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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Die Provinz Posen und die Zviener Verträge,

wöhnlich der Kirchendiener vor der Thür die Wcihlzettel an die erschreckten
Stimmberechtigten,

So wars 1867, und so oder ganz ähnlich verfuhr die polnische Geistlich¬
keit in Posen und Westpreußen bei allen späteren Wahlen bis auf die letzte".
Bismarck bemerkte in der Rede gegen Kantak ironisch, bei der Heiligkeit des
geistlichen Standes könne er nicht daran zweifeln, daß jene Herren das, was
sie ihren Beichtkindern gesagt, wirklich geglaubt hätten, "Dann aber," fuhr er
fort, "herrscht unter ihnen ein Grad der Unwissenheit in Bezug auf weltliche
Dinge, der die Negierung dringend wünschen lassen muß, daß ihm von seiten
der höheren Geistlichkeit ein Ende gemacht werde, namentlich wenn die Geist¬
lichkeit dort die Aufsicht über den Jugendunterricht behalten soll." Der Wunsch
der Regierung, nach 1870 durch verstärkte Wühlerei der polnischen Pfarrer und
Pröpste noch dringender gemacht, ist nicht erfüllt worden. Darauf ergingen die
Gesetze, über die sich die Posener Abgeordneten jetzt beklagen, das über die
Schulaufsicht und andre, alle mit besondrer Rücksicht auf Posen und West¬
preußen, und da die Agitation fortdauert, so zwingt schon die Not, von einer
Milderung oder gar einer Beseitigung dieser Gesetze in jenen Provinzen Abstand
zu nehmen.

Sind denn aber die polnischen Abgeordneten überhaupt befugt, im Namen
der Polen das Wort zu führen? Die citirte Rede des Reichskanzlers, die auch
heute so gehalten werden könnte wie vor fünfzehn Jahren, verneint es entschieden.
Es giebt in den genannten preußischen Provinzen unter rund 2 800 006 Ein¬
wohnern ungefähr 1 150 000 Polen, aber 1 450 000 Katholiken polnischen und
deutschen Stammes. Es befinden sich dort also etwa 300 000 Katholiken
deutscher Zunge, welche zum großen Teile durch die geschilderten Umtriebe ver¬
führt worden sind, mit den Polen für die Kandidaten der polnischen Oppo¬
sition zu stimmen. Anderwärts hat die Fortschrittspartei für ihrer Begriffe
von politischer Ehre angemessen erachtet, ihrerseits Zettel für den polnischen Be¬
werber um das Abgcordnetcnmandat abzugeben. "Sie sind also," sagte mit vollem
Rechte Bismarck 1867 der polnischen Fraktion, "nicht legitimirt, wenn Sie
namens der beinahe drei Millionen Einwohner dieser beiden Provinzen, höchstens
legitimirt, wenn Sie namens der Katholiken, nicht aber, wenn Sie namens der
Polen sprechen, namentlich nicht legitimirt, wenn Sie im Namen der Nationalität
für diejenigen sprechen, die in der Furcht, das Heiligste, was sie in ihren Herzen
tragen, ihren Glauben, beeinträchtigt zu sehen, für Sie gestimmt haben, infolge
einer Furcht, die durch künstliche und unwahre Vorspiegelungen in ihnen erregt
war." Wörtlich dasselbe kann man den Herren aus Posen zurufen, die jetzt
für die angeblichen Rechte der polnischen Preußen pervriren und protestiren
wollen.




Die Provinz Posen und die Zviener Verträge,

wöhnlich der Kirchendiener vor der Thür die Wcihlzettel an die erschreckten
Stimmberechtigten,

So wars 1867, und so oder ganz ähnlich verfuhr die polnische Geistlich¬
keit in Posen und Westpreußen bei allen späteren Wahlen bis auf die letzte».
Bismarck bemerkte in der Rede gegen Kantak ironisch, bei der Heiligkeit des
geistlichen Standes könne er nicht daran zweifeln, daß jene Herren das, was
sie ihren Beichtkindern gesagt, wirklich geglaubt hätten, „Dann aber," fuhr er
fort, „herrscht unter ihnen ein Grad der Unwissenheit in Bezug auf weltliche
Dinge, der die Negierung dringend wünschen lassen muß, daß ihm von seiten
der höheren Geistlichkeit ein Ende gemacht werde, namentlich wenn die Geist¬
lichkeit dort die Aufsicht über den Jugendunterricht behalten soll." Der Wunsch
der Regierung, nach 1870 durch verstärkte Wühlerei der polnischen Pfarrer und
Pröpste noch dringender gemacht, ist nicht erfüllt worden. Darauf ergingen die
Gesetze, über die sich die Posener Abgeordneten jetzt beklagen, das über die
Schulaufsicht und andre, alle mit besondrer Rücksicht auf Posen und West¬
preußen, und da die Agitation fortdauert, so zwingt schon die Not, von einer
Milderung oder gar einer Beseitigung dieser Gesetze in jenen Provinzen Abstand
zu nehmen.

