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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Thomas Lark^le.

Edinburg gänzlich unbekannt, verzehrte sich selbst in Einsamkeit, verlor seine Ge¬
sundheit, Schlaflosigkeit gesellte sich zu seinen Übeln, und die Zeit war für ihn
eine Zeit des Elends. Hier zuerst finden wir die Wurzeln jener pessimistischen
Lebensnnschaunng, die ihn sein ganzes Leben hindurch begleitete, selbst nachdem
er sich zum Frieden und zu unumstößlichen Überzeugungen hindurchgearbeitet
hatte." Gerade die Tiefe des Elends verhalf ihm zu dem, was er seine geistige
Wiedergeburt, seine "baphometische Feuertaufe" nannte. Er wandelte, wie er im
"sartor Resartus" erzählt, in Qualen und Befürchtungen, in Aussicht auf eine
unerquickliche Zukunft kleinmütig und gebeugt durchs Leben. Und da überkam
ihn mit einemmale mächtig der Gedanke: "Was ist die Totalsumme des schlimmsten,
das dir bevorsteht? Tod! Wohlan! Tod und sage auch die Qualen Tophets und
alles dessen, was der Mensch oder der Teufel wider dich zu thun gedenkt oder im¬
stande ist. Hast dn kein Herz? Kannst du nicht alles, was es auch sei, erdulden
und als ein Kind der Freiheit, obschon ausgestoßen, Topsel selbst unter deine
Füße treten, während es dich verzehrt? So laß es denn kommen! Ich will
ihm begegnen lind ihm Trotz bieten! Und während ich dies dachte, rauschte es
wie ein feuriger Strom über meine ganze Seele, und ich schüttelte die niedrige
Furcht auf immer ab. Ich war stark in einer ungeahnten Stärke, ein Geist,
fast ein Gott. Von dieser Zeit an war die Natur meines Elends eine andre,
nicht mehr Furcht war es oder winselnder Schmerz, sondern Entrüstung und
grimmiger, fenersprühender Trotz."

Entrüstung und grimmiger, fenersvrühender Trotz wuchsen in Carlyles Seele
mit der Zuversicht, daß die Literatur sein eigentlicher Beruf sei, und selbst mit
den günstigeren Lebensverhältnissen, die ihm infolge feiner Neigung zu und seiner
Ehe mit Miß Jane Welsh aufgingen. Die Verheiratung erfolgte 1826, 1828
ließ er sich mit seiner jungen Frau, nachdem sie die ersten Jahre in der Nähe
von Edinburg gelebt hatten, in Craigenputtvch bei Dnmfries nieder, einem kleinen
Landgute, welches Carlyles Schwiegermutter gehörte, späterhin das Eigentum
der Mrs. Carlyle und zuletzt von dem Schriftsteller der Universität Edinburg
vermacht wurde. Über dies Idyll berichtet einer der Briefe Carlyles an Goethe,
der zwar in Goethes Werken regelmäßig abgedruckt, aber von der Masse der
Leser nicht minder regelmüßig übersehen wird. "Unsre Wohnung liegt nicht
in der Stadt selbst, sondern fünfzehn Meilen nordwestlich davon zwischen den
Granithügeln und den dunkeln Mooren, die sich westlich dnrch Galloway hin
fast bis an die irische See erstrecken. In dieser Wildnis von Haide und Felsen
ragt unser Gut, wie eine grüne Oase, eine Strecke gepflügten, zum Teil ein-
geschlossenen und bepflanzten Bodens, wo das Korn reift und Bäume Schatten
verbreiten, hervor, obwohl uns Seemöven und grobwollige Schafe auf allen
Seiten umgeben. Hier haben wir nicht ohne große Anstrengung ein nettes,
solides Haus gebaut und eingerichtet, hier leben wir, unsern Kräften und Eigen¬
tümlichkeiten gemäß, in Ermangelung eines lehrhaften oder andern Amtes, ganz


Thomas Lark^le.

