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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Thomas "Larlyle.

würdige Buch über "Heroen, Heroenkultus und das Heroische in der Geschichte"
hat auf unser deutsches Geistesleben einen starken, wenn auch im einzelnen
schwer nachzuweisenden Einfluß ausgeübt, und die Gestalt Carlyles ist noch
zuletzt in dem großen Kriege von 1370 und 1871 durch die entschiedene Partei¬
nahme des bedeutenden Mannes für die deutsche Sache anch solchen Kreisen
uahegerückt worden, welche kaum je vorher "seines Geistes einen Hauch verspürt."
Dennoch läßt sich keineswegs sagen, daß auch die gebildetsten unter nus durch¬
schnittlich ein klares Bild von der geistigen Persönlichkeit und der allgemeinen
Bedeutung Carlyles in der Seele trügen. Die Parteibildung und Partei-
gesiunuug unsrer Tage, welche überall bis in die Dichtung hinein, vor allem
aber auf deu Gebieten der historischen und kritischen Literatur, auf deuen Carlyle
gearbeitet, ihre Parteibegriffe und Schlagworte sucht, ist dem Verständnis eines
so wunderlich widerspruchsvollen, knorrig originellen Geistes geradezu feindlich
und hinderlich gewesen. Wie wenig wollten alle diese Begriffe und Worte auf
ihn passen! Die "konservativen," welche ihm heute Hütten zujauchzen mögen,
fanden morgen Anschauungen und Urteile bei ihm, welche sie gewohnt waren,
ein für allemal als "revolutionäre Grciuel" zu brandmarken. Die "Liberalen,"
denen der energische Freimut und die rücksichtslosen Wahrheiten, die Carlyle
nussprach, zu Zeiten wohl imponirten und für ihre Zwecke förderlich erschienen,
wandten sich doch erschrocken ab, wenn sie seine Todfeindschaft gegen politisches
Schwützertum und den alleinseligmachenden Parlamentarismus erkannten und
die tiefreligiöse Grundstinunung des Schriftstellers empfanden. Selbst unab¬
hängige, der eintönigen Parteiparole unzugängliche Naturen fanden sich schwer
mit und in Carlyle zurecht, wenn ihnen das historische Element des schottischen
Puritanismus im Wesen nud in der Anschauung des modernen Denkers und
Schriftstellers nicht vollständig klar und gegenwärtig war. Denn Carlyle ist
eines der denkwürdigsten Beispiele dafür, daß, je höher der Baum wächst und
ragt, die Wurzeln sich nicht nur um so tiefer im Boden verästeu, souderu auch
um so knorriger und erkennbarer zu Tage treten.

Carlyle hat Zeit seines Lebens mancherlei Heroen gefeiert und in seinem
Kultus des Genies ein tiefes Verständnis für Naturen wie Goethe und Schiller,
anerkennende Duldsamkeit selbst für Voltaire entwickelt. Am wohlsten aber war
ihm doch, wenn er in seineu Helden deu Puritaner wiederfand oder etwas vom
Puritaner in sie hineintragen konnte. Erst bei John Knvx und Oliver Cromwell
geht ihm das ganze Herz auf -- in der vielbändigen Lebensgeschichte Friedrichs
des Großen ist leicht ersichtlich, daß sich der Autor stärker für Friedrich Wilhelm I-,
den Mann des rauhen "unartikulirter" Christentums und der soldatischen Zucht,
begeistert, als für den großen Sohn, in welchem er mit Vorliebe die harte,: Züge
sucht und feiert, die an den ersten Friedrich Wilhelm und seinen Stock ge¬
mahnen. In eine von subjektiver Willkür, eitler Selbstliebe und zuchtloser
Genußsucht erfüllte Zeit zum Widerstand hineingeworfen, aber mit den gute"


Thomas «Larlyle.

würdige Buch über „Heroen, Heroenkultus und das Heroische in der Geschichte"
hat auf unser deutsches Geistesleben einen starken, wenn auch im einzelnen
schwer nachzuweisenden Einfluß ausgeübt, und die Gestalt Carlyles ist noch
zuletzt in dem großen Kriege von 1370 und 1871 durch die entschiedene Partei¬
nahme des bedeutenden Mannes für die deutsche Sache anch solchen Kreisen
uahegerückt worden, welche kaum je vorher „seines Geistes einen Hauch verspürt."
Dennoch läßt sich keineswegs sagen, daß auch die gebildetsten unter nus durch¬
schnittlich ein klares Bild von der geistigen Persönlichkeit und der allgemeinen
Bedeutung Carlyles in der Seele trügen. Die Parteibildung und Partei-
gesiunuug unsrer Tage, welche überall bis in die Dichtung hinein, vor allem
aber auf deu Gebieten der historischen und kritischen Literatur, auf deuen Carlyle
gearbeitet, ihre Parteibegriffe und Schlagworte sucht, ist dem Verständnis eines
so wunderlich widerspruchsvollen, knorrig originellen Geistes geradezu feindlich
und hinderlich gewesen. Wie wenig wollten alle diese Begriffe und Worte auf
ihn passen! Die „konservativen," welche ihm heute Hütten zujauchzen mögen,
fanden morgen Anschauungen und Urteile bei ihm, welche sie gewohnt waren,
ein für allemal als „revolutionäre Grciuel" zu brandmarken. Die „Liberalen,"
denen der energische Freimut und die rücksichtslosen Wahrheiten, die Carlyle
nussprach, zu Zeiten wohl imponirten und für ihre Zwecke förderlich erschienen,
wandten sich doch erschrocken ab, wenn sie seine Todfeindschaft gegen politisches
Schwützertum und den alleinseligmachenden Parlamentarismus erkannten und
die tiefreligiöse Grundstinunung des Schriftstellers empfanden. Selbst unab¬
hängige, der eintönigen Parteiparole unzugängliche Naturen fanden sich schwer
mit und in Carlyle zurecht, wenn ihnen das historische Element des schottischen
Puritanismus im Wesen nud in der Anschauung des modernen Denkers und
Schriftstellers nicht vollständig klar und gegenwärtig war. Denn Carlyle ist
eines der denkwürdigsten Beispiele dafür, daß, je höher der Baum wächst und
ragt, die Wurzeln sich nicht nur um so tiefer im Boden verästeu, souderu auch
um so knorriger und erkennbarer zu Tage treten.

