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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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dem Zeitgedicht näher liegenden Stoffen zu, zunächst noch in unpolitischer und
tendenziöser Weise, indem er uur nu Zeitereignisse anknüpft und sich von ihnen
zu poetischem Schaffen begeistern läßt. Dieser neuen Richtung, einer Gelegen¬
heitsdichtung im besten Sinne des Wortes, ist der Dichter von nun um bis an
sein Lebensende treu geblieben.

Anfangs erklärt er sich mit großer Entschiedenheit gegen die politische
Tendenzdichtung, die in den Jahren 1840 und 1841 in Hoffmnnns "Unpoli¬
tischen Liedern," Herweghs "Gedichten eines Lebendigen," Dingelstedts "Kos¬
mopolitischem Nachtwächter" mit Macht hervorbrach und wie ein Ansteckungsstoff
weit fortwirkte. Im Hinblick ans sie schreibt er: "Unterdessen ist Herwegh zu
Zürich "lebendig." Ein famoser Kerl, aber die politische Poesie, insofern sie
eine diplomatische ist, taugt eben nichts, und ist von der patriotisch-politische"
wohl zu distiugniren. Die Poesie soll sich an das Ewige, Bleibende halten
und nicht immer mit dein verfluchten Dreck und Schund unsers kläglichen,
miserablen Menschen- und Staatslebens zu schaffen haben. Meine Knmeele
und Neger sind nun freilich, Gott sei'S geklagt, auch just nichts Ewiges und
Bleibendes, an dem man sich in die Höhe ranken könnte, aber wenn mir der
liebe Gott nur etwas mehr freien Odem und ein gut Teil weniger Sorgen
giebt, als ich jetzt habe, so denk' ich noch was Tüchtiges zu leisten."

In dieser Gesinnung warf Freiligrath Ende 1841 mitten in die radikalen
Freiheitsphrasen hinein sein berühmtes Wort:


Der Dichter steht aus einer höhern Warte,
Als aus den Zinnen der Partei,

einen Ausspruch, den Herwegh aufgriff, um sich in einem an Freiligrath ge¬
richteten Liede zum Lobe der Parteidichtuug zu ergehen. Auf diese Bvrgäuge
bezieht sich folgende Stelle in einem Briefe Freiligraths an Matzerath.' "Her¬
weghs schönes Gedicht gegen mich wirst du mit Ruges breiter Sauce in deu
Jahrbüchern gelesen haben -- ich bin eben jetzt mit einer Autwort beschäftigt,
und wenn ich, wie vorauszusehen, auch nicht das Feld behalte, so tröst' ich
mich doch wenigstens mit dem Gedanken, daß ich die Debatte mit einem einzigen
dreisten Worte weiter gebracht oder doch populärer gemacht habe, als hundert
Rezensionen imstande gewesen wären. Herwegh ist mir übrigens ein werter
Kerl, durch und durch Poet, immenses Talent, Wahrheit der Gesinnung -- sonst
allerdings Fanatiker! Dingelstedt ist dagegen nichts als ein allerdings sehr be
denkendes Talent; ich bin, beim Teufel, glaub' ich, ebenso liberal wie Dingel¬
stedt (wenn ich auch nicht Herweghs vagen, ins Blaue hiueinstürinenden Fana¬
tismus teile), aber Gott soll mich bewahren, daß ich mit meinem plebejeu Trotze
Wucher treibe, der Aura populg-ri" zu Liebe. Das Reich der Poesie ist uicht
von dieser Welt, sie soll im Himmel sein und nicht auf der Erde, und wenn
sie auf der Erde ist, so soll sie mindestens zum Himmel deuten. Dante war


dem Zeitgedicht näher liegenden Stoffen zu, zunächst noch in unpolitischer und
tendenziöser Weise, indem er uur nu Zeitereignisse anknüpft und sich von ihnen
zu poetischem Schaffen begeistern läßt. Dieser neuen Richtung, einer Gelegen¬
heitsdichtung im besten Sinne des Wortes, ist der Dichter von nun um bis an
sein Lebensende treu geblieben.

Anfangs erklärt er sich mit großer Entschiedenheit gegen die politische
Tendenzdichtung, die in den Jahren 1840 und 1841 in Hoffmnnns „Unpoli¬
tischen Liedern," Herweghs „Gedichten eines Lebendigen," Dingelstedts „Kos¬
mopolitischem Nachtwächter" mit Macht hervorbrach und wie ein Ansteckungsstoff
weit fortwirkte. Im Hinblick ans sie schreibt er: „Unterdessen ist Herwegh zu
Zürich »lebendig.« Ein famoser Kerl, aber die politische Poesie, insofern sie
eine diplomatische ist, taugt eben nichts, und ist von der patriotisch-politische»
wohl zu distiugniren. Die Poesie soll sich an das Ewige, Bleibende halten
und nicht immer mit dein verfluchten Dreck und Schund unsers kläglichen,
miserablen Menschen- und Staatslebens zu schaffen haben. Meine Knmeele
und Neger sind nun freilich, Gott sei'S geklagt, auch just nichts Ewiges und
Bleibendes, an dem man sich in die Höhe ranken könnte, aber wenn mir der
liebe Gott nur etwas mehr freien Odem und ein gut Teil weniger Sorgen
giebt, als ich jetzt habe, so denk' ich noch was Tüchtiges zu leisten."

