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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Paul Lindau.

zu hinterlassen, von der Anklage des Verrath zu befreien. Was aber Schedel
mit seiner "Lösung der Wallensteinfrage" nicht erreicht hat, ist nach unserm
Ermessen Bekker mit seiner Rettung der Maria Stuart vollständig gelungen.
In glänzender Weise hat er die Aufgabe, welche andere vor ihm nur unvoll¬
kommen gelöst haben, durchgeführt und die Schuldlosigkeit der unglücklichen
Königin von Schottland nachgewiesen.




Paul Lindau.

s war ein Herr, der über Land zog und teilte seiue Güter unter
seine Knechte. Dem einen gab er fünf Pfund, dem andern drei,
dem dritten zwei und dem vierten eines, und trug ihnen auf, damit
zu wirtschaften. Und als er wiederkam, Rechenschaft zu fordern,
da hatte der erste zu den fünf Pfund noch fünf andre gewonnen,
auch zwei von den andern hatten ihren Besitz vermehrt, nur der letzte hatte sein
Pfund vergraben und gab es dem Herrn zurück, indem er sagte: Ich fürchtete
mich vor dir, denn ich wußte, daß du ein harter Mann bist. Siehe, da hast
du das Deine. Der Herr aber lobte die andern und nannte diesen allzuvorsich¬
tigen einen Schalk und faulen Knecht.

Dieses Gleichnis fiel uns ein, als wir dieser Tage eine Besprechung des
Spiclhagenschen Romans "Angela" von Paul Lindau in "Nord und Süd" zu
lesen uns bemühten. Paul Lindau hat wohl von allen jetzt lebenden deutscheu
Schriftsteller" deu schärfsten Verstand. Er hat einen untrüglichen, nüchternen Blick
für alle Dinge, die innerhalb seines Gesichtskreises liegen, und dieser Gesichts¬
kreis ist ziemlich weit. Er hat dazu eine Gabe des Ausdrucks, die ihn vor
allen andern befähigt, das, was er selber verstanden hat, dem großen Publikum
verständlich zu machen. Er ist der geborne Kritiker. Er ist von der Natur
dazu bestimmt, als ein scharfer Besen im Augiasstall der Literatur zu wirtschaften.
Dies sein Talent ist das Pfund, welches der Herr ihm anvertraute.

Zu Anfang seiner Laufbahn zeigte er auch dies Talent. Mit Vergnügen
mußte man seinen Aufsatz über Gutzkows "Urbild des Tartüffe" lesen, gespannt
folgte man den feinen, sich tief einbohrenden Gedanken, die diesen damals Herven¬
haft emporragenden Dichter gleichsam skelettirten. Mit Freuden entdeckte man
ein Streben nach hohen Zielen, das stärker zu sein schien als die Weltklugheit,
das den Verfasser hinzureißen schien, sich selbst zum Schaden als ein Zeuge für
das Gute aufzutreten.


Paul Lindau.

zu hinterlassen, von der Anklage des Verrath zu befreien. Was aber Schedel
mit seiner «Lösung der Wallensteinfrage» nicht erreicht hat, ist nach unserm
Ermessen Bekker mit seiner Rettung der Maria Stuart vollständig gelungen.
In glänzender Weise hat er die Aufgabe, welche andere vor ihm nur unvoll¬
kommen gelöst haben, durchgeführt und die Schuldlosigkeit der unglücklichen
Königin von Schottland nachgewiesen.




Paul Lindau.

s war ein Herr, der über Land zog und teilte seiue Güter unter
seine Knechte. Dem einen gab er fünf Pfund, dem andern drei,
dem dritten zwei und dem vierten eines, und trug ihnen auf, damit
zu wirtschaften. Und als er wiederkam, Rechenschaft zu fordern,
da hatte der erste zu den fünf Pfund noch fünf andre gewonnen,
auch zwei von den andern hatten ihren Besitz vermehrt, nur der letzte hatte sein
Pfund vergraben und gab es dem Herrn zurück, indem er sagte: Ich fürchtete
mich vor dir, denn ich wußte, daß du ein harter Mann bist. Siehe, da hast
du das Deine. Der Herr aber lobte die andern und nannte diesen allzuvorsich¬
tigen einen Schalk und faulen Knecht.

Dieses Gleichnis fiel uns ein, als wir dieser Tage eine Besprechung des
Spiclhagenschen Romans „Angela" von Paul Lindau in „Nord und Süd" zu
lesen uns bemühten. Paul Lindau hat wohl von allen jetzt lebenden deutscheu
Schriftsteller» deu schärfsten Verstand. Er hat einen untrüglichen, nüchternen Blick
für alle Dinge, die innerhalb seines Gesichtskreises liegen, und dieser Gesichts¬
kreis ist ziemlich weit. Er hat dazu eine Gabe des Ausdrucks, die ihn vor
allen andern befähigt, das, was er selber verstanden hat, dem großen Publikum
verständlich zu machen. Er ist der geborne Kritiker. Er ist von der Natur
dazu bestimmt, als ein scharfer Besen im Augiasstall der Literatur zu wirtschaften.
Dies sein Talent ist das Pfund, welches der Herr ihm anvertraute.

Zu Anfang seiner Laufbahn zeigte er auch dies Talent. Mit Vergnügen
mußte man seinen Aufsatz über Gutzkows „Urbild des Tartüffe" lesen, gespannt
folgte man den feinen, sich tief einbohrenden Gedanken, die diesen damals Herven¬
haft emporragenden Dichter gleichsam skelettirten. Mit Freuden entdeckte man
ein Streben nach hohen Zielen, das stärker zu sein schien als die Weltklugheit,
das den Verfasser hinzureißen schien, sich selbst zum Schaden als ein Zeuge für
das Gute aufzutreten.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/135>, abgerufen am 23.07.2024.