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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Zeit und Vorzeit, Welt und Literatur ausgesprochen hat und aus dessen an
gute Freunde und Freundinnen gerichteten Briefen man das Beste, Liebens¬
würdigste und Gescheiteste zusammengetragen hat. Gewiß zunächst zur Erinnerung
für eben die guten Freunde und Freundinnen ^ dann aber doch auch zu Nutz
und Frommen des Publikums, das so geistreiche Belehrung über alles und jedes,
wenn sie namentlich im Gewände der unbefangensten Plauderei auftritt, wohl
brauchen kauu. Der "Unbekannte" wird übrigens in der Vorrede förmlich vor¬
gestellt, es ist Alexander de Villers, lange Jahre hindurch Legationssekretär und
wirklicher Legationsrat bei der sächsischen Gesandtschaft in Wien, zuletzt seit 1872
pensionirt, in ländlicher Zurückgezogenheit bei Wien lebend und durch seiue Briefe
feine eigne Muße und die andrer erheiternd. Herr von Villers ist am 16. Februar
1880 in Wien gestorben, ans einer wahrscheinlich großen Zahl seiner Briefe ist
eine kleine Gruppe ausgewählt worden, und der ungenannte Herausgeber, der
nicht ans großen Erfolg bei der Menge rechnet, hofft einzelnen etwas von dem
Genuß, der Herzensfreude, Anregung und Förderung zu geben, welche die Briefe
deu Empfängern gebracht haben. Anregung bietet das Buch unzweifelhaft, der
Genuß wird einigermaßen problematisch gemacht durch die absonderliche Art
der Anschauung und Bildung, welche in diesen Briefen zu Tage tritt.

Zunächst sind wir keineswegs der Meinung des Herausgebers, daß das
Buch nur für einzelne sein werde. Wenigstens ist jenes Element, das im
Wiener Feuilleton vorwaltet, in ihm stark vertreten, und wer die betreffenden
Feuilletons mit Genuß liest, der.sollte auch für die Reize dieser diplomatischen
Briefe empfänglich sein. Nehmen wir die letzte, vier Tage vor seinem Tode ge¬
schriebene Epistel des Herrn von Villers an die Gräfin Nccko als Probe, so
werden unsre Leser mit uns der Überzeugung sein, daß der sächsische Legationsrat
vollkommen das Zeug zu einem Gelehrten des modernen Feuilletons hatte.

"Danke sehr, liebe Gräfin, für Ihre guten Wunsche und Einladung. Möchte
selbst sehr gern und bald und für lange kommen. Jetzt gehts nur besser und
will nur noch ein wenig abwarten. Es ist weiter nichts als unbequem. Vor
fünfzig Jahren war ich noch ganz frisch und jung und jetzt auf einmal -- es
ist sehr merkwürdig! Wenn ich wieder auf die Welt kommen sollte, habe ich mir
vorgenommen als Jahrhundert zu kommen. Erstens wird man dann berühmt,
kommt in die Geschichte, man erlebt eine Menge silberne und goldne Hochzeiten,
Schlachte", Mietkontrakte, Schauspielerjubiläums, Wvhlthätigkeitsbazars, Übcr-
schwemmuugscottillous und andre Unglücksvergnügungen und schließlich wird man
wenigstens neunundneunzig Jahre alt. Als Jahrhundert kann man auch anstelle",
was ma" will, es geschieht einem nichts, nie ist ein Jahrhundert eingesperrt worden
und noch nie ist eins gehängt worden. Nu, sehen Sie zum Beispiel unser Jahr¬
hundert an, es hat gekracht, das alles krachte, hat eine Menge gute Freunde
schändlich ums Leben gebracht, versteht gar nichts vom Landbau und kann nicht
einmal den Weizen in Se. Miklosz ordentlich ausreifen lassen, aber jedesmal


Zeit und Vorzeit, Welt und Literatur ausgesprochen hat und aus dessen an
gute Freunde und Freundinnen gerichteten Briefen man das Beste, Liebens¬
würdigste und Gescheiteste zusammengetragen hat. Gewiß zunächst zur Erinnerung
für eben die guten Freunde und Freundinnen ^ dann aber doch auch zu Nutz
und Frommen des Publikums, das so geistreiche Belehrung über alles und jedes,
wenn sie namentlich im Gewände der unbefangensten Plauderei auftritt, wohl
brauchen kauu. Der „Unbekannte" wird übrigens in der Vorrede förmlich vor¬
gestellt, es ist Alexander de Villers, lange Jahre hindurch Legationssekretär und
wirklicher Legationsrat bei der sächsischen Gesandtschaft in Wien, zuletzt seit 1872
pensionirt, in ländlicher Zurückgezogenheit bei Wien lebend und durch seiue Briefe
feine eigne Muße und die andrer erheiternd. Herr von Villers ist am 16. Februar
1880 in Wien gestorben, ans einer wahrscheinlich großen Zahl seiner Briefe ist
eine kleine Gruppe ausgewählt worden, und der ungenannte Herausgeber, der
nicht ans großen Erfolg bei der Menge rechnet, hofft einzelnen etwas von dem
Genuß, der Herzensfreude, Anregung und Förderung zu geben, welche die Briefe
deu Empfängern gebracht haben. Anregung bietet das Buch unzweifelhaft, der
Genuß wird einigermaßen problematisch gemacht durch die absonderliche Art
der Anschauung und Bildung, welche in diesen Briefen zu Tage tritt.

