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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Athenais.

byzantinischen Hofroman, aller echt poetischen Erfindung und Gestaltung bar,
unerquicklich durch die Hereinnähme fremdartiger Vorstellungsweisen, welche
dem Verfasser doch nicht voll aufgegangen sind! Freilich, der Roman, den
Gregorovius ausdrücklich nennt, Kingsleys "Hypatia," stellt die Sache anders --
gegen eine Schöpfung von dem wahrhaft poetische" Gehalt und der künstlerischen
Durchführung der "Hypatia" ist nichts zu erinnern, und wenn sie einen noch
entlegeneren Stoff behandelte. Glaubt aber Gregorovius im Ernste, daß für
federfertige Romanfabrikanten Kingsleys Werk das Muster abgeben würde?
Liegt nicht die Gefahr näher, daß der interessante Stoff sofort aufgegriffen
und verarbeitet wird? Für die "Erfindung" würde wahrscheinlich der alte und
vergessene, seiner Zeit aber hoch gehaltene historische Roman der wackern Leip¬
ziger Kaufmannsgattin Bencdicte Neubert: "Eudoxici, Gemahlin Theodosius des
Zweiten" (Leipzig, 1805), der auch Gregorovius nicht zu Händen gekommen zu
sein scheint, mehr als ausreichen; für die weitern Zuthaten möchte dann die geist¬
reiche und große Perspektiven öffnende Skizze selbst sorgen, deren Vorwort eine
so verhängnißvolle Aufforderung enthält.

Hoffentlich verhindert der gute Erfolg, den die kleine Monographie unsers
Autors beim gebildeten Publikum haben wird, die Gestaltung eines archäolo¬
gischen Romans. Die Abhandlung hat "aus allen Quellen geschöpft, um auf
dem Hintergrunde der Zeit die Gestalt der Athenais in ihrer geschichtlichen Wirk¬
lichkeit erscheinen zu lassen. Die Natur dieser Quellen aber ist eine solche, daß nur
eine Skizze daraus hervorgehen konnte." Der Verfasser führt den Leser zuerst
in das Athen des fünften Jahrhunderts nach Christus. Die hehre Stadt der
Pallas Athena war noch immer "das Ziel für die ideale Sehnsucht und die
Wißbegierde ausländischer Jugend. Dort studirt zu haben galt als ein be¬
neidenswertes Glück, welches überall in der Welt auf Ehre und Bewunderung
Anrecht gab." Noch lehrten in der Akademie und auf dem "Throne der So¬
phisten" heidnische Philosophen und Rhetoren und überlieferten die Wissenschaft des
Altertums, "aus der freilich kein das Bewußtsein der Menschheit entzündender
und kein den Geist der Welt rcformirender Gedanke mehr ausgehen konnte."
Als die Tochter eines dieser heidnischen Gelehrten, des Lcontius, war Athenais
um 400 geboren, in der Wissenschaft der untergehenden Welt unterrichtet, mit
der Bildung des Neuplatonismus genährt, "durchaus als griechische Heidin er¬
zogen. Aber die junge Heidin Athenais hat nie mehr einen jener prachtvollen
Festaufzüge zu Ehren ihrer Namensgöttin mit Augen gesehen, es sei denn in
den Skulpturen des Phidias am Friese der Zelle des Parthenon. Sie hat nie
mehr ihr Gebet im Tempel der Musen am Ilissos oder in denen der Athene
Polias und Parthenos vor den Bildnissen der hehren Göttin dargebracht, ob¬
wohl diese zu ihrer Zeit noch nicht entfernt worden waren." Die strengen Edikte
der neuen christlichen Kaiser wandelten das Heidentum mehr und mehr in einen
ganz esoterische" Kultus -um, aber die eigenste Bedeutung desselben lag eben


Athenais.

byzantinischen Hofroman, aller echt poetischen Erfindung und Gestaltung bar,
unerquicklich durch die Hereinnähme fremdartiger Vorstellungsweisen, welche
dem Verfasser doch nicht voll aufgegangen sind! Freilich, der Roman, den
Gregorovius ausdrücklich nennt, Kingsleys „Hypatia," stellt die Sache anders —
gegen eine Schöpfung von dem wahrhaft poetische» Gehalt und der künstlerischen
Durchführung der „Hypatia" ist nichts zu erinnern, und wenn sie einen noch
entlegeneren Stoff behandelte. Glaubt aber Gregorovius im Ernste, daß für
federfertige Romanfabrikanten Kingsleys Werk das Muster abgeben würde?
Liegt nicht die Gefahr näher, daß der interessante Stoff sofort aufgegriffen
und verarbeitet wird? Für die „Erfindung" würde wahrscheinlich der alte und
vergessene, seiner Zeit aber hoch gehaltene historische Roman der wackern Leip¬
ziger Kaufmannsgattin Bencdicte Neubert: „Eudoxici, Gemahlin Theodosius des
Zweiten" (Leipzig, 1805), der auch Gregorovius nicht zu Händen gekommen zu
sein scheint, mehr als ausreichen; für die weitern Zuthaten möchte dann die geist¬
reiche und große Perspektiven öffnende Skizze selbst sorgen, deren Vorwort eine
so verhängnißvolle Aufforderung enthält.

