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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Bakchen und Thyrsosträger.

Er war elegant, aber ernsthaft gekleidet. Er war alles in allein eine Erscheinung,
bei der man fühlte, sie sei da, um an der Spitze zu stehen.

In der That, erwiederte er mit einen: kleinen Seufzer, ich habe nicht viel
Muße und komme seltner als mancher andre dazu, mir die Freuden des Privat¬
lebens zu gönnen. Denn die politischen Verhältnisse sind bei uns von kom-
plizirter Art und wollen mit großer Delikatesse und Umsicht behandelt werden.
Wo nur irgend ein wichtiger Beschluß zu fassen ist, wenden sich die Mitglieder
unsrer Partei an mich, sei es um, daß es gilt, die nötige Uebereinstimmung
unter den Gesinnungsgenossen selbst aufrecht zu erhalten oder herbeizuführen, sei
es, daß es darauf ankommt, der Regierung mit der gehörigen Energie und doch
Schmiegsamkeit entgegenzutreten. Denn mau hat sich überzeugt, in mir den
geschicktesten Beurteiler und Unterhändler zu besitzen, obwohl ich selbst ja
weiß, daß man allgemein eine viel zu hohe Meinung von nur hat. Dazu liegt
mir noch die Sorge für das große und gemeimiützige Institut der Patriotischen
Handelsbank und des Reichsevnsolidirungsfvnds ob. So komme ich denn freilich
selten dazu, mir Genüsse zu verschaffen, die Männern in bescheidner Lebensstellung
als natürliche Bedürfnisse erscheinen.

Ja, mein lieber Balduin, sagte der Gelehrte, es ist eben keine Kleinigkeit, ein
großer Politiker, Diplomat und Nativnnlökvnom zu sein. Dn hast nicht nnr
das Talent, ein großes Vermögen zu erwerben, während du dem Lande durch
deine finanziellen Operationen zur Blüte verhilfst, sondern auch die hervorragende
Geschicklichkeit in Staatsaffaircn, die dem notwendig ist, der nicht unterschätzt
werden, sondern sich einen Namen machen will. Ich bewundre das in der That.
Aber Mühe hast du natürlich davon.

Der Reichstags-Abgeordnete warf seinein Schwager einen mißtrauischen
Blick zu.

Dieser blieb jedoch ganz ernsthaft und behielt seine sorglich nachdenkende
Miene, während er fortfuhr: Wie mag es mir komme", daß jene Männer der
Geschichte, die wir schon in der Schule als vorzügliche Staatsmänner und Ge¬
setzgeber kennen lernten, nicht allein die Alten, wie Aristides, Lykurg, Solon
und so weiter, sondern mich die neueren Patrioten, wie zum Beispiel Franklin
und Washington oder auch unser Landsmnuu Freiherr vom Stein, wie mag es
nnr kommen, daß diese Männer so gar kein Geschick besaßen, ein Vermögen zu
machen, im Gegenteil die größten Unannehmlichkeiten, Verbannung, Confiskatiou
ihrer Güter erleiden mußten, ja, daß sie sogar solche Nachteile wenig beachteten
und selbst noch von dem Ihrigen weggaben, um dem allgemeinen Besten zu dienen?

Die vergangenen Zeiten, mein guter Schwager, sagte Dr. Irrwisch achsel-
zuckend, sind mit den jetzigen gar nicht zu vergleichen. Jene Einfachheit der Ver¬
hältnisse existirt nur noch in der Erinnerung, und es ist an Stelle der primi¬
tiven Zustünde zu Anfange des Jahrhunderts oder im achtzehnten Jahrhundert
oder nun gar des Altertums eine entwickelte Kultur getreten, die an Vielfältig-


Bakchen und Thyrsosträger.

Er war elegant, aber ernsthaft gekleidet. Er war alles in allein eine Erscheinung,
bei der man fühlte, sie sei da, um an der Spitze zu stehen.

In der That, erwiederte er mit einen: kleinen Seufzer, ich habe nicht viel
Muße und komme seltner als mancher andre dazu, mir die Freuden des Privat¬
lebens zu gönnen. Denn die politischen Verhältnisse sind bei uns von kom-
plizirter Art und wollen mit großer Delikatesse und Umsicht behandelt werden.
Wo nur irgend ein wichtiger Beschluß zu fassen ist, wenden sich die Mitglieder
unsrer Partei an mich, sei es um, daß es gilt, die nötige Uebereinstimmung
unter den Gesinnungsgenossen selbst aufrecht zu erhalten oder herbeizuführen, sei
es, daß es darauf ankommt, der Regierung mit der gehörigen Energie und doch
Schmiegsamkeit entgegenzutreten. Denn mau hat sich überzeugt, in mir den
geschicktesten Beurteiler und Unterhändler zu besitzen, obwohl ich selbst ja
weiß, daß man allgemein eine viel zu hohe Meinung von nur hat. Dazu liegt
mir noch die Sorge für das große und gemeimiützige Institut der Patriotischen
Handelsbank und des Reichsevnsolidirungsfvnds ob. So komme ich denn freilich
selten dazu, mir Genüsse zu verschaffen, die Männern in bescheidner Lebensstellung
als natürliche Bedürfnisse erscheinen.

