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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Daß der Laie, der ein Freund und Liebhaber des deutschen Wörterbuchs
ist -- und wir wissen von Beispielen, daß wan mit wahrer Sehnsucht das Er¬
scheinen eines neuen Heftes begrüßt, um sich dann mit dem ganzen Behagen,
welches die Freude an stillgehegten Lieblingsneigungen dem Dilettanten einflößt,
an den hier ausgebreiteten Schützen deutscher Geistesarbeit sich zu weiden --,
daß der Laie, sagen wir, bisweilen von Ungeduld nud Mißmut gepackt werden
mag, weil das Werk nur Schritt vor Schritt der Vollendung entgegenstrebt, ist
verzeihlich, ja sogar löblich; daß dem Buchhändler, dem, wie den meisten seines¬
gleichen, mag er auch mit noch so idealem Sinne ein derartiges Unternehmen auf¬
fasse", schließlich der materielle Erfolg die Hauptsache ist, daß er, der deu Wert
der wissenschaftlichen Leistung gar nicht zu schätzen vermag, sich an das äußerliche
hält und an dem "flottesten" -- gleichviel ob auch solidesten -- Arbeiter die
größere Freude hat, ist begreiflich; wenn aber hochgeachtete Kritiker, bei denen
man die Fähigkeit und den guten Willen voraussetzen darf, die verschiednen Ar¬
beiten nach ihrer wissenschaftlichen Güte gerecht abzuwägen und zu beurteilen,
Gelehrte, die selber von dem Begriffe wissenschaftlicher Ehre, wissenschaftlicher
"Akribie" erfüllt sind, wenn selbst diese ihrem, zweifelsohne aufrichtigen, Lobe
der Hildebrandschen Arbeit doch selten versäumen, die abgedroschene Phrase von
der allzubreiten nud wer weiß wie sonst noch beschaffenen Vehandlnngsweise anzu-
hängen und zu rühmen, "wie herrlich weit der andre (d. i. Prof. Heyne) es
gebracht," sie, die doch wissen müssen, daß dem deutschen Wörterbuche die
schwierige Doppelaufgabe gestellt ist, zwei ganz verschiedenen Gattungen von
Benutzern gerecht zu werden, dem Gelehrten, der philologische Pünktlichkeit und
tiefstes Eindringen fordert, und dem größern Publikum, das eine andre Sprache
der Velehruug verlangt, wenn wir alles dies erwägen, dann kommt uns der
Gedanke, als sei es solcher Kritiker Pflicht, einen Mann, dessen Arbeit vom
wissenschaftlichen Standpunkte betrachtet hie und da, wie jedes menschliche Werk,
ihre Mängel haben mag, doch wenigstens gegen jenen thörichten Tadel in Schutz
zu nehmen.

Das Publikum im weitern Sinne des Wortes -- nicht das gelehrte --, das
wirklich innerlichen, freudigen Anteil nimmt an dem Werke, wäre, nachdem es
das Vues so lange mit seiner ermunternden Teilnahme begleitet hat, gewiß das
letzte gewesen, das gemurrt hätte, wenn nnr auf dem einzig deukbaren Wege
Sorge dafür getragen worden wäre, daß der allgemeine Wunsch nach möglichst
rascher Vollendung des so riesenmäßig angelegten Werkes sich erfüllen könnte.
Wenn das Ganze als solches nicht schnell genug vom Platze rückt -- stellenweise
eilt es ja doch förmlich vorwärts --, an wem liegt die Schuld? An dem einen,
^r so bequem dem Publikum als Sündenbock hingestellt wird, an Hildebrand?
Weil er es -- Gott sei Dank! -- nicht über sich gewinnt, dem unverständigen
Drängen nach hexenmeisterlicher Produktion, kraft der man ein Heft ums andre
nur so aus dem Ärmel schüttelt, nachzugeben, und dies einfach deshalb, weil


Daß der Laie, der ein Freund und Liebhaber des deutschen Wörterbuchs
ist — und wir wissen von Beispielen, daß wan mit wahrer Sehnsucht das Er¬
scheinen eines neuen Heftes begrüßt, um sich dann mit dem ganzen Behagen,
welches die Freude an stillgehegten Lieblingsneigungen dem Dilettanten einflößt,
an den hier ausgebreiteten Schützen deutscher Geistesarbeit sich zu weiden —,
daß der Laie, sagen wir, bisweilen von Ungeduld nud Mißmut gepackt werden
mag, weil das Werk nur Schritt vor Schritt der Vollendung entgegenstrebt, ist
verzeihlich, ja sogar löblich; daß dem Buchhändler, dem, wie den meisten seines¬
gleichen, mag er auch mit noch so idealem Sinne ein derartiges Unternehmen auf¬
fasse», schließlich der materielle Erfolg die Hauptsache ist, daß er, der deu Wert
der wissenschaftlichen Leistung gar nicht zu schätzen vermag, sich an das äußerliche
hält und an dem „flottesten" — gleichviel ob auch solidesten — Arbeiter die
größere Freude hat, ist begreiflich; wenn aber hochgeachtete Kritiker, bei denen
man die Fähigkeit und den guten Willen voraussetzen darf, die verschiednen Ar¬
beiten nach ihrer wissenschaftlichen Güte gerecht abzuwägen und zu beurteilen,
Gelehrte, die selber von dem Begriffe wissenschaftlicher Ehre, wissenschaftlicher
„Akribie" erfüllt sind, wenn selbst diese ihrem, zweifelsohne aufrichtigen, Lobe
der Hildebrandschen Arbeit doch selten versäumen, die abgedroschene Phrase von
der allzubreiten nud wer weiß wie sonst noch beschaffenen Vehandlnngsweise anzu-
hängen und zu rühmen, „wie herrlich weit der andre (d. i. Prof. Heyne) es
gebracht," sie, die doch wissen müssen, daß dem deutschen Wörterbuche die
schwierige Doppelaufgabe gestellt ist, zwei ganz verschiedenen Gattungen von
Benutzern gerecht zu werden, dem Gelehrten, der philologische Pünktlichkeit und
tiefstes Eindringen fordert, und dem größern Publikum, das eine andre Sprache
der Velehruug verlangt, wenn wir alles dies erwägen, dann kommt uns der
Gedanke, als sei es solcher Kritiker Pflicht, einen Mann, dessen Arbeit vom
wissenschaftlichen Standpunkte betrachtet hie und da, wie jedes menschliche Werk,
ihre Mängel haben mag, doch wenigstens gegen jenen thörichten Tadel in Schutz
zu nehmen.

