Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.Dies beschauliche Lebe" wurde noch einmal unterbrochen, als Freiligraths So war der Kreislauf vollbracht, der Dichter auf den Ausgangspunkt seiner Dies beschauliche Lebe» wurde noch einmal unterbrochen, als Freiligraths So war der Kreislauf vollbracht, der Dichter auf den Ausgangspunkt seiner <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0662" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/86783"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <p xml:id="ID_2682"> Dies beschauliche Lebe» wurde noch einmal unterbrochen, als Freiligraths<lb/> patriotische Lyrik im Jahre 1870 einen heißen Nachsommer erlebte. Wie er<lb/> seinen ältesten Sohn Wolfgang, der sich dem Bonner Freiwilligenkorps zur Pflege<lb/> der Verwundeten anf dem Schlachtfelde anschloß, segnend ins Feld entließ, so<lb/> feierte er mit jugendlicher Begeisterung den nationalen Aufschwung in neuen<lb/> Prächtigen Liedern, darunter dem ostkomponirten „Hurra Germania!" Dann<lb/> schwieg er wieder. Wie aber selbst der neuen Gestaltung der Dinge gegenüber<lb/> der alte Demokrat von 1848 sich spröde verhielt, zeigt uns der Brief, mit dem<lb/> er 1874 Auerbach die Zusendung von dessen vaterländischen Roman „Wald¬<lb/> fried" beantwortete: „Du (ich identifizire dich natürlich mit Heinrich Waldfried)<lb/> gehst mir zu weit in deiner Einheitsfreude. Ich brauche dich nicht daran zu<lb/> erinnern, wie ich in den Tagen der Gefahr mich rückhaltlos auf die nationale<lb/> Seite gestellt habe. Daß ich darum aber das »Reich,« wie es aus dem Kampfe<lb/> hervorgegangen ist, für das Höchste halten sollte, für das Ideal, nach dem wir<lb/> alle gestrebt, für das wir Kerker und Exil nicht gescheut haben: das, lieber<lb/> Heinrich Waldfried, füllt mir nicht ein. Ich acceptire die Dinge, wie sie sind,<lb/> als eine zeitweilige Notwendigkeit, aber ich begeistere mich nicht dafür. Ich ehre<lb/> deine Ansicht, weil ich weiß, daß sie auf Wahrhaftigkeit und ehrlicher Über¬<lb/> zeugung beruht, aber ich teile sie nicht. Sie unbedingt teilen, hieße el» poli¬<lb/> tisches Programm unterschreiben, hieße mich zum Mitglied einer Partei machen.<lb/> Das aber liegt mir fern. Ich bin froh, daß ich keiner Partei mehr angehöre<lb/> (also auch keiner »besondern Schattirung« innerhalb einer Partei), daß ich,<lb/> jetzt schon seit Jahren, wieder auf jener »höhern Warte« stehe, von welcher ich<lb/> einst gesungen."</p><lb/> <p xml:id="ID_2683"> So war der Kreislauf vollbracht, der Dichter auf den Ausgangspunkt seiner<lb/> politischen Bestrebungen zurückgekehrt. Immerhin muß es mit Genugthuung<lb/> erfüllen, daß er weitab von jenem bissigen, unpatriotischen Pessimismus war,<lb/> der Herweghs postume, in Gift und Galle getauchte „Neueste Gedichte" (1877)<lb/> so widerlich macht; daß er mit dem versöhnenden Akkord seiner Kriegslyrik von<lb/> 1870 abschloß. So konnte die Trauer bei Freiligraths um 18. März 1876<lb/> in Kanstatt erfolgten Tode eine allgemeine sein; nicht bloß ein hervorragender<lb/> Dichter, auch ein treuer Sohn seines Volkes war aus dem Leben geschieden.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0662]
Dies beschauliche Lebe» wurde noch einmal unterbrochen, als Freiligraths
patriotische Lyrik im Jahre 1870 einen heißen Nachsommer erlebte. Wie er
seinen ältesten Sohn Wolfgang, der sich dem Bonner Freiwilligenkorps zur Pflege
der Verwundeten anf dem Schlachtfelde anschloß, segnend ins Feld entließ, so
feierte er mit jugendlicher Begeisterung den nationalen Aufschwung in neuen
Prächtigen Liedern, darunter dem ostkomponirten „Hurra Germania!" Dann
schwieg er wieder. Wie aber selbst der neuen Gestaltung der Dinge gegenüber
der alte Demokrat von 1848 sich spröde verhielt, zeigt uns der Brief, mit dem
er 1874 Auerbach die Zusendung von dessen vaterländischen Roman „Wald¬
fried" beantwortete: „Du (ich identifizire dich natürlich mit Heinrich Waldfried)
gehst mir zu weit in deiner Einheitsfreude. Ich brauche dich nicht daran zu
erinnern, wie ich in den Tagen der Gefahr mich rückhaltlos auf die nationale
Seite gestellt habe. Daß ich darum aber das »Reich,« wie es aus dem Kampfe
hervorgegangen ist, für das Höchste halten sollte, für das Ideal, nach dem wir
alle gestrebt, für das wir Kerker und Exil nicht gescheut haben: das, lieber
Heinrich Waldfried, füllt mir nicht ein. Ich acceptire die Dinge, wie sie sind,
als eine zeitweilige Notwendigkeit, aber ich begeistere mich nicht dafür. Ich ehre
deine Ansicht, weil ich weiß, daß sie auf Wahrhaftigkeit und ehrlicher Über¬
zeugung beruht, aber ich teile sie nicht. Sie unbedingt teilen, hieße el» poli¬
tisches Programm unterschreiben, hieße mich zum Mitglied einer Partei machen.
Das aber liegt mir fern. Ich bin froh, daß ich keiner Partei mehr angehöre
(also auch keiner »besondern Schattirung« innerhalb einer Partei), daß ich,
jetzt schon seit Jahren, wieder auf jener »höhern Warte« stehe, von welcher ich
einst gesungen."
So war der Kreislauf vollbracht, der Dichter auf den Ausgangspunkt seiner
politischen Bestrebungen zurückgekehrt. Immerhin muß es mit Genugthuung
erfüllen, daß er weitab von jenem bissigen, unpatriotischen Pessimismus war,
der Herweghs postume, in Gift und Galle getauchte „Neueste Gedichte" (1877)
so widerlich macht; daß er mit dem versöhnenden Akkord seiner Kriegslyrik von
1870 abschloß. So konnte die Trauer bei Freiligraths um 18. März 1876
in Kanstatt erfolgten Tode eine allgemeine sein; nicht bloß ein hervorragender
Dichter, auch ein treuer Sohn seines Volkes war aus dem Leben geschieden.
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