Zunächst sind wir keineswegs der Meinung des Herausgebers, daß das
Buch nur für einzelne sein werde. Wenigstens ist jenes Element, das im
Wiener Feuilleton vorwaltet, in ihm stark vertreten, und wer die betreffenden
Feuilletons mit Genuß liest, der.sollte auch für die Reize dieser diplomatischen
Briefe empfänglich sein. Nehmen wir die letzte, vier Tage vor seinem Tode ge¬
schriebene Epistel des Herrn von Villers an die Gräfin Nccko als Probe, so
werden unsre Leser mit uns der Überzeugung sein, daß der sächsische Legationsrat
vollkommen das Zeug zu einem Gelehrten des modernen Feuilletons hatte.

„Danke sehr, liebe Gräfin, für Ihre guten Wunsche und Einladung. Möchte
selbst sehr gern und bald und für lange kommen. Jetzt gehts nur besser und
will nur noch ein wenig abwarten. Es ist weiter nichts als unbequem. Vor
fünfzig Jahren war ich noch ganz frisch und jung und jetzt auf einmal — es
ist sehr merkwürdig! Wenn ich wieder auf die Welt kommen sollte, habe ich mir
vorgenommen als Jahrhundert zu kommen. Erstens wird man dann berühmt,
kommt in die Geschichte, man erlebt eine Menge silberne und goldne Hochzeiten,
Schlachte», Mietkontrakte, Schauspielerjubiläums, Wvhlthätigkeitsbazars, Übcr-
schwemmuugscottillous und andre Unglücksvergnügungen und schließlich wird man
wenigstens neunundneunzig Jahre alt. Als Jahrhundert kann man auch anstelle»,
was ma» will, es geschieht einem nichts, nie ist ein Jahrhundert eingesperrt worden
und noch nie ist eins gehängt worden. Nu, sehen Sie zum Beispiel unser Jahr¬
hundert an, es hat gekracht, das alles krachte, hat eine Menge gute Freunde
schändlich ums Leben gebracht, versteht gar nichts vom Landbau und kann nicht
einmal den Weizen in Se. Miklosz ordentlich ausreifen lassen, aber jedesmal


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[0189] Zeit und Vorzeit, Welt und Literatur ausgesprochen hat und aus dessen an gute Freunde und Freundinnen gerichteten Briefen man das Beste, Liebens¬ würdigste und Gescheiteste zusammengetragen hat. Gewiß zunächst zur Erinnerung für eben die guten Freunde und Freundinnen ^ dann aber doch auch zu Nutz und Frommen des Publikums, das so geistreiche Belehrung über alles und jedes, wenn sie namentlich im Gewände der unbefangensten Plauderei auftritt, wohl brauchen kauu. Der „Unbekannte" wird übrigens in der Vorrede förmlich vor¬ gestellt, es ist Alexander de Villers, lange Jahre hindurch Legationssekretär und wirklicher Legationsrat bei der sächsischen Gesandtschaft in Wien, zuletzt seit 1872 pensionirt, in ländlicher Zurückgezogenheit bei Wien lebend und durch seiue Briefe feine eigne Muße und die andrer erheiternd. Herr von Villers ist am 16. Februar 1880 in Wien gestorben, ans einer wahrscheinlich großen Zahl seiner Briefe ist eine kleine Gruppe ausgewählt worden, und der ungenannte Herausgeber, der nicht ans großen Erfolg bei der Menge rechnet, hofft einzelnen etwas von dem Genuß, der Herzensfreude, Anregung und Förderung zu geben, welche die Briefe deu Empfängern gebracht haben. Anregung bietet das Buch unzweifelhaft, der Genuß wird einigermaßen problematisch gemacht durch die absonderliche Art der Anschauung und Bildung, welche in diesen Briefen zu Tage tritt. Zunächst sind wir keineswegs der Meinung des Herausgebers, daß das Buch nur für einzelne sein werde. Wenigstens ist jenes Element, das im Wiener Feuilleton vorwaltet, in ihm stark vertreten, und wer die betreffenden Feuilletons mit Genuß liest, der.sollte auch für die Reize dieser diplomatischen Briefe empfänglich sein. Nehmen wir die letzte, vier Tage vor seinem Tode ge¬ schriebene Epistel des Herrn von Villers an die Gräfin Nccko als Probe, so werden unsre Leser mit uns der Überzeugung sein, daß der sächsische Legationsrat vollkommen das Zeug zu einem Gelehrten des modernen Feuilletons hatte. „Danke sehr, liebe Gräfin, für Ihre guten Wunsche und Einladung. Möchte selbst sehr gern und bald und für lange kommen. Jetzt gehts nur besser und will nur noch ein wenig abwarten. Es ist weiter nichts als unbequem. Vor fünfzig Jahren war ich noch ganz frisch und jung und jetzt auf einmal — es ist sehr merkwürdig! Wenn ich wieder auf die Welt kommen sollte, habe ich mir vorgenommen als Jahrhundert zu kommen. Erstens wird man dann berühmt, kommt in die Geschichte, man erlebt eine Menge silberne und goldne Hochzeiten, Schlachte», Mietkontrakte, Schauspielerjubiläums, Wvhlthätigkeitsbazars, Übcr- schwemmuugscottillous und andre Unglücksvergnügungen und schließlich wird man wenigstens neunundneunzig Jahre alt. Als Jahrhundert kann man auch anstelle», was ma» will, es geschieht einem nichts, nie ist ein Jahrhundert eingesperrt worden und noch nie ist eins gehängt worden. Nu, sehen Sie zum Beispiel unser Jahr¬ hundert an, es hat gekracht, das alles krachte, hat eine Menge gute Freunde schändlich ums Leben gebracht, versteht gar nichts vom Landbau und kann nicht einmal den Weizen in Se. Miklosz ordentlich ausreifen lassen, aber jedesmal

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/189>, abgerufen am 26.06.2024.