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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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pcniislamismus.

die Annahme sein, beiß, wenn Fürst Vismarck auch dem Sultan erlangte, Tunis
wieder zu erobern und vielleicht selbst Algerien zu anncktircu, es doch höchst
zweifelhaft sei, ob er der Pforte für ihren in Afrika geleisteten Beistand ein
Entgelt in Europa gewähren werde. Gewiß ist das nicht blos zweifelhaft
sondern so ganz unmöglich, das; man es eigentlich gar nicht in Betracht ziehen
sollte. Er würde in diesem Falle Nußland entgegentreten und direkt gegen
Deutschlands natürlichsten Verbündeten, Österreich-Ungarn, Handel" müssen, das
von dem Gebiete des "kranken Mannes" Bosnien seinen Besitz einverleibt hat,
beides sicher das allerletzte, was ihm in den Sinn kommen könnte.

Wir Deutschen wollen vor allen Dingen Sicherung des Friedens, und
dazu bedürfen wir der Hilfe des Pcmislamismus nicht, uns genügt das
Bündnis mit Österreich-Ungarn, zumal wenn Österreich auf gutem Fuße mit
Italien steht, vollkommen. Wir haben aber auch keinerlei Ursache, den Einfluß
des Kalifen und dessen Ausbreitung zu hindern; denn wir haben keinerlei Anspruch
auf Länder, die von Mohammedanern bewohnt sind. Beinahe dasselbe gilt von
Rußland, das zwar der politische Feind der Türkei ist und bleiben wird, aber
wenig oder gar keinen Grund hat, den Islam als Religion zu fürchten und zu
beschränke"; denn obwohl der Zar mohammedanische Unterthanen hat, sind die¬
selben so zerstreut und so wenig zahlreich, daß von ihnen keinerlei erhebliche
Gefahr droht. Auch Österreich-Ungarn kann der Ausdehnung des Kalifats im
Ganzen mit Ruhe zusehen, da dieselbe seinen Besitz in Bosnien und der Herze¬
gowina und seine weiteren Aussichten ans der Balkanhalbinsel bei der Stärke
des christlichen Elements in jenen Ländern kaum beträchtlich gefährden kann.
In England dagegen könnte ein mächtiger werdendes Kalifat Befürchtungen wegen
eines Wiederauflebens der muslimischen Antipathien in Indien erwecken, doch
nur für den Fall, daß man in London die Thorheit beginge, der Pforte den
Krieg zu erkläre". Es bleibt also bei unsrer Behauptung, daß der Pcmislamis¬
mus nur die Interessen und Ziele Frankreichs bedroht.

Zum Schlüsse noch eine andre Betrachtung. Vor zwei Menschenaltern
schienen kirchliche und religiöse Bestrebungen und Ansprüche in der Politik ein
Anachronismus zu sein. Religionskriege waren in dieser Zeit vergangne Dinge.
Indem die Wissenschaft fortschritt, die Bildung wuchs, die Duldsamkeit mehr und
mehr zur allgemeinen Tugend wurde, glaubte man, der Einfluß der Kirchen und
der Glaubensbekenntnisse werde aussterben. Eisenbahnen und Dampfschiffe und die
Gedanken, welche die Menschheit aufklären, würden jene alten Mächte auflösen,
und das neue Geschlecht würde nie mehr Fahnen vom Papste segnen und asiatische
Krieger mit Allahgeschrci auf christliche Truppen losstürmen sehen. So dachte
man noch 1848, und die große Weltausstellung von 1851 schien es zu bestätigen.
Aber wenige Jahre nachher entzündete sich von einem Zank über die Schlüssel
zum heiligen Grabe ein großer Krieg. Später strömten bigotte Freiwillige aus
allen Ländern mich Rom unter die Fahne des heiligen Vaters. Ultramontaner


pcniislamismus.

die Annahme sein, beiß, wenn Fürst Vismarck auch dem Sultan erlangte, Tunis
wieder zu erobern und vielleicht selbst Algerien zu anncktircu, es doch höchst
zweifelhaft sei, ob er der Pforte für ihren in Afrika geleisteten Beistand ein
Entgelt in Europa gewähren werde. Gewiß ist das nicht blos zweifelhaft
sondern so ganz unmöglich, das; man es eigentlich gar nicht in Betracht ziehen
sollte. Er würde in diesem Falle Nußland entgegentreten und direkt gegen
Deutschlands natürlichsten Verbündeten, Österreich-Ungarn, Handel» müssen, das
von dem Gebiete des „kranken Mannes" Bosnien seinen Besitz einverleibt hat,
beides sicher das allerletzte, was ihm in den Sinn kommen könnte.

Wir Deutschen wollen vor allen Dingen Sicherung des Friedens, und
dazu bedürfen wir der Hilfe des Pcmislamismus nicht, uns genügt das
Bündnis mit Österreich-Ungarn, zumal wenn Österreich auf gutem Fuße mit
Italien steht, vollkommen. Wir haben aber auch keinerlei Ursache, den Einfluß
des Kalifen und dessen Ausbreitung zu hindern; denn wir haben keinerlei Anspruch
auf Länder, die von Mohammedanern bewohnt sind. Beinahe dasselbe gilt von
Rußland, das zwar der politische Feind der Türkei ist und bleiben wird, aber
wenig oder gar keinen Grund hat, den Islam als Religion zu fürchten und zu
beschränke»; denn obwohl der Zar mohammedanische Unterthanen hat, sind die¬
selben so zerstreut und so wenig zahlreich, daß von ihnen keinerlei erhebliche
Gefahr droht. Auch Österreich-Ungarn kann der Ausdehnung des Kalifats im
Ganzen mit Ruhe zusehen, da dieselbe seinen Besitz in Bosnien und der Herze¬
gowina und seine weiteren Aussichten ans der Balkanhalbinsel bei der Stärke
des christlichen Elements in jenen Ländern kaum beträchtlich gefährden kann.
In England dagegen könnte ein mächtiger werdendes Kalifat Befürchtungen wegen
eines Wiederauflebens der muslimischen Antipathien in Indien erwecken, doch
nur für den Fall, daß man in London die Thorheit beginge, der Pforte den
Krieg zu erkläre». Es bleibt also bei unsrer Behauptung, daß der Pcmislamis¬
mus nur die Interessen und Ziele Frankreichs bedroht.

Zum Schlüsse noch eine andre Betrachtung. Vor zwei Menschenaltern
schienen kirchliche und religiöse Bestrebungen und Ansprüche in der Politik ein
Anachronismus zu sein. Religionskriege waren in dieser Zeit vergangne Dinge.
Indem die Wissenschaft fortschritt, die Bildung wuchs, die Duldsamkeit mehr und
mehr zur allgemeinen Tugend wurde, glaubte man, der Einfluß der Kirchen und
der Glaubensbekenntnisse werde aussterben. Eisenbahnen und Dampfschiffe und die
Gedanken, welche die Menschheit aufklären, würden jene alten Mächte auflösen,
und das neue Geschlecht würde nie mehr Fahnen vom Papste segnen und asiatische
Krieger mit Allahgeschrci auf christliche Truppen losstürmen sehen. So dachte
man noch 1848, und die große Weltausstellung von 1851 schien es zu bestätigen.
Aber wenige Jahre nachher entzündete sich von einem Zank über die Schlüssel
zum heiligen Grabe ein großer Krieg. Später strömten bigotte Freiwillige aus
allen Ländern mich Rom unter die Fahne des heiligen Vaters. Ultramontaner


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/116>, abgerufen am 28.09.2024.