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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Die deutsche Bühne der Gegenwart.

da schien die Franzosen ein, die mit ihren Konversativns- und Ehebrnchsdrcnnen
auch die deutschen Bühnen eroberten und unsern Dichtern und Schauspielern
den Weg wiesen. Sie erweckten nur, was in unserm Bühnenleben und seiner
Literatur dunkel schlummerte. Man wollte von dein Ton einer gesteigerten Em¬
pfindung nichts mehr wissen, denn das Zeitalter wußte nichts davon. Wie es
in der Unterhaltung und der Korrespondenz unbequem und unbeliebt wurde,
starke Gefühle, originelle Gedanken zu äußern, wie das gesellschaftliche Maß und
die gute Sitte auch die bürgerlichen Schichten mehr und mehr durchdrang, stimmte
man auch auf dem Theater alles auf das Niveau des Gewöhnlichen und der
Etikette herab. Alle kleinen Zufälligkeiten des Lebens kopiren zu können, galt
als ein Triumph der Natürlichkeit. Die Deklamationsmanier der Weimarer
Schule war längst in Mißkredit geraten -- man bemühte sich darum, so einfach
wie möglich zu sprechen. Diese Wendung läßt sich nicht von oben herab tadeln,
sie lag in den Verhältnissen, und daß gegen Ansfenberg, Raupach und alle Nach¬
ahmer der Schillerschen Diktion, die nur deu Tonfall des großen Dichters, nicht
aber den Glanz und die Kraft seiner Sprache, geschweige denn seine stilvolle
Charakteristik nachzuahmen verstanden, eine Reaktion notwendig war, wird nie¬
mand leugnen mögen, der sich mit diesem Zweige unsrer Literatur je eingehend
beschäftigt hat. So hat sich denn nach und nach der Konversationston aus¬
gebildet, den wir heute auf jedem Theater, selbst dem kleinsten, gut entwickelt,
wenn nicht zur höchsten Meisterschaft gesteigert finden. Es giebt kaum eine
mittlere Bühne, die nicht unsre neueren Lustspiele mit einer durch die langjäh¬
rige Uebung in diesem Genre erlangten Routine frisch und natürlich darzustellen
vermöchte. Der Bonvivant und die Naive sind nirgends ganz schlecht, und man
braucht gar nicht einmal das meisterliche Ensemble des Thalia-Theaters in Ham¬
burg aufzusuchen, um eine gute Aufführung eines Moserschcn oder Nosenschen
Lustspiels zu sehen. Es ist keine Frage, daß die so erlangte Sicherheit auch
denjenigen Werken zu Gute kommt, die, mehr als bloße Eintagsfliegen, doch in
der modernen Gesellschaft spielen und darum die Beachtung und die tadellose
Wiedergabe ihrer Formen erforden. In den tiefsten Niederungen des schwankes
hat sich Sonnenthals Talent wohl nie getummelt; aber er war ein ausgezeich¬
neter "Graf Waldemar" und "Marquis von Villemer." Vor dem ausschlie߬
lichen Verweilen in dieser Sphäre bewahrte ihn der Genius des Burgtheaters
und gewiß auch sein eigener -- glücklicherweise! darf man hinzufügen. Denn so in¬
teressant es auch ist, eine Bühne wie das frühere (nicht das jetzige) Residenz¬
theater in Berlin mit dem französischen Sittendrama eine Spezialität pflegen
zu sehen, die in Herrn Keppler ihren hervorragendsten Vertreter fand, und die
ein Ensemble zeitigte, das dem großen Muster des 1'nsÄtro traneMZ eifrig nach¬
strebte, so schlägt doch die einseitige Pflege dieser Richtung das schauspielerische
Talent in zu schwere Ketten. Als einziges Genre ist das Konversationsstück
für eine erste Kraft nicht würdig genug. Weder das ^llMtro krany^is uoch das


Die deutsche Bühne der Gegenwart.

