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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Reichstag und Landtag im neuen Jahre,

Fürsorge (man beachte Wohl diesen Satz, denn er enthält die eigensten Gedanken
des Kanzlers) nach dem Willen des Königs thut, was thunlich ist, um den
katholischen Unterthanen desselben das Maß freier kirchlicher Bewegung, welches
mit dem Staatsinteresse erträglich ist, zu verschaffen." Will das Zentrum dabei
nicht mitwirken, so wird die Regierung um so eher warten können, "als sie auf
Gegenleistungen nicht rechnet,"

Was die liberalen Parteien angeht, so bekämpfen sie die dislrctionäre Er-
mächtigung der Regierung im Hinblick auf die Verfassungsfrage, die ihnen über¬
haupt die Regel für die Beurteilung aller andern Fragen liefert, und die, kurz
gefaßt, das Verlangen der Liberalen einschließt, daß die Regierung vom Par¬
lament abhängig werde. Der Liberalismus will in kirchenpolitischen Angelegen¬
heiten keine diskrctivnären Vollmachten, weil er fürchtet, die Regierung könnte
sich damit stärken, indem sie die katholische" Wähler mit diesem Werkzeuge für
sich stimmte. DaS Zentrum soll, als stets zur Opposition bereit, erhalten bleiben,
damit die Regierung schwach und von der Unterstützung der Liberalen abhängig
bleibe, die sich dieselbe dann mit Zugeständnissen abkaufen zu lassen in der
Lage sind.

Die Konservativen endlich möchten, teils aus reiner romantischer Hinneigung
zu Rom, teils infolge des Aberglaubens, die römische Politik werde ihre reak-
tionären Bestrebungen fördern, mit Hilfe der ihnen sonst höchst nnshmpathischcn
liberalen Parteien die Maigesetze so umgestalten, daß die katholische Kirche mög¬
lichst viel Einfluß gewänne.

Überblicken wir das zuletzt über die Hauptparteien des Landtags gesagte,
so ist der jetzigen kirchenpolitischen Vorlage nur in dem Falle Erfolg zu prophe¬
zeien, daß die große Mehrzahl der Konservativen ihre Wünsche in der Sache
ihrem Vertrauen aus die Politik des Reichskanzlers unterordnet, und wenn das
Zentrum, vom Papste angeregt, für den Regiernngscntwurf stimmte. Eine solche
Anregung ist keine Unmöglichkeit; denn das System der diskrctivnären Voll¬
machten kehrt seine Spitze nicht so sehr gegen die Kurie als gegen das Zentrum,
und man täuscht sich Wohl uicht, wenn man annimmt, daß dem jetzigen Papste
ans mehr als einem Grunde ernstlich an der Herstellung eines guten Einver¬
nehmens mit der preußischem Regierung gelegen ist. Daß Herrn Windthorst
eine von Rom kommende Weisung zum Einlenken und Umschwenken eine frohe
Botschaft fein würde, wird schwerlich jemand vermuten, aber gehorchen müßte
er ihr bei Verlust seines Ansehens in der Partei.




vo-nzbvten I. 1882.
Reichstag und Landtag im neuen Jahre,

Fürsorge (man beachte Wohl diesen Satz, denn er enthält die eigensten Gedanken
des Kanzlers) nach dem Willen des Königs thut, was thunlich ist, um den
katholischen Unterthanen desselben das Maß freier kirchlicher Bewegung, welches
mit dem Staatsinteresse erträglich ist, zu verschaffen." Will das Zentrum dabei
nicht mitwirken, so wird die Regierung um so eher warten können, „als sie auf
Gegenleistungen nicht rechnet,"

Was die liberalen Parteien angeht, so bekämpfen sie die dislrctionäre Er-
mächtigung der Regierung im Hinblick auf die Verfassungsfrage, die ihnen über¬
haupt die Regel für die Beurteilung aller andern Fragen liefert, und die, kurz
gefaßt, das Verlangen der Liberalen einschließt, daß die Regierung vom Par¬
lament abhängig werde. Der Liberalismus will in kirchenpolitischen Angelegen¬
heiten keine diskrctivnären Vollmachten, weil er fürchtet, die Regierung könnte
sich damit stärken, indem sie die katholische» Wähler mit diesem Werkzeuge für
sich stimmte. DaS Zentrum soll, als stets zur Opposition bereit, erhalten bleiben,
damit die Regierung schwach und von der Unterstützung der Liberalen abhängig
bleibe, die sich dieselbe dann mit Zugeständnissen abkaufen zu lassen in der
Lage sind.

