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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Die Klaviermusik seit Robert Schumann.

Reizen ausgestattet. Über diese geriet das musikalische Publikum in große
Entzückung, als sie ihm in den dreißiger und vierziger Jahren unsers Jahr¬
hunderts von einer Reihe Klavierspielern ersten Ranges präsentirt wurden. Die
Macht des Sinnlichen feierte damals ans dem musikalischen Gebiete einen der
stärksten unter den Triumphen, welche ihr im Laufe der Weltgeschichte bereitet
wordeu sind. Die heutige Generation hat keinen Begriff von dem begeisterten
Überschwange, mit welchem man in jener Zeit den Virtuosen und ihrer Kunstrichtung
entgegenkam. "Die Damen verloren ihre Herzen -- die Kritiker ihre Köpfe"
sagt Hanslick. Man war nicht bloß über das Spiel der Virtuosen entzückt,
sondern anch über ihre Kompositionen. Und das letztere war das Schlimme.
Denn diese Kompositionen waren im Durchschnitt alle herz- und geistlos, besten-
falls nur geschickte Ausstellungen von klingendem Feuerwerk, bald prasselnd,
bald säuselnd -- im wesentlichen Spuk und hohler Zauber. Das große Pu¬
blikum aber war nahe daran, die flimmernden Redensarten den ächten Gedanken
und Ideen vorzuziehen. Die Herz und Hüllten erhielten von den Verlegern
-- wie Weitzmann erzählt -- für den Bogen ihrer Fabrikarbeit größere Honorare,
als sie Beethoven für seine schönsten Klavierkonzerte erworben hatte.

Da stand Schumann auf und die Welt weiß, wie mannhaft, wie genial,
wie launig, wie belustigend und wie erhebend er mit seinen (fingirten) "Davids-
bündlern" den Kampf gegen die Philister, welche die Herrschaft in der Musik all
sich zu reißen schiene", geführt hat. Ob auch siegreich -- das läßt sich uicht
mit einem einfachen Worte beantworten.

Vergleicht man die Repertoires der heutigen und der vormärzlichen Pianisten,
so ist der Umschwung zum Edlen und zum Gehaltvolleu schlechterdings nicht zu
verkennen. Noch Clara Wieck debütirte mit einem Konzert von Pixis im Gewand-
Hanse, und die namhaftesten Pianisten regalirten in jener Zeit die Abonnenten
der besten Konzertinstitute massenweise mit Kompositionen, welche heute Lehrer
und Schüler perhorresziren würden. Hier liegt ein voller Sieg vor, von dessen
Ehren ein Hauptteil auf Schumann fällt.

In der Klavierkomposition aber hat Schumann die Philister nicht aus
dem Felde geschlagen. Sie haben sich im Gegenteile um eine Seitenlinie vermehrt,
welche -- wunderlich genug! -- ihren Stammbaum auf Schumann selbst zurück¬
führt. Seine Charakter- und Phaiitasiestücke haben den Anstoß zu einer förm¬
lichen Industrie gegeben, die den Markt mit musikalischer Kleiuwaare über¬
schwemmt. Die Sonaten und die andern größern Formen der Klaviermusik
treten schon vor Schumann zurück, wie manche glauben, weil das Gewicht
Beethovens den Mut der Komponisten niederdrückte. Das Genre beginnt mit
Schubert bereits einen breiter" Platz in den Katalogen einzunehmen. Es lag
und liegt noch in der Zeit, die so vielerlei neues auf dein Herzen hatte, daß
es unmöglich wurde, alles einzelne breit auszuführen. Das Genrestück ist die
Lieblingsform für geniale Andeutungen, für romantische Gedanken. Die So-


Die Klaviermusik seit Robert Schumann.

Reizen ausgestattet. Über diese geriet das musikalische Publikum in große
Entzückung, als sie ihm in den dreißiger und vierziger Jahren unsers Jahr¬
hunderts von einer Reihe Klavierspielern ersten Ranges präsentirt wurden. Die
Macht des Sinnlichen feierte damals ans dem musikalischen Gebiete einen der
stärksten unter den Triumphen, welche ihr im Laufe der Weltgeschichte bereitet
wordeu sind. Die heutige Generation hat keinen Begriff von dem begeisterten
Überschwange, mit welchem man in jener Zeit den Virtuosen und ihrer Kunstrichtung
entgegenkam. „Die Damen verloren ihre Herzen — die Kritiker ihre Köpfe"
sagt Hanslick. Man war nicht bloß über das Spiel der Virtuosen entzückt,
sondern anch über ihre Kompositionen. Und das letztere war das Schlimme.
Denn diese Kompositionen waren im Durchschnitt alle herz- und geistlos, besten-
falls nur geschickte Ausstellungen von klingendem Feuerwerk, bald prasselnd,
bald säuselnd — im wesentlichen Spuk und hohler Zauber. Das große Pu¬
blikum aber war nahe daran, die flimmernden Redensarten den ächten Gedanken
und Ideen vorzuziehen. Die Herz und Hüllten erhielten von den Verlegern
— wie Weitzmann erzählt — für den Bogen ihrer Fabrikarbeit größere Honorare,
als sie Beethoven für seine schönsten Klavierkonzerte erworben hatte.

Da stand Schumann auf und die Welt weiß, wie mannhaft, wie genial,
wie launig, wie belustigend und wie erhebend er mit seinen (fingirten) „Davids-
bündlern" den Kampf gegen die Philister, welche die Herrschaft in der Musik all
sich zu reißen schiene», geführt hat. Ob auch siegreich — das läßt sich uicht
mit einem einfachen Worte beantworten.

