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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Die Pflege der Monumentalmalerei in Preußen.

Prell war zuerst ein Schüler Theodor Grosses in Dresden gewesen und
ist dann durch die Schule des kühnen Realisten Karl Gussow gegangen, dessen
ungeschminkte, rücksichtslose Ausdrucksweise er sich anzueignen versucht hat. Der
Naturalismus eines Gussow schließt den Idealismus im landläufigen Sinne
keineswegs aus. Wir haben nicht selten mit freudigem Erstaunen bemerkt, daß
der Maler runzlige Greise, alte Frauen und die zartesten Mädchengestalten, dort
wie hier nur allein der Wahrheit folgend, mit überzeugender Naturwahrheit zu
einer glänzenden malerischen Erscheinung zu bringen weiß. Wir haben längst
aus der objektiven Betrachtung der Kunstgeschichte gelernt, daß der subjektive
Schönhcitsbcgriff, welchen uns Philosophen und Ästhetiker konstruirt haben, nur
dazu dient, uns die Erkenntnis der Wahrheit zu erschließen, und daß, wie alle
Wege nach Rom führen, auch alle Kunstrichtungen, mögen sie heißen wie sie
wollen, in sich befähigt sind, ein Höchstes zu erreichen, welches wir kurz und
bündig als die Wahrheit bezeichnen können.

So hat auch Hermann Prell, der jugendliche, noch keineswegs zur Klärung
gekommene Naturalist, in einer der elf Freske", welche den Festsaal des Ber¬
liner Architcktenhauses schmücken, ans dem von ihm eingeschlagenen Wege eine
solche Höhe erreicht, und diese Thatsache mag mit manchem Umreisen, Unfertigen
und Angehörigen versöhnen. Er hat mit Rücksicht auf den Beruf der Inhaber
des Hauses unternommen, in diesen elf Fresken die Hauptepochen der Architektur¬
geschichte zu versinnlichen, und den Gipfelpunkt seiner Darstellungen natürlich
in dem Zeitalter der Renaissance gefunden. Das dieser Glanzzeit der Künste
gewidmete Bild nimmt die Mitte der den Fenstern gegenüberliegenden Wand
ein. Vor einer weißen Marmorwand, die durch eine Bogennische gegliedert ist,
thronen die drei Schwesterkünste. In der Mitte die Architektur, ein stolzes,
königliches Weib von jungfräulicher Schönheit, in der Tracht der deutschen
Renaissance. Sie legt ihre Linke auf die Schulter der Skulptur, welche sinnend
das Haupt auf die linke Hand stützt, während die rechte den Meißel hält.
Mit ihrer rechten Hand umfaßt die Architektur schützend und liebend die
Malerei, eine holdselige, schüchtern den Blick senkende Jungfran, welcher zwei
Genien, die sich zwischen Blumen und Früchten tummeln, farbige Blüten reichen.
Auf der rechten Seite der Komposition schleppen zwei andre Genien eine hohe
Vase, ein kostbares Erzeugnis der Kunstindustrie herbei, während ein fünfter
sich anschickt, in das Becken der im Vordergründe sprudelnden Fontäne hinab¬
zusteigen. Auf der Marmorwand sitzt ein Pfau, und darüber hinweg blickt man
in einen Pinicnhain, der in die satten Tinten des Südens getaucht ist und aus
dessen dunkeln Grün weiße Marmorbilder hervorleuchten. Für die idealen Ver¬
treterinnen des Kunstschaffens hat der Maler auf dem Grunde einer getragenen
Formensprache auch einen edeln Ausdruck gefunden, ohne das Gebiet körper¬
licher Wahrscheinlichkeit zu verlassen und sich in transscendentale Wolkenregionen
zu verirren. Die drei Frauengestalten sind keine fleisch- und blutlosen Abstrakta,


Die Pflege der Monumentalmalerei in Preußen.

Prell war zuerst ein Schüler Theodor Grosses in Dresden gewesen und
ist dann durch die Schule des kühnen Realisten Karl Gussow gegangen, dessen
ungeschminkte, rücksichtslose Ausdrucksweise er sich anzueignen versucht hat. Der
Naturalismus eines Gussow schließt den Idealismus im landläufigen Sinne
keineswegs aus. Wir haben nicht selten mit freudigem Erstaunen bemerkt, daß
der Maler runzlige Greise, alte Frauen und die zartesten Mädchengestalten, dort
wie hier nur allein der Wahrheit folgend, mit überzeugender Naturwahrheit zu
einer glänzenden malerischen Erscheinung zu bringen weiß. Wir haben längst
aus der objektiven Betrachtung der Kunstgeschichte gelernt, daß der subjektive
Schönhcitsbcgriff, welchen uns Philosophen und Ästhetiker konstruirt haben, nur
dazu dient, uns die Erkenntnis der Wahrheit zu erschließen, und daß, wie alle
Wege nach Rom führen, auch alle Kunstrichtungen, mögen sie heißen wie sie
wollen, in sich befähigt sind, ein Höchstes zu erreichen, welches wir kurz und
bündig als die Wahrheit bezeichnen können.