Das Publikum im weitern Sinne des Wortes — nicht das gelehrte —, das
wirklich innerlichen, freudigen Anteil nimmt an dem Werke, wäre, nachdem es
das Vues so lange mit seiner ermunternden Teilnahme begleitet hat, gewiß das
letzte gewesen, das gemurrt hätte, wenn nnr auf dem einzig deukbaren Wege
Sorge dafür getragen worden wäre, daß der allgemeine Wunsch nach möglichst
rascher Vollendung des so riesenmäßig angelegten Werkes sich erfüllen könnte.
Wenn das Ganze als solches nicht schnell genug vom Platze rückt — stellenweise
eilt es ja doch förmlich vorwärts —, an wem liegt die Schuld? An dem einen,
^r so bequem dem Publikum als Sündenbock hingestellt wird, an Hildebrand?
Weil er es — Gott sei Dank! — nicht über sich gewinnt, dem unverständigen
Drängen nach hexenmeisterlicher Produktion, kraft der man ein Heft ums andre
nur so aus dem Ärmel schüttelt, nachzugeben, und dies einfach deshalb, weil


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[0225] Daß der Laie, der ein Freund und Liebhaber des deutschen Wörterbuchs ist — und wir wissen von Beispielen, daß wan mit wahrer Sehnsucht das Er¬ scheinen eines neuen Heftes begrüßt, um sich dann mit dem ganzen Behagen, welches die Freude an stillgehegten Lieblingsneigungen dem Dilettanten einflößt, an den hier ausgebreiteten Schützen deutscher Geistesarbeit sich zu weiden —, daß der Laie, sagen wir, bisweilen von Ungeduld nud Mißmut gepackt werden mag, weil das Werk nur Schritt vor Schritt der Vollendung entgegenstrebt, ist verzeihlich, ja sogar löblich; daß dem Buchhändler, dem, wie den meisten seines¬ gleichen, mag er auch mit noch so idealem Sinne ein derartiges Unternehmen auf¬ fasse», schließlich der materielle Erfolg die Hauptsache ist, daß er, der deu Wert der wissenschaftlichen Leistung gar nicht zu schätzen vermag, sich an das äußerliche hält und an dem „flottesten" — gleichviel ob auch solidesten — Arbeiter die größere Freude hat, ist begreiflich; wenn aber hochgeachtete Kritiker, bei denen man die Fähigkeit und den guten Willen voraussetzen darf, die verschiednen Ar¬ beiten nach ihrer wissenschaftlichen Güte gerecht abzuwägen und zu beurteilen, Gelehrte, die selber von dem Begriffe wissenschaftlicher Ehre, wissenschaftlicher „Akribie" erfüllt sind, wenn selbst diese ihrem, zweifelsohne aufrichtigen, Lobe der Hildebrandschen Arbeit doch selten versäumen, die abgedroschene Phrase von der allzubreiten nud wer weiß wie sonst noch beschaffenen Vehandlnngsweise anzu- hängen und zu rühmen, „wie herrlich weit der andre (d. i. Prof. Heyne) es gebracht," sie, die doch wissen müssen, daß dem deutschen Wörterbuche die schwierige Doppelaufgabe gestellt ist, zwei ganz verschiedenen Gattungen von Benutzern gerecht zu werden, dem Gelehrten, der philologische Pünktlichkeit und tiefstes Eindringen fordert, und dem größern Publikum, das eine andre Sprache der Velehruug verlangt, wenn wir alles dies erwägen, dann kommt uns der Gedanke, als sei es solcher Kritiker Pflicht, einen Mann, dessen Arbeit vom wissenschaftlichen Standpunkte betrachtet hie und da, wie jedes menschliche Werk, ihre Mängel haben mag, doch wenigstens gegen jenen thörichten Tadel in Schutz zu nehmen. Das Publikum im weitern Sinne des Wortes — nicht das gelehrte —, das wirklich innerlichen, freudigen Anteil nimmt an dem Werke, wäre, nachdem es das Vues so lange mit seiner ermunternden Teilnahme begleitet hat, gewiß das letzte gewesen, das gemurrt hätte, wenn nnr auf dem einzig deukbaren Wege Sorge dafür getragen worden wäre, daß der allgemeine Wunsch nach möglichst rascher Vollendung des so riesenmäßig angelegten Werkes sich erfüllen könnte. Wenn das Ganze als solches nicht schnell genug vom Platze rückt — stellenweise eilt es ja doch förmlich vorwärts —, an wem liegt die Schuld? An dem einen, ^r so bequem dem Publikum als Sündenbock hingestellt wird, an Hildebrand? Weil er es — Gott sei Dank! — nicht über sich gewinnt, dem unverständigen Drängen nach hexenmeisterlicher Produktion, kraft der man ein Heft ums andre nur so aus dem Ärmel schüttelt, nachzugeben, und dies einfach deshalb, weil

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/225>, abgerufen am 29.06.2024.