In dieser Gesinnung warf Freiligrath Ende 1841 mitten in die radikalen
Freiheitsphrasen hinein sein berühmtes Wort:


Der Dichter steht aus einer höhern Warte,
Als aus den Zinnen der Partei,

einen Ausspruch, den Herwegh aufgriff, um sich in einem an Freiligrath ge¬
richteten Liede zum Lobe der Parteidichtuug zu ergehen. Auf diese Bvrgäuge
bezieht sich folgende Stelle in einem Briefe Freiligraths an Matzerath.' „Her¬
weghs schönes Gedicht gegen mich wirst du mit Ruges breiter Sauce in deu
Jahrbüchern gelesen haben — ich bin eben jetzt mit einer Autwort beschäftigt,
und wenn ich, wie vorauszusehen, auch nicht das Feld behalte, so tröst' ich
mich doch wenigstens mit dem Gedanken, daß ich die Debatte mit einem einzigen
dreisten Worte weiter gebracht oder doch populärer gemacht habe, als hundert
Rezensionen imstande gewesen wären. Herwegh ist mir übrigens ein werter
Kerl, durch und durch Poet, immenses Talent, Wahrheit der Gesinnung — sonst
allerdings Fanatiker! Dingelstedt ist dagegen nichts als ein allerdings sehr be
denkendes Talent; ich bin, beim Teufel, glaub' ich, ebenso liberal wie Dingel¬
stedt (wenn ich auch nicht Herweghs vagen, ins Blaue hiueinstürinenden Fana¬
tismus teile), aber Gott soll mich bewahren, daß ich mit meinem plebejeu Trotze
Wucher treibe, der Aura populg-ri» zu Liebe. Das Reich der Poesie ist uicht
von dieser Welt, sie soll im Himmel sein und nicht auf der Erde, und wenn
sie auf der Erde ist, so soll sie mindestens zum Himmel deuten. Dante war


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[0654] dem Zeitgedicht näher liegenden Stoffen zu, zunächst noch in unpolitischer und tendenziöser Weise, indem er uur nu Zeitereignisse anknüpft und sich von ihnen zu poetischem Schaffen begeistern läßt. Dieser neuen Richtung, einer Gelegen¬ heitsdichtung im besten Sinne des Wortes, ist der Dichter von nun um bis an sein Lebensende treu geblieben. Anfangs erklärt er sich mit großer Entschiedenheit gegen die politische Tendenzdichtung, die in den Jahren 1840 und 1841 in Hoffmnnns „Unpoli¬ tischen Liedern," Herweghs „Gedichten eines Lebendigen," Dingelstedts „Kos¬ mopolitischem Nachtwächter" mit Macht hervorbrach und wie ein Ansteckungsstoff weit fortwirkte. Im Hinblick ans sie schreibt er: „Unterdessen ist Herwegh zu Zürich »lebendig.« Ein famoser Kerl, aber die politische Poesie, insofern sie eine diplomatische ist, taugt eben nichts, und ist von der patriotisch-politische» wohl zu distiugniren. Die Poesie soll sich an das Ewige, Bleibende halten und nicht immer mit dein verfluchten Dreck und Schund unsers kläglichen, miserablen Menschen- und Staatslebens zu schaffen haben. Meine Knmeele und Neger sind nun freilich, Gott sei'S geklagt, auch just nichts Ewiges und Bleibendes, an dem man sich in die Höhe ranken könnte, aber wenn mir der liebe Gott nur etwas mehr freien Odem und ein gut Teil weniger Sorgen giebt, als ich jetzt habe, so denk' ich noch was Tüchtiges zu leisten." In dieser Gesinnung warf Freiligrath Ende 1841 mitten in die radikalen Freiheitsphrasen hinein sein berühmtes Wort: Der Dichter steht aus einer höhern Warte, Als aus den Zinnen der Partei, einen Ausspruch, den Herwegh aufgriff, um sich in einem an Freiligrath ge¬ richteten Liede zum Lobe der Parteidichtuug zu ergehen. Auf diese Bvrgäuge bezieht sich folgende Stelle in einem Briefe Freiligraths an Matzerath.' „Her¬ weghs schönes Gedicht gegen mich wirst du mit Ruges breiter Sauce in deu Jahrbüchern gelesen haben — ich bin eben jetzt mit einer Autwort beschäftigt, und wenn ich, wie vorauszusehen, auch nicht das Feld behalte, so tröst' ich mich doch wenigstens mit dem Gedanken, daß ich die Debatte mit einem einzigen dreisten Worte weiter gebracht oder doch populärer gemacht habe, als hundert Rezensionen imstande gewesen wären. Herwegh ist mir übrigens ein werter Kerl, durch und durch Poet, immenses Talent, Wahrheit der Gesinnung — sonst allerdings Fanatiker! Dingelstedt ist dagegen nichts als ein allerdings sehr be denkendes Talent; ich bin, beim Teufel, glaub' ich, ebenso liberal wie Dingel¬ stedt (wenn ich auch nicht Herweghs vagen, ins Blaue hiueinstürinenden Fana¬ tismus teile), aber Gott soll mich bewahren, daß ich mit meinem plebejeu Trotze Wucher treibe, der Aura populg-ri» zu Liebe. Das Reich der Poesie ist uicht von dieser Welt, sie soll im Himmel sein und nicht auf der Erde, und wenn sie auf der Erde ist, so soll sie mindestens zum Himmel deuten. Dante war

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/654>, abgerufen am 26.06.2024.