Hoffentlich verhindert der gute Erfolg, den die kleine Monographie unsers
Autors beim gebildeten Publikum haben wird, die Gestaltung eines archäolo¬
gischen Romans. Die Abhandlung hat „aus allen Quellen geschöpft, um auf
dem Hintergrunde der Zeit die Gestalt der Athenais in ihrer geschichtlichen Wirk¬
lichkeit erscheinen zu lassen. Die Natur dieser Quellen aber ist eine solche, daß nur
eine Skizze daraus hervorgehen konnte." Der Verfasser führt den Leser zuerst
in das Athen des fünften Jahrhunderts nach Christus. Die hehre Stadt der
Pallas Athena war noch immer „das Ziel für die ideale Sehnsucht und die
Wißbegierde ausländischer Jugend. Dort studirt zu haben galt als ein be¬
neidenswertes Glück, welches überall in der Welt auf Ehre und Bewunderung
Anrecht gab." Noch lehrten in der Akademie und auf dem „Throne der So¬
phisten" heidnische Philosophen und Rhetoren und überlieferten die Wissenschaft des
Altertums, „aus der freilich kein das Bewußtsein der Menschheit entzündender
und kein den Geist der Welt rcformirender Gedanke mehr ausgehen konnte."
Als die Tochter eines dieser heidnischen Gelehrten, des Lcontius, war Athenais
um 400 geboren, in der Wissenschaft der untergehenden Welt unterrichtet, mit
der Bildung des Neuplatonismus genährt, „durchaus als griechische Heidin er¬
zogen. Aber die junge Heidin Athenais hat nie mehr einen jener prachtvollen
Festaufzüge zu Ehren ihrer Namensgöttin mit Augen gesehen, es sei denn in
den Skulpturen des Phidias am Friese der Zelle des Parthenon. Sie hat nie
mehr ihr Gebet im Tempel der Musen am Ilissos oder in denen der Athene
Polias und Parthenos vor den Bildnissen der hehren Göttin dargebracht, ob¬
wohl diese zu ihrer Zeit noch nicht entfernt worden waren." Die strengen Edikte
der neuen christlichen Kaiser wandelten das Heidentum mehr und mehr in einen
ganz esoterische» Kultus -um, aber die eigenste Bedeutung desselben lag eben


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[0044] Athenais. byzantinischen Hofroman, aller echt poetischen Erfindung und Gestaltung bar, unerquicklich durch die Hereinnähme fremdartiger Vorstellungsweisen, welche dem Verfasser doch nicht voll aufgegangen sind! Freilich, der Roman, den Gregorovius ausdrücklich nennt, Kingsleys „Hypatia," stellt die Sache anders — gegen eine Schöpfung von dem wahrhaft poetische» Gehalt und der künstlerischen Durchführung der „Hypatia" ist nichts zu erinnern, und wenn sie einen noch entlegeneren Stoff behandelte. Glaubt aber Gregorovius im Ernste, daß für federfertige Romanfabrikanten Kingsleys Werk das Muster abgeben würde? Liegt nicht die Gefahr näher, daß der interessante Stoff sofort aufgegriffen und verarbeitet wird? Für die „Erfindung" würde wahrscheinlich der alte und vergessene, seiner Zeit aber hoch gehaltene historische Roman der wackern Leip¬ ziger Kaufmannsgattin Bencdicte Neubert: „Eudoxici, Gemahlin Theodosius des Zweiten" (Leipzig, 1805), der auch Gregorovius nicht zu Händen gekommen zu sein scheint, mehr als ausreichen; für die weitern Zuthaten möchte dann die geist¬ reiche und große Perspektiven öffnende Skizze selbst sorgen, deren Vorwort eine so verhängnißvolle Aufforderung enthält. Hoffentlich verhindert der gute Erfolg, den die kleine Monographie unsers Autors beim gebildeten Publikum haben wird, die Gestaltung eines archäolo¬ gischen Romans. Die Abhandlung hat „aus allen Quellen geschöpft, um auf dem Hintergrunde der Zeit die Gestalt der Athenais in ihrer geschichtlichen Wirk¬ lichkeit erscheinen zu lassen. Die Natur dieser Quellen aber ist eine solche, daß nur eine Skizze daraus hervorgehen konnte." Der Verfasser führt den Leser zuerst in das Athen des fünften Jahrhunderts nach Christus. Die hehre Stadt der Pallas Athena war noch immer „das Ziel für die ideale Sehnsucht und die Wißbegierde ausländischer Jugend. Dort studirt zu haben galt als ein be¬ neidenswertes Glück, welches überall in der Welt auf Ehre und Bewunderung Anrecht gab." Noch lehrten in der Akademie und auf dem „Throne der So¬ phisten" heidnische Philosophen und Rhetoren und überlieferten die Wissenschaft des Altertums, „aus der freilich kein das Bewußtsein der Menschheit entzündender und kein den Geist der Welt rcformirender Gedanke mehr ausgehen konnte." Als die Tochter eines dieser heidnischen Gelehrten, des Lcontius, war Athenais um 400 geboren, in der Wissenschaft der untergehenden Welt unterrichtet, mit der Bildung des Neuplatonismus genährt, „durchaus als griechische Heidin er¬ zogen. Aber die junge Heidin Athenais hat nie mehr einen jener prachtvollen Festaufzüge zu Ehren ihrer Namensgöttin mit Augen gesehen, es sei denn in den Skulpturen des Phidias am Friese der Zelle des Parthenon. Sie hat nie mehr ihr Gebet im Tempel der Musen am Ilissos oder in denen der Athene Polias und Parthenos vor den Bildnissen der hehren Göttin dargebracht, ob¬ wohl diese zu ihrer Zeit noch nicht entfernt worden waren." Die strengen Edikte der neuen christlichen Kaiser wandelten das Heidentum mehr und mehr in einen ganz esoterische» Kultus -um, aber die eigenste Bedeutung desselben lag eben

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/44>, abgerufen am 02.10.2024.