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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Leopold von Rankes Römische Geschichte.

kommt, und daß der geistigen Strömungen, wie sie die Literatur erkenne" läßt,
gleichsam nur beiläufig und unter einem beschränkten Gesichtspunkte Erwähnung
gethan wird.

Was wir an jenem ersten Bande vermißten, suchen wir auch in der so¬
eben erschienenen zweiten Abteilung der Weltgeschichte, welche die Geschichte der
römischen Republik und ihrer Weltherrschaft enthält, vergeblich.") Auch hier
tritt uns vor allem wieder dieselbe Kürze in der Erzählung entgegen. Nur in
großen Zügen zeichnet der Geschichtschreiber sein Bild. Er unterläßt jeden
Versuch, durch Spekulation Unklares klar, Zweifelhaftes sicher zu machen. Da
wo uns die alten Geschichtschreiber im Stich gelassen, wie bei der Darlegung
der Stellung, die Marius zu Saturninus einnahm, verzichtet Ranke auf jedes
nähere Eingehen. "Von einer psychologischen Erörterung muß man, sagt er,
absehen. Es ist schon genug, wenn wir die Hauptmomente der Begebenheit mit
Sicherheit ergreifen." Ein andresmal weist er die Aufgabe, irgend eine streitige
Frage zu untersuchen, ab. Dies komme ihm nicht zu. Er begnüge sich, die
Begebenheiten, die ohnehin von universalhistorischer Wichtigkeit seien, einfach an
unserm Auge vorübergehen zu lassen. Wiederholt versagt er sichs auch, da, wo
die Geschichtschreiber Roms ausführlich von Verhandlungen über Krieg und
Frieden berichten, näher auf die Tradition einzugehen. "Es wäre unnütz, meint
er, zu wiederholen, was sie gesagt, welche Antwort sie empfangen haben." Nur
darauf allein kommt es ihm an, die bewegenden Gegensätze deutlich erkennbar
zu machen.

In gleicher Weise behandelt Ranke auch das geistige Leben des römischen
Volkes. Vergil, Livius, Horaz, Ovid, Properz werden nur kurz besprochen.
Ausführlicher ist allein des Polybius gedacht. Und was wir bei der Besprechung
des ersten Bandes schon hervorhoben, daß Ranke bereits eine tiefere Kenntnis
der von ihm vorgetragenen Geschichte voraussetzt, gilt auch von der vorliegenden
Fortsetzung des Werkes.

Freilich dürfen wir nicht übersehen, daß die römische Geschichte bis zum
Beginn der Kaiserzeit lediglich politische Geschichte ist, und daß, während die
Hauptthätigkeit des griechischen Volkes nicht auf dem Gebiete des Staates, sondern
in der Welt des Gedankens und der Phantasie sich entfaltete, bei den Römern
in jener Epoche der Staat alles war. Schildert also Ranke in der Hauptsache
die Schicksale des römischen Staates und wirft er nur gelegentlich einen Blick
auf die Kulturgeschichte, so vermissen wir hier nicht allzuviel.

Aber auch in andrer Hinsicht wäre es unbillig, wollten wir nnr aussprechen,
mit was für Erwartungen wir an eine neue Weltgeschichte herantreten, und be¬
klagen, daß das neue Werk unsern Wünschen nicht in jeder Beziehung entspricht.



5) Weltgeschichte von Leopold von Ranke. Zweite Abteilung. Geschichte der
römischen Republik und ihrer Weltherrschaft. Leipzig, Duncker und Hiuublol, 1882. 2 Blinde.
Leopold von Rankes Römische Geschichte.

kommt, und daß der geistigen Strömungen, wie sie die Literatur erkenne» läßt,
gleichsam nur beiläufig und unter einem beschränkten Gesichtspunkte Erwähnung
gethan wird.

Was wir an jenem ersten Bande vermißten, suchen wir auch in der so¬
eben erschienenen zweiten Abteilung der Weltgeschichte, welche die Geschichte der
römischen Republik und ihrer Weltherrschaft enthält, vergeblich.") Auch hier
tritt uns vor allem wieder dieselbe Kürze in der Erzählung entgegen. Nur in
großen Zügen zeichnet der Geschichtschreiber sein Bild. Er unterläßt jeden
Versuch, durch Spekulation Unklares klar, Zweifelhaftes sicher zu machen. Da
wo uns die alten Geschichtschreiber im Stich gelassen, wie bei der Darlegung
der Stellung, die Marius zu Saturninus einnahm, verzichtet Ranke auf jedes
nähere Eingehen. „Von einer psychologischen Erörterung muß man, sagt er,
absehen. Es ist schon genug, wenn wir die Hauptmomente der Begebenheit mit
Sicherheit ergreifen." Ein andresmal weist er die Aufgabe, irgend eine streitige
Frage zu untersuchen, ab. Dies komme ihm nicht zu. Er begnüge sich, die
Begebenheiten, die ohnehin von universalhistorischer Wichtigkeit seien, einfach an
unserm Auge vorübergehen zu lassen. Wiederholt versagt er sichs auch, da, wo
die Geschichtschreiber Roms ausführlich von Verhandlungen über Krieg und
Frieden berichten, näher auf die Tradition einzugehen. „Es wäre unnütz, meint
er, zu wiederholen, was sie gesagt, welche Antwort sie empfangen haben." Nur
darauf allein kommt es ihm an, die bewegenden Gegensätze deutlich erkennbar
zu machen.

