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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Zwei Laustkommentare.

er den Beginn einer Niederschrift anch erst später, seit 1773, ansetzt. Die von
Scherer (Goethes Frühzeit) aufgestellte Hypothese eines ersten Faust in Prosa,
von denk noch Reste in der einen Prosaszcne ("Trüber Tag. Feld.") und in ein¬
zeln vorkommenden, jetzt im Druck als rhythmische Ncrse abgesetzten Prosastellen
vorhanden seien, verwirft er und ist eher geneigt, diese Prosnstellen für spätere
Einschiebsel zu halten. Einige derselben kann man ja in der That leicht ent¬
behren. Aber der prosaische Passus in dem berühmten Glaubensbekenntnis des
Faust fügt sich doch so genau in das Ganze ein, und die darauf folgenden Neim-
versc schließen sich so unmittelbar an, daß es schwer hält, sie sich als später
eingeschoben zu denken. Es ist natürlich nicht nötig anzunehmen, daß alle die
der frühesten Zeit zuzuweisenden Szenen zuerst in Prosa verfaßt gewesen seien,
aber von einzelnen ist es doch nicht unglaublich; man wird aber annehmen müssen,
daß sie sehr bald in Verse umgewandelt worden seien, die daher, worauf Schröer
außerdem "och Gewicht legt, sehr wohl das Gepräge eines ersten Wurfes an
sich tragen können.

Im wesentlichen nimmt Schröer in der Entstehung des zuerst 1790 als
"Fragment" gedruckten Teiles -- abgesehen von den in Italien entstandenen
Szenen "Hexenküche" und "Wald und Höhle" -- zwei bis drei Schichten an.
Die erste geht ganz auf in dem titanischen Ringen des Faust; um sie schließt
sich unmittelbar an die Liebestragödie "Faust und Gretchen." Die zweite oder
dritte Schicht, die Schröer in der Hauptsache erst der Weimarer Zeit zuweist,
führt uns nur die rührende Gretchengestalt in einzelnen unznsammenhüngendeu
Bildern vor. Ein äußerer Umstand, auf den schon Düntzer aufmerksam gemacht
hatte, unterstützt diese Absonderung der "Gretchenbilder"; in ihnen allen nämlich
kommt nur die Namensform "Gretchen" vor, während in den übrigen ebenso
konsequent die szenarische Anführung "Margarete" ist. Hierin ist entschieden
ein zwiefaches Ansetzen zu verschiedenen Zeiten nicht zu verkennen. Nur folgt
daraus uicht, daß die Gretcheuszenen erst in der Weimarer Zeit entstanden sein
müssen. Aus dieser Zeit, über die wir ja besonders gut unterrichtet sind, läßt sich
von ihnen keine Spur nachweisen. Auch sieht man nicht ein, warum der Dichter
nicht, wie Schröer will, das Bild des gefallenen und unglücklichen Gretchens
eher könne ausgeführt haben als das des unschuldigen glücklich liebenden, wenn
auch die natürliche Ordnung eine umgekehrte ist. Ebenso wie diese Schröersche
Aufstellung, ist auch die andere zur Unterstützung seiner oben dargelegten An¬
sicht mehrfach wiederkehrende Ausführung, daß in der Zeit der eigenen Gährung
in Goethes Brust neben der Gestalt des titanischen Faust für Gretchen kein
Raum geblieben sei, doch nur eine subjektive Behauptung, die ohne Beweis bleibt.
So einseitig ergriffen brauchen wir uns den Dichter nicht vorzustellen.

Auch die Kerkcrszene, die in dem "Fragment" noch nicht vorkommt, weist
Schröer, da ihr die Namensform Margarete eigen ist, der frühesten an die
erste Konzeption sich anschließenden Zeit zu, wie er auch das ganze im Fragment


Zwei Laustkommentare.

er den Beginn einer Niederschrift anch erst später, seit 1773, ansetzt. Die von
Scherer (Goethes Frühzeit) aufgestellte Hypothese eines ersten Faust in Prosa,
von denk noch Reste in der einen Prosaszcne („Trüber Tag. Feld.") und in ein¬
zeln vorkommenden, jetzt im Druck als rhythmische Ncrse abgesetzten Prosastellen
vorhanden seien, verwirft er und ist eher geneigt, diese Prosnstellen für spätere
Einschiebsel zu halten. Einige derselben kann man ja in der That leicht ent¬
behren. Aber der prosaische Passus in dem berühmten Glaubensbekenntnis des
Faust fügt sich doch so genau in das Ganze ein, und die darauf folgenden Neim-
versc schließen sich so unmittelbar an, daß es schwer hält, sie sich als später
eingeschoben zu denken. Es ist natürlich nicht nötig anzunehmen, daß alle die
der frühesten Zeit zuzuweisenden Szenen zuerst in Prosa verfaßt gewesen seien,
aber von einzelnen ist es doch nicht unglaublich; man wird aber annehmen müssen,
daß sie sehr bald in Verse umgewandelt worden seien, die daher, worauf Schröer
außerdem »och Gewicht legt, sehr wohl das Gepräge eines ersten Wurfes an
sich tragen können.

Im wesentlichen nimmt Schröer in der Entstehung des zuerst 1790 als
„Fragment" gedruckten Teiles — abgesehen von den in Italien entstandenen
Szenen „Hexenküche" und „Wald und Höhle" — zwei bis drei Schichten an.
Die erste geht ganz auf in dem titanischen Ringen des Faust; um sie schließt
sich unmittelbar an die Liebestragödie „Faust und Gretchen." Die zweite oder
dritte Schicht, die Schröer in der Hauptsache erst der Weimarer Zeit zuweist,
führt uns nur die rührende Gretchengestalt in einzelnen unznsammenhüngendeu
Bildern vor. Ein äußerer Umstand, auf den schon Düntzer aufmerksam gemacht
hatte, unterstützt diese Absonderung der „Gretchenbilder"; in ihnen allen nämlich
kommt nur die Namensform „Gretchen" vor, während in den übrigen ebenso
konsequent die szenarische Anführung „Margarete" ist. Hierin ist entschieden
ein zwiefaches Ansetzen zu verschiedenen Zeiten nicht zu verkennen. Nur folgt
daraus uicht, daß die Gretcheuszenen erst in der Weimarer Zeit entstanden sein
müssen. Aus dieser Zeit, über die wir ja besonders gut unterrichtet sind, läßt sich
von ihnen keine Spur nachweisen. Auch sieht man nicht ein, warum der Dichter
nicht, wie Schröer will, das Bild des gefallenen und unglücklichen Gretchens
eher könne ausgeführt haben als das des unschuldigen glücklich liebenden, wenn
auch die natürliche Ordnung eine umgekehrte ist. Ebenso wie diese Schröersche
Aufstellung, ist auch die andere zur Unterstützung seiner oben dargelegten An¬
sicht mehrfach wiederkehrende Ausführung, daß in der Zeit der eigenen Gährung
in Goethes Brust neben der Gestalt des titanischen Faust für Gretchen kein
Raum geblieben sei, doch nur eine subjektive Behauptung, die ohne Beweis bleibt.
So einseitig ergriffen brauchen wir uns den Dichter nicht vorzustellen.

Auch die Kerkcrszene, die in dem „Fragment" noch nicht vorkommt, weist
Schröer, da ihr die Namensform Margarete eigen ist, der frühesten an die
erste Konzeption sich anschließenden Zeit zu, wie er auch das ganze im Fragment


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/242>, abgerufen am 23.07.2024.