Sind denn aber die polnischen Abgeordneten überhaupt befugt, im Namen
der Polen das Wort zu führen? Die citirte Rede des Reichskanzlers, die auch
heute so gehalten werden könnte wie vor fünfzehn Jahren, verneint es entschieden.
Es giebt in den genannten preußischen Provinzen unter rund 2 800 006 Ein¬
wohnern ungefähr 1 150 000 Polen, aber 1 450 000 Katholiken polnischen und
deutschen Stammes. Es befinden sich dort also etwa 300 000 Katholiken
deutscher Zunge, welche zum großen Teile durch die geschilderten Umtriebe ver¬
führt worden sind, mit den Polen für die Kandidaten der polnischen Oppo¬
sition zu stimmen. Anderwärts hat die Fortschrittspartei für ihrer Begriffe
von politischer Ehre angemessen erachtet, ihrerseits Zettel für den polnischen Be¬
werber um das Abgcordnetcnmandat abzugeben. „Sie sind also," sagte mit vollem
Rechte Bismarck 1867 der polnischen Fraktion, „nicht legitimirt, wenn Sie
namens der beinahe drei Millionen Einwohner dieser beiden Provinzen, höchstens
legitimirt, wenn Sie namens der Katholiken, nicht aber, wenn Sie namens der
Polen sprechen, namentlich nicht legitimirt, wenn Sie im Namen der Nationalität
für diejenigen sprechen, die in der Furcht, das Heiligste, was sie in ihren Herzen
tragen, ihren Glauben, beeinträchtigt zu sehen, für Sie gestimmt haben, infolge
einer Furcht, die durch künstliche und unwahre Vorspiegelungen in ihnen erregt
war." Wörtlich dasselbe kann man den Herren aus Posen zurufen, die jetzt
für die angeblichen Rechte der polnischen Preußen pervriren und protestiren
wollen.




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[0652] Die Provinz Posen und die Zviener Verträge, wöhnlich der Kirchendiener vor der Thür die Wcihlzettel an die erschreckten Stimmberechtigten, So wars 1867, und so oder ganz ähnlich verfuhr die polnische Geistlich¬ keit in Posen und Westpreußen bei allen späteren Wahlen bis auf die letzte». Bismarck bemerkte in der Rede gegen Kantak ironisch, bei der Heiligkeit des geistlichen Standes könne er nicht daran zweifeln, daß jene Herren das, was sie ihren Beichtkindern gesagt, wirklich geglaubt hätten, „Dann aber," fuhr er fort, „herrscht unter ihnen ein Grad der Unwissenheit in Bezug auf weltliche Dinge, der die Negierung dringend wünschen lassen muß, daß ihm von seiten der höheren Geistlichkeit ein Ende gemacht werde, namentlich wenn die Geist¬ lichkeit dort die Aufsicht über den Jugendunterricht behalten soll." Der Wunsch der Regierung, nach 1870 durch verstärkte Wühlerei der polnischen Pfarrer und Pröpste noch dringender gemacht, ist nicht erfüllt worden. Darauf ergingen die Gesetze, über die sich die Posener Abgeordneten jetzt beklagen, das über die Schulaufsicht und andre, alle mit besondrer Rücksicht auf Posen und West¬ preußen, und da die Agitation fortdauert, so zwingt schon die Not, von einer Milderung oder gar einer Beseitigung dieser Gesetze in jenen Provinzen Abstand zu nehmen. Sind denn aber die polnischen Abgeordneten überhaupt befugt, im Namen der Polen das Wort zu führen? Die citirte Rede des Reichskanzlers, die auch heute so gehalten werden könnte wie vor fünfzehn Jahren, verneint es entschieden. Es giebt in den genannten preußischen Provinzen unter rund 2 800 006 Ein¬ wohnern ungefähr 1 150 000 Polen, aber 1 450 000 Katholiken polnischen und deutschen Stammes. Es befinden sich dort also etwa 300 000 Katholiken deutscher Zunge, welche zum großen Teile durch die geschilderten Umtriebe ver¬ führt worden sind, mit den Polen für die Kandidaten der polnischen Oppo¬ sition zu stimmen. Anderwärts hat die Fortschrittspartei für ihrer Begriffe von politischer Ehre angemessen erachtet, ihrerseits Zettel für den polnischen Be¬ werber um das Abgcordnetcnmandat abzugeben. „Sie sind also," sagte mit vollem Rechte Bismarck 1867 der polnischen Fraktion, „nicht legitimirt, wenn Sie namens der beinahe drei Millionen Einwohner dieser beiden Provinzen, höchstens legitimirt, wenn Sie namens der Katholiken, nicht aber, wenn Sie namens der Polen sprechen, namentlich nicht legitimirt, wenn Sie im Namen der Nationalität für diejenigen sprechen, die in der Furcht, das Heiligste, was sie in ihren Herzen tragen, ihren Glauben, beeinträchtigt zu sehen, für Sie gestimmt haben, infolge einer Furcht, die durch künstliche und unwahre Vorspiegelungen in ihnen erregt war." Wörtlich dasselbe kann man den Herren aus Posen zurufen, die jetzt für die angeblichen Rechte der polnischen Preußen pervriren und protestiren wollen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/652>, abgerufen am 26.06.2024.