Die Konservativen endlich möchten, teils aus reiner romantischer Hinneigung
zu Rom, teils infolge des Aberglaubens, die römische Politik werde ihre reak-
tionären Bestrebungen fördern, mit Hilfe der ihnen sonst höchst nnshmpathischcn
liberalen Parteien die Maigesetze so umgestalten, daß die katholische Kirche mög¬
lichst viel Einfluß gewänne.

Überblicken wir das zuletzt über die Hauptparteien des Landtags gesagte,
so ist der jetzigen kirchenpolitischen Vorlage nur in dem Falle Erfolg zu prophe¬
zeien, daß die große Mehrzahl der Konservativen ihre Wünsche in der Sache
ihrem Vertrauen aus die Politik des Reichskanzlers unterordnet, und wenn das
Zentrum, vom Papste angeregt, für den Regiernngscntwurf stimmte. Eine solche
Anregung ist keine Unmöglichkeit; denn das System der diskrctivnären Voll¬
machten kehrt seine Spitze nicht so sehr gegen die Kurie als gegen das Zentrum,
und man täuscht sich Wohl uicht, wenn man annimmt, daß dem jetzigen Papste
ans mehr als einem Grunde ernstlich an der Herstellung eines guten Einver¬
nehmens mit der preußischem Regierung gelegen ist. Daß Herrn Windthorst
eine von Rom kommende Weisung zum Einlenken und Umschwenken eine frohe
Botschaft fein würde, wird schwerlich jemand vermuten, aber gehorchen müßte
er ihr bei Verlust seines Ansehens in der Partei.




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[0217] Reichstag und Landtag im neuen Jahre, Fürsorge (man beachte Wohl diesen Satz, denn er enthält die eigensten Gedanken des Kanzlers) nach dem Willen des Königs thut, was thunlich ist, um den katholischen Unterthanen desselben das Maß freier kirchlicher Bewegung, welches mit dem Staatsinteresse erträglich ist, zu verschaffen." Will das Zentrum dabei nicht mitwirken, so wird die Regierung um so eher warten können, „als sie auf Gegenleistungen nicht rechnet," Was die liberalen Parteien angeht, so bekämpfen sie die dislrctionäre Er- mächtigung der Regierung im Hinblick auf die Verfassungsfrage, die ihnen über¬ haupt die Regel für die Beurteilung aller andern Fragen liefert, und die, kurz gefaßt, das Verlangen der Liberalen einschließt, daß die Regierung vom Par¬ lament abhängig werde. Der Liberalismus will in kirchenpolitischen Angelegen¬ heiten keine diskrctivnären Vollmachten, weil er fürchtet, die Regierung könnte sich damit stärken, indem sie die katholische» Wähler mit diesem Werkzeuge für sich stimmte. DaS Zentrum soll, als stets zur Opposition bereit, erhalten bleiben, damit die Regierung schwach und von der Unterstützung der Liberalen abhängig bleibe, die sich dieselbe dann mit Zugeständnissen abkaufen zu lassen in der Lage sind. Die Konservativen endlich möchten, teils aus reiner romantischer Hinneigung zu Rom, teils infolge des Aberglaubens, die römische Politik werde ihre reak- tionären Bestrebungen fördern, mit Hilfe der ihnen sonst höchst nnshmpathischcn liberalen Parteien die Maigesetze so umgestalten, daß die katholische Kirche mög¬ lichst viel Einfluß gewänne. Überblicken wir das zuletzt über die Hauptparteien des Landtags gesagte, so ist der jetzigen kirchenpolitischen Vorlage nur in dem Falle Erfolg zu prophe¬ zeien, daß die große Mehrzahl der Konservativen ihre Wünsche in der Sache ihrem Vertrauen aus die Politik des Reichskanzlers unterordnet, und wenn das Zentrum, vom Papste angeregt, für den Regiernngscntwurf stimmte. Eine solche Anregung ist keine Unmöglichkeit; denn das System der diskrctivnären Voll¬ machten kehrt seine Spitze nicht so sehr gegen die Kurie als gegen das Zentrum, und man täuscht sich Wohl uicht, wenn man annimmt, daß dem jetzigen Papste ans mehr als einem Grunde ernstlich an der Herstellung eines guten Einver¬ nehmens mit der preußischem Regierung gelegen ist. Daß Herrn Windthorst eine von Rom kommende Weisung zum Einlenken und Umschwenken eine frohe Botschaft fein würde, wird schwerlich jemand vermuten, aber gehorchen müßte er ihr bei Verlust seines Ansehens in der Partei. vo-nzbvten I. 1882.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/217>, abgerufen am 01.07.2024.