Edinburg gänzlich unbekannt, verzehrte sich selbst in Einsamkeit, verlor seine Ge¬
sundheit, Schlaflosigkeit gesellte sich zu seinen Übeln, und die Zeit war für ihn
eine Zeit des Elends. Hier zuerst finden wir die Wurzeln jener pessimistischen
Lebensnnschaunng, die ihn sein ganzes Leben hindurch begleitete, selbst nachdem
er sich zum Frieden und zu unumstößlichen Überzeugungen hindurchgearbeitet
hatte." Gerade die Tiefe des Elends verhalf ihm zu dem, was er seine geistige
Wiedergeburt, seine „baphometische Feuertaufe" nannte. Er wandelte, wie er im
„sartor Resartus" erzählt, in Qualen und Befürchtungen, in Aussicht auf eine
unerquickliche Zukunft kleinmütig und gebeugt durchs Leben. Und da überkam
ihn mit einemmale mächtig der Gedanke: „Was ist die Totalsumme des schlimmsten,
das dir bevorsteht? Tod! Wohlan! Tod und sage auch die Qualen Tophets und
alles dessen, was der Mensch oder der Teufel wider dich zu thun gedenkt oder im¬
stande ist. Hast dn kein Herz? Kannst du nicht alles, was es auch sei, erdulden
und als ein Kind der Freiheit, obschon ausgestoßen, Topsel selbst unter deine
Füße treten, während es dich verzehrt? So laß es denn kommen! Ich will
ihm begegnen lind ihm Trotz bieten! Und während ich dies dachte, rauschte es
wie ein feuriger Strom über meine ganze Seele, und ich schüttelte die niedrige
Furcht auf immer ab. Ich war stark in einer ungeahnten Stärke, ein Geist,
fast ein Gott. Von dieser Zeit an war die Natur meines Elends eine andre,
nicht mehr Furcht war es oder winselnder Schmerz, sondern Entrüstung und
grimmiger, fenersprühender Trotz."

Entrüstung und grimmiger, fenersvrühender Trotz wuchsen in Carlyles Seele
mit der Zuversicht, daß die Literatur sein eigentlicher Beruf sei, und selbst mit
den günstigeren Lebensverhältnissen, die ihm infolge feiner Neigung zu und seiner
Ehe mit Miß Jane Welsh aufgingen. Die Verheiratung erfolgte 1826, 1828
ließ er sich mit seiner jungen Frau, nachdem sie die ersten Jahre in der Nähe
von Edinburg gelebt hatten, in Craigenputtvch bei Dnmfries nieder, einem kleinen
Landgute, welches Carlyles Schwiegermutter gehörte, späterhin das Eigentum
der Mrs. Carlyle und zuletzt von dem Schriftsteller der Universität Edinburg
vermacht wurde. Über dies Idyll berichtet einer der Briefe Carlyles an Goethe,
der zwar in Goethes Werken regelmäßig abgedruckt, aber von der Masse der
Leser nicht minder regelmüßig übersehen wird. „Unsre Wohnung liegt nicht
in der Stadt selbst, sondern fünfzehn Meilen nordwestlich davon zwischen den
Granithügeln und den dunkeln Mooren, die sich westlich dnrch Galloway hin
fast bis an die irische See erstrecken. In dieser Wildnis von Haide und Felsen
ragt unser Gut, wie eine grüne Oase, eine Strecke gepflügten, zum Teil ein-
geschlossenen und bepflanzten Bodens, wo das Korn reift und Bäume Schatten
verbreiten, hervor, obwohl uns Seemöven und grobwollige Schafe auf allen
Seiten umgeben. Hier haben wir nicht ohne große Anstrengung ein nettes,
solides Haus gebaut und eingerichtet, hier leben wir, unsern Kräften und Eigen¬
tümlichkeiten gemäß, in Ermangelung eines lehrhaften oder andern Amtes, ganz


