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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Die Fortschritte in der antiken Kunstgeschichte während des letzten Jahrzehnts,

schöne Gewand der Athene ans der Stymphalosmetope, wobei freilich in Be¬
tracht zu ziehen ist, daß bei letztrer, infolge ihrer sitzenden Stellung, die Aufgabe
schwerer war, als bei jenen aufrechtstehenden Figuren, Auch sind keineswegs
alle Heraklcstorsen,' welche aus den Metopen erhalten sind, so schon und in
jeder Beziehung trefflich durchgearbeitet wie der Atlas und der Herakles ans
der entsprechenden Metope, Indessen solche Verschiedenheiten sind begreiflich,
da ja sicherlich verschiedene Hände an den Metopen gearbeitet haben; viel wich¬
tiger ist, daß bestimmte Schulnnterschicde, bedeutende stilistische Abweichungen
nicht vorhanden sind. Freilich ist dies nicht allgemein anerkannt; namentlich wollte
Brunn die Metopen der Ostseite streng von denen der Westseite scheiden, indem
er erstre als Werke einheimischer, pelvponnesischer Kunst, letztre dagegen als
Erzeugnisse jener nordgricchischen Kunstschule bezeichnete, die er durch den schon
oben angeführten Aufsatz in die Kunstgeschichte einführte.

Was nun aber besonders überrascht, ja geradezu verblüfft hat, das waren
die Skulpturen der Giebelfelder, Was man fand, namentlich was in den Aus-
grabungen der ersten Kampagne zum Borschein kam (es waren wesentlich Stücke
vom Ostgiebcl), harmonirte so wenig mit dem, was man zu finden erwartet
hatte, daß eine gewisse Enttäuschung nicht ausbleiben konnte. Statt kräf¬
tiger, lebensvoller Körper sah man eine durchaus flaue Vehandlung des Nackten,
dessen einzelne Flächen kaum notdürftig sich gegeneinander absonderten, während
von einer zarteren Verbindung der einzelnen Teile untereinander, von einer Be¬
lebung durch das Spiel der Muskeln, von energischer Andeutung des Knochen¬
gerüstes vollends uicht die Rede war; die Gewandung fast lederartig steif,
vielfach faltenlos anliegend oder ganz oberflächlich, ohne jegliche Anmut des
Wurfes über die Gestalt hingebreitet, die Stellungen steif und gezwungen
oder unedel und nonchalant, die Köpfe leblos, zum Teil noch stark ar¬
chaisch n, s, w. Daneben mußte eine Figur wieder besonders überraschen,
welche in diesen Nahmen so wenig zu passen schien, daß sogar die Ansicht auf¬
tauchte, man habe hier eine gar nicht zum Giebel gehörige Pvrträtstatuc aus
viel späterer Zeit vor sich: ein sitzender Greis mit unangenehm fettem Körper
und individuellen Zügen, mit Runzeln und kahler Stirn, anscheinend ein Wagen¬
lenker des einen der beiden Kämpfer.

Einigermaßen freilich mußte dieser erste ungünstige Eindruck sich milder",
als nach und nach auch die Stücke des Westgiebcls bekannt wurden, als man
eine größere Zahl vou Köpfen fand und namentlich anch durch die Vervvll-
stnudiguug der einzelnen Gruppen in den Stand gesetzt wurde, die Komposition
des Ganzen zu beurteilen. Zwar bleibt das eben über die Behandlung von
Körper und Gewandung Gesagte für die Mehrzahl der Figuren bestehen; be¬
sonders sind die Pferdekörper der Kentauren in ihrer fast lächerlichen Magerkeit und
Kleinheit geradezu abscheulich; es fehlt nicht an argen Proportionöfehlern und
sonstigen groben Versehen; Haar und Bart siud fast durchweg (wie allerdings


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Die Fortschritte in der antiken Kunstgeschichte während des letzten Jahrzehnts,

schöne Gewand der Athene ans der Stymphalosmetope, wobei freilich in Be¬
tracht zu ziehen ist, daß bei letztrer, infolge ihrer sitzenden Stellung, die Aufgabe
schwerer war, als bei jenen aufrechtstehenden Figuren, Auch sind keineswegs
alle Heraklcstorsen,' welche aus den Metopen erhalten sind, so schon und in
jeder Beziehung trefflich durchgearbeitet wie der Atlas und der Herakles ans
der entsprechenden Metope, Indessen solche Verschiedenheiten sind begreiflich,
da ja sicherlich verschiedene Hände an den Metopen gearbeitet haben; viel wich¬
tiger ist, daß bestimmte Schulnnterschicde, bedeutende stilistische Abweichungen
nicht vorhanden sind. Freilich ist dies nicht allgemein anerkannt; namentlich wollte
Brunn die Metopen der Ostseite streng von denen der Westseite scheiden, indem
er erstre als Werke einheimischer, pelvponnesischer Kunst, letztre dagegen als
Erzeugnisse jener nordgricchischen Kunstschule bezeichnete, die er durch den schon
oben angeführten Aufsatz in die Kunstgeschichte einführte.