In gleicher Weise behandelt Ranke auch das geistige Leben des römischen
Volkes. Vergil, Livius, Horaz, Ovid, Properz werden nur kurz besprochen.
Ausführlicher ist allein des Polybius gedacht. Und was wir bei der Besprechung
des ersten Bandes schon hervorhoben, daß Ranke bereits eine tiefere Kenntnis
der von ihm vorgetragenen Geschichte voraussetzt, gilt auch von der vorliegenden
Fortsetzung des Werkes.

Freilich dürfen wir nicht übersehen, daß die römische Geschichte bis zum
Beginn der Kaiserzeit lediglich politische Geschichte ist, und daß, während die
Hauptthätigkeit des griechischen Volkes nicht auf dem Gebiete des Staates, sondern
in der Welt des Gedankens und der Phantasie sich entfaltete, bei den Römern
in jener Epoche der Staat alles war. Schildert also Ranke in der Hauptsache
die Schicksale des römischen Staates und wirft er nur gelegentlich einen Blick
auf die Kulturgeschichte, so vermissen wir hier nicht allzuviel.

Aber auch in andrer Hinsicht wäre es unbillig, wollten wir nnr aussprechen,
mit was für Erwartungen wir an eine neue Weltgeschichte herantreten, und be¬
klagen, daß das neue Werk unsern Wünschen nicht in jeder Beziehung entspricht.



5) Weltgeschichte von Leopold von Ranke. Zweite Abteilung. Geschichte der
römischen Republik und ihrer Weltherrschaft. Leipzig, Duncker und Hiuublol, 1882. 2 Blinde.
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[0234] Leopold von Rankes Römische Geschichte. kommt, und daß der geistigen Strömungen, wie sie die Literatur erkenne» läßt, gleichsam nur beiläufig und unter einem beschränkten Gesichtspunkte Erwähnung gethan wird. Was wir an jenem ersten Bande vermißten, suchen wir auch in der so¬ eben erschienenen zweiten Abteilung der Weltgeschichte, welche die Geschichte der römischen Republik und ihrer Weltherrschaft enthält, vergeblich.") Auch hier tritt uns vor allem wieder dieselbe Kürze in der Erzählung entgegen. Nur in großen Zügen zeichnet der Geschichtschreiber sein Bild. Er unterläßt jeden Versuch, durch Spekulation Unklares klar, Zweifelhaftes sicher zu machen. Da wo uns die alten Geschichtschreiber im Stich gelassen, wie bei der Darlegung der Stellung, die Marius zu Saturninus einnahm, verzichtet Ranke auf jedes nähere Eingehen. „Von einer psychologischen Erörterung muß man, sagt er, absehen. Es ist schon genug, wenn wir die Hauptmomente der Begebenheit mit Sicherheit ergreifen." Ein andresmal weist er die Aufgabe, irgend eine streitige Frage zu untersuchen, ab. Dies komme ihm nicht zu. Er begnüge sich, die Begebenheiten, die ohnehin von universalhistorischer Wichtigkeit seien, einfach an unserm Auge vorübergehen zu lassen. Wiederholt versagt er sichs auch, da, wo die Geschichtschreiber Roms ausführlich von Verhandlungen über Krieg und Frieden berichten, näher auf die Tradition einzugehen. „Es wäre unnütz, meint er, zu wiederholen, was sie gesagt, welche Antwort sie empfangen haben." Nur darauf allein kommt es ihm an, die bewegenden Gegensätze deutlich erkennbar zu machen. In gleicher Weise behandelt Ranke auch das geistige Leben des römischen Volkes. Vergil, Livius, Horaz, Ovid, Properz werden nur kurz besprochen. Ausführlicher ist allein des Polybius gedacht. Und was wir bei der Besprechung des ersten Bandes schon hervorhoben, daß Ranke bereits eine tiefere Kenntnis der von ihm vorgetragenen Geschichte voraussetzt, gilt auch von der vorliegenden Fortsetzung des Werkes. Freilich dürfen wir nicht übersehen, daß die römische Geschichte bis zum Beginn der Kaiserzeit lediglich politische Geschichte ist, und daß, während die Hauptthätigkeit des griechischen Volkes nicht auf dem Gebiete des Staates, sondern in der Welt des Gedankens und der Phantasie sich entfaltete, bei den Römern in jener Epoche der Staat alles war. Schildert also Ranke in der Hauptsache die Schicksale des römischen Staates und wirft er nur gelegentlich einen Blick auf die Kulturgeschichte, so vermissen wir hier nicht allzuviel. Aber auch in andrer Hinsicht wäre es unbillig, wollten wir nnr aussprechen, mit was für Erwartungen wir an eine neue Weltgeschichte herantreten, und be¬ klagen, daß das neue Werk unsern Wünschen nicht in jeder Beziehung entspricht. 5) Weltgeschichte von Leopold von Ranke. Zweite Abteilung. Geschichte der römischen Republik und ihrer Weltherrschaft. Leipzig, Duncker und Hiuublol, 1882. 2 Blinde.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/234>, abgerufen am 03.07.2024.