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[0024] Thomas Lark^le. Edinburg gänzlich unbekannt, verzehrte sich selbst in Einsamkeit, verlor seine Ge¬ sundheit, Schlaflosigkeit gesellte sich zu seinen Übeln, und die Zeit war für ihn eine Zeit des Elends. Hier zuerst finden wir die Wurzeln jener pessimistischen Lebensnnschaunng, die ihn sein ganzes Leben hindurch begleitete, selbst nachdem er sich zum Frieden und zu unumstößlichen Überzeugungen hindurchgearbeitet hatte." Gerade die Tiefe des Elends verhalf ihm zu dem, was er seine geistige Wiedergeburt, seine „baphometische Feuertaufe" nannte. Er wandelte, wie er im „sartor Resartus" erzählt, in Qualen und Befürchtungen, in Aussicht auf eine unerquickliche Zukunft kleinmütig und gebeugt durchs Leben. Und da überkam ihn mit einemmale mächtig der Gedanke: „Was ist die Totalsumme des schlimmsten, das dir bevorsteht? Tod! Wohlan! Tod und sage auch die Qualen Tophets und alles dessen, was der Mensch oder der Teufel wider dich zu thun gedenkt oder im¬ stande ist. Hast dn kein Herz? Kannst du nicht alles, was es auch sei, erdulden und als ein Kind der Freiheit, obschon ausgestoßen, Topsel selbst unter deine Füße treten, während es dich verzehrt? So laß es denn kommen! Ich will ihm begegnen lind ihm Trotz bieten! Und während ich dies dachte, rauschte es wie ein feuriger Strom über meine ganze Seele, und ich schüttelte die niedrige Furcht auf immer ab. Ich war stark in einer ungeahnten Stärke, ein Geist, fast ein Gott. Von dieser Zeit an war die Natur meines Elends eine andre, nicht mehr Furcht war es oder winselnder Schmerz, sondern Entrüstung und grimmiger, fenersprühender Trotz." Entrüstung und grimmiger, fenersvrühender Trotz wuchsen in Carlyles Seele mit der Zuversicht, daß die Literatur sein eigentlicher Beruf sei, und selbst mit den günstigeren Lebensverhältnissen, die ihm infolge feiner Neigung zu und seiner Ehe mit Miß Jane Welsh aufgingen. Die Verheiratung erfolgte 1826, 1828 ließ er sich mit seiner jungen Frau, nachdem sie die ersten Jahre in der Nähe von Edinburg gelebt hatten, in Craigenputtvch bei Dnmfries nieder, einem kleinen Landgute, welches Carlyles Schwiegermutter gehörte, späterhin das Eigentum der Mrs. Carlyle und zuletzt von dem Schriftsteller der Universität Edinburg vermacht wurde. Über dies Idyll berichtet einer der Briefe Carlyles an Goethe, der zwar in Goethes Werken regelmäßig abgedruckt, aber von der Masse der Leser nicht minder regelmüßig übersehen wird. „Unsre Wohnung liegt nicht in der Stadt selbst, sondern fünfzehn Meilen nordwestlich davon zwischen den Granithügeln und den dunkeln Mooren, die sich westlich dnrch Galloway hin fast bis an die irische See erstrecken. In dieser Wildnis von Haide und Felsen ragt unser Gut, wie eine grüne Oase, eine Strecke gepflügten, zum Teil ein- geschlossenen und bepflanzten Bodens, wo das Korn reift und Bäume Schatten verbreiten, hervor, obwohl uns Seemöven und grobwollige Schafe auf allen Seiten umgeben. Hier haben wir nicht ohne große Anstrengung ein nettes, solides Haus gebaut und eingerichtet, hier leben wir, unsern Kräften und Eigen¬ tümlichkeiten gemäß, in Ermangelung eines lehrhaften oder andern Amtes, ganz

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/24>, abgerufen am 26.06.2024.