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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Das deutsche Haus.

Durchaus verschieden von dieser innern Einrichtung des fränkisch-ober¬
deutschen Hauses ist um die des wohlbekannten sächsischen Hauses, welches alles
unter einem und zwar tief herabgehenden und das Ganze gewissermaßen ein¬
hüllenden Dache zu- einem übersichtlichen, dichtgedrängten Fanülienhaushalte ver¬
einigt. Das sächsische Haus ist im Grundriß ein langgedehntes Rechteck; um der
vordern Giebelseite befindet sich das Einfahrtsthor, welches zu einer bis in die
Mitte des Hauses sich erstreckenden großen Diele führt; am Ende der Diele
liegen die Wohnräume mit dein Herde. Während anf der dreischiffigen Diele
(Mittelgang, rechts und links davon Verschlage) das wirtschaftliche Leben seinen
Platz hat, vereinigt der Herd, der fast in der Mitte des Hauses liegt, das
eigentliche häusliche Leben. Vom Herde ans kann der Hausherr und die Haus¬
frau alles, was im Wohnraume und in der Wirtschaft vorgeht, ohne weiteres
und jederzeit übersehen, das Gesinde überwachen und Pferde wie Vieh, da beides
in deu Verschlägen zur Seite der Diele mit dem Kopfe nach dieser hin gerichtet
steht, bequem im Auge haben.

In der Vereinigung aller Räume zu einem Hause, sonne in der drei¬
schiffigen Dielenanlage besteht das Charakteristische des sächsischen Hauses. In
jener Vereinigung und in dem Hervortreten der Diele mag es vielleicht liegen,
daß viele, auch Meitzeu, das sächsische Hans aus der Scheune hervorgehen lassen.
Bis geschichtliche Nachweise hierfür erbracht sind, muß aber wohl angenommen
werden, daß der Wohnraum naturgemäß zuerst vorhanden war und ans diesem
dnrch Ausdehnung und Hereinziehen der Wirtschaftsräume die jetzige Form ent¬
stand. Die im ganzen seltene Hinzufügung einzelner Scheunen, welche eine gleich¬
mäßige Anordnung nicht erkennen läßt, kann unberücksichtigt bleiben; eher ver¬
diente noch Beachtung die Abschließung der Hofstätte durch Gräben, Zäune und
Mauern, welche die Vereinigung des ganzen Hauswesens zu einem einheitlichen
Ganzen noch mehr hervortreten läßt.

Nicht nnr das Alter der sächsischen Hausform ist unbestritten, sondern es
ist mich in jeder Zeit dieselbe planvolle Anlage des sächsischen Hauses, welche
sich selbst in den etwaigen Veränderungen wiedererkennen läßt, wahrzunehmen,
sodaß mit Recht angenommen wird, es müßten die oben erwähnten hauptsäch¬
lichen Merkmale des heutigen sächsischen Hnnses auch schon von alters her den
eigentlichen Charakter desselben ausgemacht haben.

Abänderungen des sächsischen Hanfes bestehen zunächst in einer Verbesserung
der Wohnräume, und zwar durch Verlängerung des Hauses hinter dem Herde, durch
Anfügen einzelner Stuben und Kammern, welche in manchen Gegenden sogar
einen besondern Wohnraum bilden. Anderwärts läßt man das Einfahrtsthor
in das Hans zurücktreten und gewinnt so vor der Einfahrt einen freien Raum,
Utlucht oder Vorschvpf genannt. Mitunter wird die Diele von der Flek, dem
Raume, auf welchem sich der Herd befindet, durch einen leicht wegnehmbaren
Bretterverschlag getrennt. In einigen Landstrichen (Paderborn, Schaumburg,


Das deutsche Haus.

Durchaus verschieden von dieser innern Einrichtung des fränkisch-ober¬
deutschen Hauses ist um die des wohlbekannten sächsischen Hauses, welches alles
unter einem und zwar tief herabgehenden und das Ganze gewissermaßen ein¬
hüllenden Dache zu- einem übersichtlichen, dichtgedrängten Fanülienhaushalte ver¬
einigt. Das sächsische Haus ist im Grundriß ein langgedehntes Rechteck; um der
vordern Giebelseite befindet sich das Einfahrtsthor, welches zu einer bis in die
Mitte des Hauses sich erstreckenden großen Diele führt; am Ende der Diele
liegen die Wohnräume mit dein Herde. Während anf der dreischiffigen Diele
(Mittelgang, rechts und links davon Verschlage) das wirtschaftliche Leben seinen
Platz hat, vereinigt der Herd, der fast in der Mitte des Hauses liegt, das
eigentliche häusliche Leben. Vom Herde ans kann der Hausherr und die Haus¬
frau alles, was im Wohnraume und in der Wirtschaft vorgeht, ohne weiteres
und jederzeit übersehen, das Gesinde überwachen und Pferde wie Vieh, da beides
in deu Verschlägen zur Seite der Diele mit dem Kopfe nach dieser hin gerichtet
steht, bequem im Auge haben.