Ja, mein lieber Balduin, sagte der Gelehrte, es ist eben keine Kleinigkeit, ein
großer Politiker, Diplomat und Nativnnlökvnom zu sein. Dn hast nicht nnr
das Talent, ein großes Vermögen zu erwerben, während du dem Lande durch
deine finanziellen Operationen zur Blüte verhilfst, sondern auch die hervorragende
Geschicklichkeit in Staatsaffaircn, die dem notwendig ist, der nicht unterschätzt
werden, sondern sich einen Namen machen will. Ich bewundre das in der That.
Aber Mühe hast du natürlich davon.

Der Reichstags-Abgeordnete warf seinein Schwager einen mißtrauischen
Blick zu.

Dieser blieb jedoch ganz ernsthaft und behielt seine sorglich nachdenkende
Miene, während er fortfuhr: Wie mag es mir komme», daß jene Männer der
Geschichte, die wir schon in der Schule als vorzügliche Staatsmänner und Ge¬
setzgeber kennen lernten, nicht allein die Alten, wie Aristides, Lykurg, Solon
und so weiter, sondern mich die neueren Patrioten, wie zum Beispiel Franklin
und Washington oder auch unser Landsmnuu Freiherr vom Stein, wie mag es
nnr kommen, daß diese Männer so gar kein Geschick besaßen, ein Vermögen zu
machen, im Gegenteil die größten Unannehmlichkeiten, Verbannung, Confiskatiou
ihrer Güter erleiden mußten, ja, daß sie sogar solche Nachteile wenig beachteten
und selbst noch von dem Ihrigen weggaben, um dem allgemeinen Besten zu dienen?

Die vergangenen Zeiten, mein guter Schwager, sagte Dr. Irrwisch achsel-
zuckend, sind mit den jetzigen gar nicht zu vergleichen. Jene Einfachheit der Ver¬
hältnisse existirt nur noch in der Erinnerung, und es ist an Stelle der primi¬
tiven Zustünde zu Anfange des Jahrhunderts oder im achtzehnten Jahrhundert
oder nun gar des Altertums eine entwickelte Kultur getreten, die an Vielfältig-


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[0109] Bakchen und Thyrsosträger. Er war elegant, aber ernsthaft gekleidet. Er war alles in allein eine Erscheinung, bei der man fühlte, sie sei da, um an der Spitze zu stehen. In der That, erwiederte er mit einen: kleinen Seufzer, ich habe nicht viel Muße und komme seltner als mancher andre dazu, mir die Freuden des Privat¬ lebens zu gönnen. Denn die politischen Verhältnisse sind bei uns von kom- plizirter Art und wollen mit großer Delikatesse und Umsicht behandelt werden. Wo nur irgend ein wichtiger Beschluß zu fassen ist, wenden sich die Mitglieder unsrer Partei an mich, sei es um, daß es gilt, die nötige Uebereinstimmung unter den Gesinnungsgenossen selbst aufrecht zu erhalten oder herbeizuführen, sei es, daß es darauf ankommt, der Regierung mit der gehörigen Energie und doch Schmiegsamkeit entgegenzutreten. Denn mau hat sich überzeugt, in mir den geschicktesten Beurteiler und Unterhändler zu besitzen, obwohl ich selbst ja weiß, daß man allgemein eine viel zu hohe Meinung von nur hat. Dazu liegt mir noch die Sorge für das große und gemeimiützige Institut der Patriotischen Handelsbank und des Reichsevnsolidirungsfvnds ob. So komme ich denn freilich selten dazu, mir Genüsse zu verschaffen, die Männern in bescheidner Lebensstellung als natürliche Bedürfnisse erscheinen. Ja, mein lieber Balduin, sagte der Gelehrte, es ist eben keine Kleinigkeit, ein großer Politiker, Diplomat und Nativnnlökvnom zu sein. Dn hast nicht nnr das Talent, ein großes Vermögen zu erwerben, während du dem Lande durch deine finanziellen Operationen zur Blüte verhilfst, sondern auch die hervorragende Geschicklichkeit in Staatsaffaircn, die dem notwendig ist, der nicht unterschätzt werden, sondern sich einen Namen machen will. Ich bewundre das in der That. Aber Mühe hast du natürlich davon. Der Reichstags-Abgeordnete warf seinein Schwager einen mißtrauischen Blick zu. Dieser blieb jedoch ganz ernsthaft und behielt seine sorglich nachdenkende Miene, während er fortfuhr: Wie mag es mir komme», daß jene Männer der Geschichte, die wir schon in der Schule als vorzügliche Staatsmänner und Ge¬ setzgeber kennen lernten, nicht allein die Alten, wie Aristides, Lykurg, Solon und so weiter, sondern mich die neueren Patrioten, wie zum Beispiel Franklin und Washington oder auch unser Landsmnuu Freiherr vom Stein, wie mag es nnr kommen, daß diese Männer so gar kein Geschick besaßen, ein Vermögen zu machen, im Gegenteil die größten Unannehmlichkeiten, Verbannung, Confiskatiou ihrer Güter erleiden mußten, ja, daß sie sogar solche Nachteile wenig beachteten und selbst noch von dem Ihrigen weggaben, um dem allgemeinen Besten zu dienen? Die vergangenen Zeiten, mein guter Schwager, sagte Dr. Irrwisch achsel- zuckend, sind mit den jetzigen gar nicht zu vergleichen. Jene Einfachheit der Ver¬ hältnisse existirt nur noch in der Erinnerung, und es ist an Stelle der primi¬ tiven Zustünde zu Anfange des Jahrhunderts oder im achtzehnten Jahrhundert oder nun gar des Altertums eine entwickelte Kultur getreten, die an Vielfältig-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/109>, abgerufen am 05.02.2025.