da schien die Franzosen ein, die mit ihren Konversativns- und Ehebrnchsdrcnnen
auch die deutschen Bühnen eroberten und unsern Dichtern und Schauspielern
den Weg wiesen. Sie erweckten nur, was in unserm Bühnenleben und seiner
Literatur dunkel schlummerte. Man wollte von dein Ton einer gesteigerten Em¬
pfindung nichts mehr wissen, denn das Zeitalter wußte nichts davon. Wie es
in der Unterhaltung und der Korrespondenz unbequem und unbeliebt wurde,
starke Gefühle, originelle Gedanken zu äußern, wie das gesellschaftliche Maß und
die gute Sitte auch die bürgerlichen Schichten mehr und mehr durchdrang, stimmte
man auch auf dem Theater alles auf das Niveau des Gewöhnlichen und der
Etikette herab. Alle kleinen Zufälligkeiten des Lebens kopiren zu können, galt
als ein Triumph der Natürlichkeit. Die Deklamationsmanier der Weimarer
Schule war längst in Mißkredit geraten — man bemühte sich darum, so einfach
wie möglich zu sprechen. Diese Wendung läßt sich nicht von oben herab tadeln,
sie lag in den Verhältnissen, und daß gegen Ansfenberg, Raupach und alle Nach¬
ahmer der Schillerschen Diktion, die nur deu Tonfall des großen Dichters, nicht
aber den Glanz und die Kraft seiner Sprache, geschweige denn seine stilvolle
Charakteristik nachzuahmen verstanden, eine Reaktion notwendig war, wird nie¬
mand leugnen mögen, der sich mit diesem Zweige unsrer Literatur je eingehend
beschäftigt hat. So hat sich denn nach und nach der Konversationston aus¬
gebildet, den wir heute auf jedem Theater, selbst dem kleinsten, gut entwickelt,
wenn nicht zur höchsten Meisterschaft gesteigert finden. Es giebt kaum eine
mittlere Bühne, die nicht unsre neueren Lustspiele mit einer durch die langjäh¬
rige Uebung in diesem Genre erlangten Routine frisch und natürlich darzustellen
vermöchte. Der Bonvivant und die Naive sind nirgends ganz schlecht, und man
braucht gar nicht einmal das meisterliche Ensemble des Thalia-Theaters in Ham¬
burg aufzusuchen, um eine gute Aufführung eines Moserschcn oder Nosenschen
Lustspiels zu sehen. Es ist keine Frage, daß die so erlangte Sicherheit auch
denjenigen Werken zu Gute kommt, die, mehr als bloße Eintagsfliegen, doch in
der modernen Gesellschaft spielen und darum die Beachtung und die tadellose
Wiedergabe ihrer Formen erforden. In den tiefsten Niederungen des schwankes
hat sich Sonnenthals Talent wohl nie getummelt; aber er war ein ausgezeich¬
neter „Graf Waldemar" und „Marquis von Villemer." Vor dem ausschlie߬
lichen Verweilen in dieser Sphäre bewahrte ihn der Genius des Burgtheaters
und gewiß auch sein eigener — glücklicherweise! darf man hinzufügen. Denn so in¬
teressant es auch ist, eine Bühne wie das frühere (nicht das jetzige) Residenz¬
theater in Berlin mit dem französischen Sittendrama eine Spezialität pflegen
zu sehen, die in Herrn Keppler ihren hervorragendsten Vertreter fand, und die
ein Ensemble zeitigte, das dem großen Muster des 1'nsÄtro traneMZ eifrig nach¬
strebte, so schlägt doch die einseitige Pflege dieser Richtung das schauspielerische
Talent in zu schwere Ketten. Als einziges Genre ist das Konversationsstück
für eine erste Kraft nicht würdig genug. Weder das ^llMtro krany^is uoch das


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[0034] Die deutsche Bühne der Gegenwart. da schien die Franzosen ein, die mit ihren Konversativns- und Ehebrnchsdrcnnen auch die deutschen Bühnen eroberten und unsern Dichtern und Schauspielern den Weg wiesen. Sie erweckten nur, was in unserm Bühnenleben und seiner Literatur dunkel schlummerte. Man wollte von dein Ton einer gesteigerten Em¬ pfindung nichts mehr wissen, denn das Zeitalter wußte nichts davon. Wie es in der Unterhaltung und der Korrespondenz unbequem und unbeliebt wurde, starke Gefühle, originelle Gedanken zu äußern, wie das gesellschaftliche Maß und die gute Sitte auch die bürgerlichen Schichten mehr und mehr durchdrang, stimmte man auch auf dem Theater alles auf das Niveau des Gewöhnlichen und der Etikette herab. Alle kleinen Zufälligkeiten des Lebens kopiren zu können, galt als ein Triumph der Natürlichkeit. Die Deklamationsmanier der Weimarer Schule war längst in Mißkredit geraten — man bemühte sich darum, so einfach wie möglich zu sprechen. Diese Wendung läßt sich nicht von oben herab tadeln, sie lag in den Verhältnissen, und daß gegen Ansfenberg, Raupach und alle Nach¬ ahmer der Schillerschen Diktion, die nur deu Tonfall des großen Dichters, nicht aber den Glanz und die Kraft seiner Sprache, geschweige denn seine stilvolle Charakteristik nachzuahmen verstanden, eine Reaktion notwendig war, wird nie¬ mand leugnen mögen, der sich mit diesem Zweige unsrer Literatur je eingehend beschäftigt hat. So hat sich denn nach und nach der Konversationston aus¬ gebildet, den wir heute auf jedem Theater, selbst dem kleinsten, gut entwickelt, wenn nicht zur höchsten Meisterschaft gesteigert finden. Es giebt kaum eine mittlere Bühne, die nicht unsre neueren Lustspiele mit einer durch die langjäh¬ rige Uebung in diesem Genre erlangten Routine frisch und natürlich darzustellen vermöchte. Der Bonvivant und die Naive sind nirgends ganz schlecht, und man braucht gar nicht einmal das meisterliche Ensemble des Thalia-Theaters in Ham¬ burg aufzusuchen, um eine gute Aufführung eines Moserschcn oder Nosenschen Lustspiels zu sehen. Es ist keine Frage, daß die so erlangte Sicherheit auch denjenigen Werken zu Gute kommt, die, mehr als bloße Eintagsfliegen, doch in der modernen Gesellschaft spielen und darum die Beachtung und die tadellose Wiedergabe ihrer Formen erforden. In den tiefsten Niederungen des schwankes hat sich Sonnenthals Talent wohl nie getummelt; aber er war ein ausgezeich¬ neter „Graf Waldemar" und „Marquis von Villemer." Vor dem ausschlie߬ lichen Verweilen in dieser Sphäre bewahrte ihn der Genius des Burgtheaters und gewiß auch sein eigener — glücklicherweise! darf man hinzufügen. Denn so in¬ teressant es auch ist, eine Bühne wie das frühere (nicht das jetzige) Residenz¬ theater in Berlin mit dem französischen Sittendrama eine Spezialität pflegen zu sehen, die in Herrn Keppler ihren hervorragendsten Vertreter fand, und die ein Ensemble zeitigte, das dem großen Muster des 1'nsÄtro traneMZ eifrig nach¬ strebte, so schlägt doch die einseitige Pflege dieser Richtung das schauspielerische Talent in zu schwere Ketten. Als einziges Genre ist das Konversationsstück für eine erste Kraft nicht würdig genug. Weder das ^llMtro krany^is uoch das

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/34>, abgerufen am 26.06.2024.