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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Die Fremdwörterseuche.

wort für das/was deutsch gut ausgedrückt werden kann. Dieser natur¬
gemäße, selbstverständliche und einfache Grundsatz wird fortwährend verleugnet
und verletzt. Und doch bedarf es nur des guten Willens, um ihn zu befolgen,
denn sachliche Schwierigkeiten bietet seine Befolgung garnicht. Ich spreche aus
Erfahrung. Denn in einer mehr als fünfundzwanzigjährigen schriftstellerischen
Thätigkeit habe ich diesen Grundsatz zu befolgen gesucht und gefunden, daß der
einzige Feind, der uns hierbei Schwierigkeiten bereitet, die Gewohnheit und Be¬
quemlichkeit ist. Die Sprache selbst kommt uns immer entgegen, wein: wir sie
nur richtig verstehen und fassen, sie bietet uns immer die Hand. Nur an uns
liegt es, an der abscheulichen Gewohnheit, die einem heutzutage förmlich aner¬
zogen wird, und um dem natürlichen Beharrungstrieb, sich von dieser Gewohnheit
nicht frei zu macheu. Ihr müßt wollen, nnr wollen, ernst und redlich wollen!

Mich hat jene Gewohnheit, die auch meine Jngend überreichlich umgab,
schon früh herausgefordert. Ich erinnere mich aus meiner Schulzeit, daß mein
Vater, der eine gute Erziehung, aber keine gelehrte Bildung genossen hatte, mich,
wenn er die Zeitung las, oft fragte: "Was heißt das nun wieder? Da
hat der Mensch wieder den oder den Ausdruck gebraucht, den der Teufel ver¬
stehen mag." Und wie oft habe ich dann Fremdwörterlmcher, lateinische,
griechische, französische, englische und italienische Wörterbücher herbeigeschleppt,
nud manchesmal konnte ich doch nicht, trotz dieser Hebel und Schrauben, hinter
die Bedeutung solchen verteufelten Ausdruckes kommen. Denn er war frisch
ans dem Lappländischen, Malaiischen oder Hottentottischer entlehnt. In der
Schule selbst herrschte unter uns die gute Sitte, die Jungen, die etwa einen
fremden Ausdruck gebrauchten, wegen offenbarer Ziererei und affiger Vornehm-
thuerei zu verhöhnen. Und da auch ein vortrefflicher Lehrer der deutschen
Literatur selbst bemüht war, seine Sprache rein zu halten und auch uns an
sprachliche Reinheit zu gewöhnen, so kam eins zum andern, und ich habe damals
schon auf der Schulbank diesem Schmarvtzerpack Krieg und Feindschaft ange¬
kündigt. Die Kriegführung ist auch immer leicht, fröhlich und siegreich von
statten gegangen, wenn ich aufmerksam und nachdrücklich blieb, aber bisweilen
ließ doch die Spannkraft nach, und ich könnte jetzt leicht noch manches Wort
Hinauswerfen, das ich vor fünf, zehn und zwanzig Jahren noch ruhig drucken
ließ. Aber ich will ja keine blinde Reinigungswut, sondern eine vernünftige,
überlegte und allmähliche Besserung.

Diese Besserung aber haben wir, Gott sei's geklagt, dringend nötig. Und
die Vorschläge, die ich in dieser Hinsicht machen möchte, sind mein eigentlicher
Zweck. Nicht um eine allgemeine oder wissenschaftliche Darlegung an und für
sich war es nur zu thun, sondern um die Heilung einer schweren Krankheit, die
unsre Sprache befallen hat, also um eine große nationale Sache. Nur von
diesem nationalen Standpunkte aus spreche ich, nur in diesem Sinne ist meine
Arbeit aufzufassen und zu verstehen.


Die Fremdwörterseuche.

wort für das/was deutsch gut ausgedrückt werden kann. Dieser natur¬
gemäße, selbstverständliche und einfache Grundsatz wird fortwährend verleugnet
und verletzt. Und doch bedarf es nur des guten Willens, um ihn zu befolgen,
denn sachliche Schwierigkeiten bietet seine Befolgung garnicht. Ich spreche aus
Erfahrung. Denn in einer mehr als fünfundzwanzigjährigen schriftstellerischen
Thätigkeit habe ich diesen Grundsatz zu befolgen gesucht und gefunden, daß der
einzige Feind, der uns hierbei Schwierigkeiten bereitet, die Gewohnheit und Be¬
quemlichkeit ist. Die Sprache selbst kommt uns immer entgegen, wein: wir sie
nur richtig verstehen und fassen, sie bietet uns immer die Hand. Nur an uns
liegt es, an der abscheulichen Gewohnheit, die einem heutzutage förmlich aner¬
zogen wird, und um dem natürlichen Beharrungstrieb, sich von dieser Gewohnheit
nicht frei zu macheu. Ihr müßt wollen, nnr wollen, ernst und redlich wollen!

Mich hat jene Gewohnheit, die auch meine Jngend überreichlich umgab,
schon früh herausgefordert. Ich erinnere mich aus meiner Schulzeit, daß mein
Vater, der eine gute Erziehung, aber keine gelehrte Bildung genossen hatte, mich,
wenn er die Zeitung las, oft fragte: „Was heißt das nun wieder? Da
hat der Mensch wieder den oder den Ausdruck gebraucht, den der Teufel ver¬
stehen mag." Und wie oft habe ich dann Fremdwörterlmcher, lateinische,
griechische, französische, englische und italienische Wörterbücher herbeigeschleppt,
nud manchesmal konnte ich doch nicht, trotz dieser Hebel und Schrauben, hinter
die Bedeutung solchen verteufelten Ausdruckes kommen. Denn er war frisch
ans dem Lappländischen, Malaiischen oder Hottentottischer entlehnt. In der
Schule selbst herrschte unter uns die gute Sitte, die Jungen, die etwa einen
fremden Ausdruck gebrauchten, wegen offenbarer Ziererei und affiger Vornehm-
thuerei zu verhöhnen. Und da auch ein vortrefflicher Lehrer der deutschen
Literatur selbst bemüht war, seine Sprache rein zu halten und auch uns an
sprachliche Reinheit zu gewöhnen, so kam eins zum andern, und ich habe damals
schon auf der Schulbank diesem Schmarvtzerpack Krieg und Feindschaft ange¬
kündigt. Die Kriegführung ist auch immer leicht, fröhlich und siegreich von
statten gegangen, wenn ich aufmerksam und nachdrücklich blieb, aber bisweilen
ließ doch die Spannkraft nach, und ich könnte jetzt leicht noch manches Wort
Hinauswerfen, das ich vor fünf, zehn und zwanzig Jahren noch ruhig drucken
ließ. Aber ich will ja keine blinde Reinigungswut, sondern eine vernünftige,
überlegte und allmähliche Besserung.

Diese Besserung aber haben wir, Gott sei's geklagt, dringend nötig. Und
die Vorschläge, die ich in dieser Hinsicht machen möchte, sind mein eigentlicher
Zweck. Nicht um eine allgemeine oder wissenschaftliche Darlegung an und für
sich war es nur zu thun, sondern um die Heilung einer schweren Krankheit, die
unsre Sprache befallen hat, also um eine große nationale Sache. Nur von
diesem nationalen Standpunkte aus spreche ich, nur in diesem Sinne ist meine
Arbeit aufzufassen und zu verstehen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/444>, abgerufen am 29.06.2024.