie¬
dener Form äußern. Ein Mausergewehr ist himmelweit verschieden von
einem mit einem steinernen Messer mühsam zugespitzten Pfahl, und doch sind
beide, wenn man die Sache genau betrachtet, aus demselben Beweggründe ent¬
sprungen; mit dem Pfahl ging unser Urahn aus der Steinzeit ans seinen Feind
los, während wir ihn mit dem Mausergewehr angreifen. Wir lächeln über die
Knöchelchen und Wirbelchen, mit denen ein junges Mädchen ans der Steinzeit
sich schmückte und die ihr elterliche Liebe mit ins Grab gegeben haben -- aber
treibt nicht derselbe Beweggrund unsre Töchter, sich mit kostbaren Perlen oder
Schmucksachen aus Gold und Silber zu behängen? Im vorliegenden Falle
würde es sich also darum handeln, ob die preußische, beziehentlich deutsche Re¬
gierung dieselben Beweggründe gehabt habe, die katholische Kirche zu verfolge",
wie jene beiden Kaiser. Die Antwort wird sich uns von selbst ergeben, wenn
wir die beiden Verfolgungen, die durch die katholische Tradition verdunkelt auf
uns gekommen sind, im Lichte der Geschichte betrachten.

Im zehnten Jahre des Nero, nach unsrer Zeitrechnung im Jahre 64, fand
in Rom ein ungeheurer Brand statt, der von den vierzehn Quartieren der Stadt
nur vier ganz unverschont ließ; drei waren total niedergebrannt, und die übrigen
sieben, welche der Wut des Feuers ausgesetzt gewesen waren, zeigten einen
traurigen Anblick von Trümmern und Verwüstung. Das Elend war grenzenlos,
obgleich die Regierung alles that, was in ihrer Macht lag, den Unglücklichen
aufzuhelfen, die ihr Alles verloren hatten. Man beschuldigte den Nero, daß er


geradezu bald eine ncronische, bald eine diocleticmische Verfolgung genannt. Sie
wollten damit der Regierung einen recht harten Vorwurf machen. Denn die
nervnifche Christenverfolgung ist die erste, die dioelctianische die letzte der neun
großen Verfolgungen^ welche der katholischen Kirche ihre meisten Märtyrer ge¬
liefert haben. Indessen kann man getrost annehmen, daß den wenigsten von
denen, die einen solchen Vorwurf zu hören bekamen, wie auch von denen, die
ihn aussprachen, ein irgendwie bestimmtes Bild von der einen oder andern Ver¬
folgung vorgeschwebt hat. Auch wir haben uns meistenteils damit begnügt,
daß wir jenen Vergleich sür eine arge Übertreibung hielten, wie sie wohl in
der Erregung ausgesprochen wird, und haben uns bei dem Gedanken beruhigt,
daß es ein Unding sei, die Lage der heutigen katholischen Kirche mit der unter
Nero oder Diocletian zu vergleichen.

Sehen wir auf die Art der Verfolgung unter Nero und Diocletian, wie
die katholische Tradition sie schildert, so müssen wir jede Ähnlichkeit von
vornherein bestreiten. Den» es hat in Deutschland niemand Gelegenheit gehabt,
sich durch Hingabe seines Lebens ein Martyrium zu erwerben. Aber man könnte
uns ja entgegenhalten, daß überhaupt die Zeit eine andre, mildere geworden
sei, und daß deshalb auch die Art der Verfolgung ein milderes Aussehen ge¬
habt habe, während sie dasselbe bezweckt habe wie jene heidnischen Verfolgungen.
Dieselben Beweggründe können sich ja im Laufe der Zeit in ganz verschie¬
dener Form äußern. Ein Mausergewehr ist himmelweit verschieden von
einem mit einem steinernen Messer mühsam zugespitzten Pfahl, und doch sind
beide, wenn man die Sache genau betrachtet, aus demselben Beweggründe ent¬
sprungen; mit dem Pfahl ging unser Urahn aus der Steinzeit ans seinen Feind
los, während wir ihn mit dem Mausergewehr angreifen. Wir lächeln über die
Knöchelchen und Wirbelchen, mit denen ein junges Mädchen ans der Steinzeit
sich schmückte und die ihr elterliche Liebe mit ins Grab gegeben haben — aber
treibt nicht derselbe Beweggrund unsre Töchter, sich mit kostbaren Perlen oder
Schmucksachen aus Gold und Silber zu behängen? Im vorliegenden Falle
würde es sich also darum handeln, ob die preußische, beziehentlich deutsche Re¬
gierung dieselben Beweggründe gehabt habe, die katholische Kirche zu verfolge»,
wie jene beiden Kaiser. Die Antwort wird sich uns von selbst ergeben, wenn
wir die beiden Verfolgungen, die durch die katholische Tradition verdunkelt auf
uns gekommen sind, im Lichte der Geschichte betrachten.

Im zehnten Jahre des Nero, nach unsrer Zeitrechnung im Jahre 64, fand
in Rom ein ungeheurer Brand statt, der von den vierzehn Quartieren der Stadt
nur vier ganz unverschont ließ; drei waren total niedergebrannt, und die übrigen
sieben, welche der Wut des Feuers ausgesetzt gewesen waren, zeigten einen
traurigen Anblick von Trümmern und Verwüstung. Das Elend war grenzenlos,
obgleich die Regierung alles that, was in ihrer Macht lag, den Unglücklichen
aufzuhelfen, die ihr Alles verloren hatten. Man beschuldigte den Nero, daß er


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/132>, abgerufen am 23.07.2024.