Vergleicht man die Repertoires der heutigen und der vormärzlichen Pianisten,
so ist der Umschwung zum Edlen und zum Gehaltvolleu schlechterdings nicht zu
verkennen. Noch Clara Wieck debütirte mit einem Konzert von Pixis im Gewand-
Hanse, und die namhaftesten Pianisten regalirten in jener Zeit die Abonnenten
der besten Konzertinstitute massenweise mit Kompositionen, welche heute Lehrer
und Schüler perhorresziren würden. Hier liegt ein voller Sieg vor, von dessen
Ehren ein Hauptteil auf Schumann fällt.

In der Klavierkomposition aber hat Schumann die Philister nicht aus
dem Felde geschlagen. Sie haben sich im Gegenteile um eine Seitenlinie vermehrt,
welche — wunderlich genug! — ihren Stammbaum auf Schumann selbst zurück¬
führt. Seine Charakter- und Phaiitasiestücke haben den Anstoß zu einer förm¬
lichen Industrie gegeben, die den Markt mit musikalischer Kleiuwaare über¬
schwemmt. Die Sonaten und die andern größern Formen der Klaviermusik
treten schon vor Schumann zurück, wie manche glauben, weil das Gewicht
Beethovens den Mut der Komponisten niederdrückte. Das Genre beginnt mit
Schubert bereits einen breiter« Platz in den Katalogen einzunehmen. Es lag
und liegt noch in der Zeit, die so vielerlei neues auf dein Herzen hatte, daß
es unmöglich wurde, alles einzelne breit auszuführen. Das Genrestück ist die
Lieblingsform für geniale Andeutungen, für romantische Gedanken. Die So-


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[0032] Die Klaviermusik seit Robert Schumann. Reizen ausgestattet. Über diese geriet das musikalische Publikum in große Entzückung, als sie ihm in den dreißiger und vierziger Jahren unsers Jahr¬ hunderts von einer Reihe Klavierspielern ersten Ranges präsentirt wurden. Die Macht des Sinnlichen feierte damals ans dem musikalischen Gebiete einen der stärksten unter den Triumphen, welche ihr im Laufe der Weltgeschichte bereitet wordeu sind. Die heutige Generation hat keinen Begriff von dem begeisterten Überschwange, mit welchem man in jener Zeit den Virtuosen und ihrer Kunstrichtung entgegenkam. „Die Damen verloren ihre Herzen — die Kritiker ihre Köpfe" sagt Hanslick. Man war nicht bloß über das Spiel der Virtuosen entzückt, sondern anch über ihre Kompositionen. Und das letztere war das Schlimme. Denn diese Kompositionen waren im Durchschnitt alle herz- und geistlos, besten- falls nur geschickte Ausstellungen von klingendem Feuerwerk, bald prasselnd, bald säuselnd — im wesentlichen Spuk und hohler Zauber. Das große Pu¬ blikum aber war nahe daran, die flimmernden Redensarten den ächten Gedanken und Ideen vorzuziehen. Die Herz und Hüllten erhielten von den Verlegern — wie Weitzmann erzählt — für den Bogen ihrer Fabrikarbeit größere Honorare, als sie Beethoven für seine schönsten Klavierkonzerte erworben hatte. Da stand Schumann auf und die Welt weiß, wie mannhaft, wie genial, wie launig, wie belustigend und wie erhebend er mit seinen (fingirten) „Davids- bündlern" den Kampf gegen die Philister, welche die Herrschaft in der Musik all sich zu reißen schiene», geführt hat. Ob auch siegreich — das läßt sich uicht mit einem einfachen Worte beantworten. Vergleicht man die Repertoires der heutigen und der vormärzlichen Pianisten, so ist der Umschwung zum Edlen und zum Gehaltvolleu schlechterdings nicht zu verkennen. Noch Clara Wieck debütirte mit einem Konzert von Pixis im Gewand- Hanse, und die namhaftesten Pianisten regalirten in jener Zeit die Abonnenten der besten Konzertinstitute massenweise mit Kompositionen, welche heute Lehrer und Schüler perhorresziren würden. Hier liegt ein voller Sieg vor, von dessen Ehren ein Hauptteil auf Schumann fällt. In der Klavierkomposition aber hat Schumann die Philister nicht aus dem Felde geschlagen. Sie haben sich im Gegenteile um eine Seitenlinie vermehrt, welche — wunderlich genug! — ihren Stammbaum auf Schumann selbst zurück¬ führt. Seine Charakter- und Phaiitasiestücke haben den Anstoß zu einer förm¬ lichen Industrie gegeben, die den Markt mit musikalischer Kleiuwaare über¬ schwemmt. Die Sonaten und die andern größern Formen der Klaviermusik treten schon vor Schumann zurück, wie manche glauben, weil das Gewicht Beethovens den Mut der Komponisten niederdrückte. Das Genre beginnt mit Schubert bereits einen breiter« Platz in den Katalogen einzunehmen. Es lag und liegt noch in der Zeit, die so vielerlei neues auf dein Herzen hatte, daß es unmöglich wurde, alles einzelne breit auszuführen. Das Genrestück ist die Lieblingsform für geniale Andeutungen, für romantische Gedanken. Die So-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/32>, abgerufen am 28.09.2024.