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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Zwei Faustkoinmcntaro.

von zwei verschiedenen, von Goethe zu verschiedenen Zeiten verfolgten Faust-
pläucn. Insbesondere ist Schröer für die Einheitlichkeit des Mephistopheles,
der gleich anfangs als, wenn auch nicht ganz konsequent durchgeführter Teufel
aufgefaßt sei, schon einfach deshalb, weil er fo in der Sage, bei Marlowe und
im Puppenspiel erscheine. Einen mit diesen übereinstimmenden Zug in Goethes
Faust für nicht zum ursprünglichen Plane gehörig zu halten, sei eine unnatürlich
erzwungene Annahme. Das will uns nicht einleuchten. Warum soll der Dichter
nicht anfangs von der überlieferten Sage abzuweichen willens gewesen und
später doch wieder zu ihr zurückgekehrt sein? Gerade als er fünfzehn Jahre später
den "Faden" der ihm fremd gewordenen Dichtung mühsam wieder aufsuchte und,
suppliren wir, nicht so recht auffand, war es ganz begreiflich, daß die äußere
Macht des traditionellen Sagenstoffes kräftiger ans ihn wirkte als zu der Zeit,
wo er innerlich ergriffen sich ihm freier schallend gegenüberstellte. Der Erdgeist
und der Herr im Himmel, Mephistopheles, als koboldartiger Sendling des
erstem dem Faust als Geselle beigegeben , und als Teufel mit dem Herrn um
Fausts Seele wellend und mit letzteren den Pakt abschließend, das sind einander
so entgegengesetzte Figuren, daß es schwer hält, sie mit einem einzigen, im
großen festgehaltenen Plane des Dichters zu vereinigen. Über die spüre", die
diese verschiedenartige Auffassung in dem uns jetzt vorliedcnden Texte zurück¬
gelassen und die Widersprüche, die dadurch entstanden sind, geht Schröer doch
zu leicht hinweg. Auch nimmt es Wunder, daß er die Paralipomena zu "Faust,"
die doch mit Rücksicht auf ursprüngliche Absichten des Dichters vielfach beachtens¬
wert find (insbesondre der Disputcitionsaktus), in seiner historischen Auseinander-
legung in keiner Weise berücksichtigt.

Dies sind einige von den Hauptbedenken, zu denen Schröers Einleitung
zum ersten Teil Veranlassung giebt. Man sieht, wie viel immer noch schwankend
und unsicher bleibt.

Die Entstehungsgeschichte des zweiten Teils, wo in der Hauptsache nur die
Entstehung der Helenaszeuen kontrovers ist, liegt wesentlich klarer und ist von
geringerer Bedeutung für die Betrachtung des Ganzen. Schröers Tendenz ihm
gegenüber ist eine stark apologetische, wenn er auch nicht so weit geht wie Löper,
der ausführt, daß gerade so, wie Goethe den "Faust" weiter geführt habe, er
mit Notwendigkeit hätte weiter geführt werden müssen, ja der sogar die ursprüngliche
Konzeption der einzelnen Szenen des zweiten Teils mit der Zeit der ersten Konzeption
des Gedichts überhaupt zusammenfallen läßt. Die Zeit ist freilich vorbei, wo
man mit einigen wohlfeilen Scherzen glaubte, sich über deu ganzen zweiten Teil
hinwegsetzen und ihn als unverdaulich ungelesen bei Seite schieben zu können,
und müßig und unfruchtbar siud die Ausführungen, wie Goethe seinen "Faust"
hätte fortsetzen müssen. Aber den ganzen zweiten Teil mit Schröer ebenso
als organisch geworden zu betrachten wie den ersten, vermögen wir nicht; wir
glauben, daß doch vieles darin nur gemacht und leider auch Manier bisweilen


Zwei Faustkoinmcntaro.

von zwei verschiedenen, von Goethe zu verschiedenen Zeiten verfolgten Faust-
pläucn. Insbesondere ist Schröer für die Einheitlichkeit des Mephistopheles,
der gleich anfangs als, wenn auch nicht ganz konsequent durchgeführter Teufel
aufgefaßt sei, schon einfach deshalb, weil er fo in der Sage, bei Marlowe und
im Puppenspiel erscheine. Einen mit diesen übereinstimmenden Zug in Goethes
Faust für nicht zum ursprünglichen Plane gehörig zu halten, sei eine unnatürlich
erzwungene Annahme. Das will uns nicht einleuchten. Warum soll der Dichter
nicht anfangs von der überlieferten Sage abzuweichen willens gewesen und
später doch wieder zu ihr zurückgekehrt sein? Gerade als er fünfzehn Jahre später
den „Faden" der ihm fremd gewordenen Dichtung mühsam wieder aufsuchte und,
suppliren wir, nicht so recht auffand, war es ganz begreiflich, daß die äußere
Macht des traditionellen Sagenstoffes kräftiger ans ihn wirkte als zu der Zeit,
wo er innerlich ergriffen sich ihm freier schallend gegenüberstellte. Der Erdgeist
und der Herr im Himmel, Mephistopheles, als koboldartiger Sendling des
erstem dem Faust als Geselle beigegeben , und als Teufel mit dem Herrn um
Fausts Seele wellend und mit letzteren den Pakt abschließend, das sind einander
so entgegengesetzte Figuren, daß es schwer hält, sie mit einem einzigen, im
großen festgehaltenen Plane des Dichters zu vereinigen. Über die spüre», die
diese verschiedenartige Auffassung in dem uns jetzt vorliedcnden Texte zurück¬
gelassen und die Widersprüche, die dadurch entstanden sind, geht Schröer doch
zu leicht hinweg. Auch nimmt es Wunder, daß er die Paralipomena zu „Faust,"
die doch mit Rücksicht auf ursprüngliche Absichten des Dichters vielfach beachtens¬
wert find (insbesondre der Disputcitionsaktus), in seiner historischen Auseinander-
legung in keiner Weise berücksichtigt.

Dies sind einige von den Hauptbedenken, zu denen Schröers Einleitung
zum ersten Teil Veranlassung giebt. Man sieht, wie viel immer noch schwankend
und unsicher bleibt.

Die Entstehungsgeschichte des zweiten Teils, wo in der Hauptsache nur die
Entstehung der Helenaszeuen kontrovers ist, liegt wesentlich klarer und ist von
geringerer Bedeutung für die Betrachtung des Ganzen. Schröers Tendenz ihm
gegenüber ist eine stark apologetische, wenn er auch nicht so weit geht wie Löper,
der ausführt, daß gerade so, wie Goethe den „Faust" weiter geführt habe, er
mit Notwendigkeit hätte weiter geführt werden müssen, ja der sogar die ursprüngliche
Konzeption der einzelnen Szenen des zweiten Teils mit der Zeit der ersten Konzeption
des Gedichts überhaupt zusammenfallen läßt. Die Zeit ist freilich vorbei, wo
man mit einigen wohlfeilen Scherzen glaubte, sich über deu ganzen zweiten Teil
hinwegsetzen und ihn als unverdaulich ungelesen bei Seite schieben zu können,
und müßig und unfruchtbar siud die Ausführungen, wie Goethe seinen „Faust"
hätte fortsetzen müssen. Aber den ganzen zweiten Teil mit Schröer ebenso
als organisch geworden zu betrachten wie den ersten, vermögen wir nicht; wir
glauben, daß doch vieles darin nur gemacht und leider auch Manier bisweilen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/244>, abgerufen am 03.07.2024.