In der Vereinigung aller Räume zu einem Hause, sonne in der drei¬
schiffigen Dielenanlage besteht das Charakteristische des sächsischen Hauses. In
jener Vereinigung und in dem Hervortreten der Diele mag es vielleicht liegen,
daß viele, auch Meitzeu, das sächsische Hans aus der Scheune hervorgehen lassen.
Bis geschichtliche Nachweise hierfür erbracht sind, muß aber wohl angenommen
werden, daß der Wohnraum naturgemäß zuerst vorhanden war und ans diesem
dnrch Ausdehnung und Hereinziehen der Wirtschaftsräume die jetzige Form ent¬
stand. Die im ganzen seltene Hinzufügung einzelner Scheunen, welche eine gleich¬
mäßige Anordnung nicht erkennen läßt, kann unberücksichtigt bleiben; eher ver¬
diente noch Beachtung die Abschließung der Hofstätte durch Gräben, Zäune und
Mauern, welche die Vereinigung des ganzen Hauswesens zu einem einheitlichen
Ganzen noch mehr hervortreten läßt.

Nicht nnr das Alter der sächsischen Hausform ist unbestritten, sondern es
ist mich in jeder Zeit dieselbe planvolle Anlage des sächsischen Hauses, welche
sich selbst in den etwaigen Veränderungen wiedererkennen läßt, wahrzunehmen,
sodaß mit Recht angenommen wird, es müßten die oben erwähnten hauptsäch¬
lichen Merkmale des heutigen sächsischen Hnnses auch schon von alters her den
eigentlichen Charakter desselben ausgemacht haben.

Abänderungen des sächsischen Hanfes bestehen zunächst in einer Verbesserung
der Wohnräume, und zwar durch Verlängerung des Hauses hinter dem Herde, durch
Anfügen einzelner Stuben und Kammern, welche in manchen Gegenden sogar
einen besondern Wohnraum bilden. Anderwärts läßt man das Einfahrtsthor
in das Hans zurücktreten und gewinnt so vor der Einfahrt einen freien Raum,
Utlucht oder Vorschvpf genannt. Mitunter wird die Diele von der Flek, dem
Raume, auf welchem sich der Herd befindet, durch einen leicht wegnehmbaren
Bretterverschlag getrennt. In einigen Landstrichen (Paderborn, Schaumburg,


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[0649] Das deutsche Haus. Durchaus verschieden von dieser innern Einrichtung des fränkisch-ober¬ deutschen Hauses ist um die des wohlbekannten sächsischen Hauses, welches alles unter einem und zwar tief herabgehenden und das Ganze gewissermaßen ein¬ hüllenden Dache zu- einem übersichtlichen, dichtgedrängten Fanülienhaushalte ver¬ einigt. Das sächsische Haus ist im Grundriß ein langgedehntes Rechteck; um der vordern Giebelseite befindet sich das Einfahrtsthor, welches zu einer bis in die Mitte des Hauses sich erstreckenden großen Diele führt; am Ende der Diele liegen die Wohnräume mit dein Herde. Während anf der dreischiffigen Diele (Mittelgang, rechts und links davon Verschlage) das wirtschaftliche Leben seinen Platz hat, vereinigt der Herd, der fast in der Mitte des Hauses liegt, das eigentliche häusliche Leben. Vom Herde ans kann der Hausherr und die Haus¬ frau alles, was im Wohnraume und in der Wirtschaft vorgeht, ohne weiteres und jederzeit übersehen, das Gesinde überwachen und Pferde wie Vieh, da beides in deu Verschlägen zur Seite der Diele mit dem Kopfe nach dieser hin gerichtet steht, bequem im Auge haben. In der Vereinigung aller Räume zu einem Hause, sonne in der drei¬ schiffigen Dielenanlage besteht das Charakteristische des sächsischen Hauses. In jener Vereinigung und in dem Hervortreten der Diele mag es vielleicht liegen, daß viele, auch Meitzeu, das sächsische Hans aus der Scheune hervorgehen lassen. Bis geschichtliche Nachweise hierfür erbracht sind, muß aber wohl angenommen werden, daß der Wohnraum naturgemäß zuerst vorhanden war und ans diesem dnrch Ausdehnung und Hereinziehen der Wirtschaftsräume die jetzige Form ent¬ stand. Die im ganzen seltene Hinzufügung einzelner Scheunen, welche eine gleich¬ mäßige Anordnung nicht erkennen läßt, kann unberücksichtigt bleiben; eher ver¬ diente noch Beachtung die Abschließung der Hofstätte durch Gräben, Zäune und Mauern, welche die Vereinigung des ganzen Hauswesens zu einem einheitlichen Ganzen noch mehr hervortreten läßt. Nicht nnr das Alter der sächsischen Hausform ist unbestritten, sondern es ist mich in jeder Zeit dieselbe planvolle Anlage des sächsischen Hauses, welche sich selbst in den etwaigen Veränderungen wiedererkennen läßt, wahrzunehmen, sodaß mit Recht angenommen wird, es müßten die oben erwähnten hauptsäch¬ lichen Merkmale des heutigen sächsischen Hnnses auch schon von alters her den eigentlichen Charakter desselben ausgemacht haben. Abänderungen des sächsischen Hanfes bestehen zunächst in einer Verbesserung der Wohnräume, und zwar durch Verlängerung des Hauses hinter dem Herde, durch Anfügen einzelner Stuben und Kammern, welche in manchen Gegenden sogar einen besondern Wohnraum bilden. Anderwärts läßt man das Einfahrtsthor in das Hans zurücktreten und gewinnt so vor der Einfahrt einen freien Raum, Utlucht oder Vorschvpf genannt. Mitunter wird die Diele von der Flek, dem Raume, auf welchem sich der Herd befindet, durch einen leicht wegnehmbaren Bretterverschlag getrennt. In einigen Landstrichen (Paderborn, Schaumburg,

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

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Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/649>, abgerufen am 01.07.2024.