So hat auch Hermann Prell, der jugendliche, noch keineswegs zur Klärung
gekommene Naturalist, in einer der elf Freske», welche den Festsaal des Ber¬
liner Architcktenhauses schmücken, ans dem von ihm eingeschlagenen Wege eine
solche Höhe erreicht, und diese Thatsache mag mit manchem Umreisen, Unfertigen
und Angehörigen versöhnen. Er hat mit Rücksicht auf den Beruf der Inhaber
des Hauses unternommen, in diesen elf Fresken die Hauptepochen der Architektur¬
geschichte zu versinnlichen, und den Gipfelpunkt seiner Darstellungen natürlich
in dem Zeitalter der Renaissance gefunden. Das dieser Glanzzeit der Künste
gewidmete Bild nimmt die Mitte der den Fenstern gegenüberliegenden Wand
ein. Vor einer weißen Marmorwand, die durch eine Bogennische gegliedert ist,
thronen die drei Schwesterkünste. In der Mitte die Architektur, ein stolzes,
königliches Weib von jungfräulicher Schönheit, in der Tracht der deutschen
Renaissance. Sie legt ihre Linke auf die Schulter der Skulptur, welche sinnend
das Haupt auf die linke Hand stützt, während die rechte den Meißel hält.
Mit ihrer rechten Hand umfaßt die Architektur schützend und liebend die
Malerei, eine holdselige, schüchtern den Blick senkende Jungfran, welcher zwei
Genien, die sich zwischen Blumen und Früchten tummeln, farbige Blüten reichen.
Auf der rechten Seite der Komposition schleppen zwei andre Genien eine hohe
Vase, ein kostbares Erzeugnis der Kunstindustrie herbei, während ein fünfter
sich anschickt, in das Becken der im Vordergründe sprudelnden Fontäne hinab¬
zusteigen. Auf der Marmorwand sitzt ein Pfau, und darüber hinweg blickt man
in einen Pinicnhain, der in die satten Tinten des Südens getaucht ist und aus
dessen dunkeln Grün weiße Marmorbilder hervorleuchten. Für die idealen Ver¬
treterinnen des Kunstschaffens hat der Maler auf dem Grunde einer getragenen
Formensprache auch einen edeln Ausdruck gefunden, ohne das Gebiet körper¬
licher Wahrscheinlichkeit zu verlassen und sich in transscendentale Wolkenregionen
zu verirren. Die drei Frauengestalten sind keine fleisch- und blutlosen Abstrakta,


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[0102] Die Pflege der Monumentalmalerei in Preußen. Prell war zuerst ein Schüler Theodor Grosses in Dresden gewesen und ist dann durch die Schule des kühnen Realisten Karl Gussow gegangen, dessen ungeschminkte, rücksichtslose Ausdrucksweise er sich anzueignen versucht hat. Der Naturalismus eines Gussow schließt den Idealismus im landläufigen Sinne keineswegs aus. Wir haben nicht selten mit freudigem Erstaunen bemerkt, daß der Maler runzlige Greise, alte Frauen und die zartesten Mädchengestalten, dort wie hier nur allein der Wahrheit folgend, mit überzeugender Naturwahrheit zu einer glänzenden malerischen Erscheinung zu bringen weiß. Wir haben längst aus der objektiven Betrachtung der Kunstgeschichte gelernt, daß der subjektive Schönhcitsbcgriff, welchen uns Philosophen und Ästhetiker konstruirt haben, nur dazu dient, uns die Erkenntnis der Wahrheit zu erschließen, und daß, wie alle Wege nach Rom führen, auch alle Kunstrichtungen, mögen sie heißen wie sie wollen, in sich befähigt sind, ein Höchstes zu erreichen, welches wir kurz und bündig als die Wahrheit bezeichnen können. So hat auch Hermann Prell, der jugendliche, noch keineswegs zur Klärung gekommene Naturalist, in einer der elf Freske», welche den Festsaal des Ber¬ liner Architcktenhauses schmücken, ans dem von ihm eingeschlagenen Wege eine solche Höhe erreicht, und diese Thatsache mag mit manchem Umreisen, Unfertigen und Angehörigen versöhnen. Er hat mit Rücksicht auf den Beruf der Inhaber des Hauses unternommen, in diesen elf Fresken die Hauptepochen der Architektur¬ geschichte zu versinnlichen, und den Gipfelpunkt seiner Darstellungen natürlich in dem Zeitalter der Renaissance gefunden. Das dieser Glanzzeit der Künste gewidmete Bild nimmt die Mitte der den Fenstern gegenüberliegenden Wand ein. Vor einer weißen Marmorwand, die durch eine Bogennische gegliedert ist, thronen die drei Schwesterkünste. In der Mitte die Architektur, ein stolzes, königliches Weib von jungfräulicher Schönheit, in der Tracht der deutschen Renaissance. Sie legt ihre Linke auf die Schulter der Skulptur, welche sinnend das Haupt auf die linke Hand stützt, während die rechte den Meißel hält. Mit ihrer rechten Hand umfaßt die Architektur schützend und liebend die Malerei, eine holdselige, schüchtern den Blick senkende Jungfran, welcher zwei Genien, die sich zwischen Blumen und Früchten tummeln, farbige Blüten reichen. Auf der rechten Seite der Komposition schleppen zwei andre Genien eine hohe Vase, ein kostbares Erzeugnis der Kunstindustrie herbei, während ein fünfter sich anschickt, in das Becken der im Vordergründe sprudelnden Fontäne hinab¬ zusteigen. Auf der Marmorwand sitzt ein Pfau, und darüber hinweg blickt man in einen Pinicnhain, der in die satten Tinten des Südens getaucht ist und aus dessen dunkeln Grün weiße Marmorbilder hervorleuchten. Für die idealen Ver¬ treterinnen des Kunstschaffens hat der Maler auf dem Grunde einer getragenen Formensprache auch einen edeln Ausdruck gefunden, ohne das Gebiet körper¬ licher Wahrscheinlichkeit zu verlassen und sich in transscendentale Wolkenregionen zu verirren. Die drei Frauengestalten sind keine fleisch- und blutlosen Abstrakta,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/102>, abgerufen am 23.07.2024.