Was nun aber besonders überrascht, ja geradezu verblüfft hat, das waren
die Skulpturen der Giebelfelder, Was man fand, namentlich was in den Aus-
grabungen der ersten Kampagne zum Borschein kam (es waren wesentlich Stücke
vom Ostgiebcl), harmonirte so wenig mit dem, was man zu finden erwartet
hatte, daß eine gewisse Enttäuschung nicht ausbleiben konnte. Statt kräf¬
tiger, lebensvoller Körper sah man eine durchaus flaue Vehandlung des Nackten,
dessen einzelne Flächen kaum notdürftig sich gegeneinander absonderten, während
von einer zarteren Verbindung der einzelnen Teile untereinander, von einer Be¬
lebung durch das Spiel der Muskeln, von energischer Andeutung des Knochen¬
gerüstes vollends uicht die Rede war; die Gewandung fast lederartig steif,
vielfach faltenlos anliegend oder ganz oberflächlich, ohne jegliche Anmut des
Wurfes über die Gestalt hingebreitet, die Stellungen steif und gezwungen
oder unedel und nonchalant, die Köpfe leblos, zum Teil noch stark ar¬
chaisch n, s, w. Daneben mußte eine Figur wieder besonders überraschen,
welche in diesen Nahmen so wenig zu passen schien, daß sogar die Ansicht auf¬
tauchte, man habe hier eine gar nicht zum Giebel gehörige Pvrträtstatuc aus
viel späterer Zeit vor sich: ein sitzender Greis mit unangenehm fettem Körper
und individuellen Zügen, mit Runzeln und kahler Stirn, anscheinend ein Wagen¬
lenker des einen der beiden Kämpfer.

Einigermaßen freilich mußte dieser erste ungünstige Eindruck sich milder»,
als nach und nach auch die Stücke des Westgiebcls bekannt wurden, als man
eine größere Zahl vou Köpfen fand und namentlich anch durch die Vervvll-
stnudiguug der einzelnen Gruppen in den Stand gesetzt wurde, die Komposition
des Ganzen zu beurteilen. Zwar bleibt das eben über die Behandlung von
Körper und Gewandung Gesagte für die Mehrzahl der Figuren bestehen; be¬
sonders sind die Pferdekörper der Kentauren in ihrer fast lächerlichen Magerkeit und
Kleinheit geradezu abscheulich; es fehlt nicht an argen Proportionöfehlern und
sonstigen groben Versehen; Haar und Bart siud fast durchweg (wie allerdings


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[0553] Die Fortschritte in der antiken Kunstgeschichte während des letzten Jahrzehnts, schöne Gewand der Athene ans der Stymphalosmetope, wobei freilich in Be¬ tracht zu ziehen ist, daß bei letztrer, infolge ihrer sitzenden Stellung, die Aufgabe schwerer war, als bei jenen aufrechtstehenden Figuren, Auch sind keineswegs alle Heraklcstorsen,' welche aus den Metopen erhalten sind, so schon und in jeder Beziehung trefflich durchgearbeitet wie der Atlas und der Herakles ans der entsprechenden Metope, Indessen solche Verschiedenheiten sind begreiflich, da ja sicherlich verschiedene Hände an den Metopen gearbeitet haben; viel wich¬ tiger ist, daß bestimmte Schulnnterschicde, bedeutende stilistische Abweichungen nicht vorhanden sind. Freilich ist dies nicht allgemein anerkannt; namentlich wollte Brunn die Metopen der Ostseite streng von denen der Westseite scheiden, indem er erstre als Werke einheimischer, pelvponnesischer Kunst, letztre dagegen als Erzeugnisse jener nordgricchischen Kunstschule bezeichnete, die er durch den schon oben angeführten Aufsatz in die Kunstgeschichte einführte. Was nun aber besonders überrascht, ja geradezu verblüfft hat, das waren die Skulpturen der Giebelfelder, Was man fand, namentlich was in den Aus- grabungen der ersten Kampagne zum Borschein kam (es waren wesentlich Stücke vom Ostgiebcl), harmonirte so wenig mit dem, was man zu finden erwartet hatte, daß eine gewisse Enttäuschung nicht ausbleiben konnte. Statt kräf¬ tiger, lebensvoller Körper sah man eine durchaus flaue Vehandlung des Nackten, dessen einzelne Flächen kaum notdürftig sich gegeneinander absonderten, während von einer zarteren Verbindung der einzelnen Teile untereinander, von einer Be¬ lebung durch das Spiel der Muskeln, von energischer Andeutung des Knochen¬ gerüstes vollends uicht die Rede war; die Gewandung fast lederartig steif, vielfach faltenlos anliegend oder ganz oberflächlich, ohne jegliche Anmut des Wurfes über die Gestalt hingebreitet, die Stellungen steif und gezwungen oder unedel und nonchalant, die Köpfe leblos, zum Teil noch stark ar¬ chaisch n, s, w. Daneben mußte eine Figur wieder besonders überraschen, welche in diesen Nahmen so wenig zu passen schien, daß sogar die Ansicht auf¬ tauchte, man habe hier eine gar nicht zum Giebel gehörige Pvrträtstatuc aus viel späterer Zeit vor sich: ein sitzender Greis mit unangenehm fettem Körper und individuellen Zügen, mit Runzeln und kahler Stirn, anscheinend ein Wagen¬ lenker des einen der beiden Kämpfer. Einigermaßen freilich mußte dieser erste ungünstige Eindruck sich milder», als nach und nach auch die Stücke des Westgiebcls bekannt wurden, als man eine größere Zahl vou Köpfen fand und namentlich anch durch die Vervvll- stnudiguug der einzelnen Gruppen in den Stand gesetzt wurde, die Komposition des Ganzen zu beurteilen. Zwar bleibt das eben über die Behandlung von Körper und Gewandung Gesagte für die Mehrzahl der Figuren bestehen; be¬ sonders sind die Pferdekörper der Kentauren in ihrer fast lächerlichen Magerkeit und Kleinheit geradezu abscheulich; es fehlt nicht an argen Proportionöfehlern und sonstigen groben Versehen; Haar und Bart siud fast durchweg (wie allerdings Gren.zlwtt'n 1, 1382. ö!>

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/553>, abgerufen am 26.06.2024.