Carlyle hat Zeit seines Lebens mancherlei Heroen gefeiert und in seinem
Kultus des Genies ein tiefes Verständnis für Naturen wie Goethe und Schiller,
anerkennende Duldsamkeit selbst für Voltaire entwickelt. Am wohlsten aber war
ihm doch, wenn er in seineu Helden deu Puritaner wiederfand oder etwas vom
Puritaner in sie hineintragen konnte. Erst bei John Knvx und Oliver Cromwell
geht ihm das ganze Herz auf — in der vielbändigen Lebensgeschichte Friedrichs
des Großen ist leicht ersichtlich, daß sich der Autor stärker für Friedrich Wilhelm I-,
den Mann des rauhen „unartikulirter" Christentums und der soldatischen Zucht,
begeistert, als für den großen Sohn, in welchem er mit Vorliebe die harte,: Züge
sucht und feiert, die an den ersten Friedrich Wilhelm und seinen Stock ge¬
mahnen. In eine von subjektiver Willkür, eitler Selbstliebe und zuchtloser
Genußsucht erfüllte Zeit zum Widerstand hineingeworfen, aber mit den gute»


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[0022] Thomas «Larlyle. würdige Buch über „Heroen, Heroenkultus und das Heroische in der Geschichte" hat auf unser deutsches Geistesleben einen starken, wenn auch im einzelnen schwer nachzuweisenden Einfluß ausgeübt, und die Gestalt Carlyles ist noch zuletzt in dem großen Kriege von 1370 und 1871 durch die entschiedene Partei¬ nahme des bedeutenden Mannes für die deutsche Sache anch solchen Kreisen uahegerückt worden, welche kaum je vorher „seines Geistes einen Hauch verspürt." Dennoch läßt sich keineswegs sagen, daß auch die gebildetsten unter nus durch¬ schnittlich ein klares Bild von der geistigen Persönlichkeit und der allgemeinen Bedeutung Carlyles in der Seele trügen. Die Parteibildung und Partei- gesiunuug unsrer Tage, welche überall bis in die Dichtung hinein, vor allem aber auf deu Gebieten der historischen und kritischen Literatur, auf deuen Carlyle gearbeitet, ihre Parteibegriffe und Schlagworte sucht, ist dem Verständnis eines so wunderlich widerspruchsvollen, knorrig originellen Geistes geradezu feindlich und hinderlich gewesen. Wie wenig wollten alle diese Begriffe und Worte auf ihn passen! Die „konservativen," welche ihm heute Hütten zujauchzen mögen, fanden morgen Anschauungen und Urteile bei ihm, welche sie gewohnt waren, ein für allemal als „revolutionäre Grciuel" zu brandmarken. Die „Liberalen," denen der energische Freimut und die rücksichtslosen Wahrheiten, die Carlyle nussprach, zu Zeiten wohl imponirten und für ihre Zwecke förderlich erschienen, wandten sich doch erschrocken ab, wenn sie seine Todfeindschaft gegen politisches Schwützertum und den alleinseligmachenden Parlamentarismus erkannten und die tiefreligiöse Grundstinunung des Schriftstellers empfanden. Selbst unab¬ hängige, der eintönigen Parteiparole unzugängliche Naturen fanden sich schwer mit und in Carlyle zurecht, wenn ihnen das historische Element des schottischen Puritanismus im Wesen nud in der Anschauung des modernen Denkers und Schriftstellers nicht vollständig klar und gegenwärtig war. Denn Carlyle ist eines der denkwürdigsten Beispiele dafür, daß, je höher der Baum wächst und ragt, die Wurzeln sich nicht nur um so tiefer im Boden verästeu, souderu auch um so knorriger und erkennbarer zu Tage treten. Carlyle hat Zeit seines Lebens mancherlei Heroen gefeiert und in seinem Kultus des Genies ein tiefes Verständnis für Naturen wie Goethe und Schiller, anerkennende Duldsamkeit selbst für Voltaire entwickelt. Am wohlsten aber war ihm doch, wenn er in seineu Helden deu Puritaner wiederfand oder etwas vom Puritaner in sie hineintragen konnte. Erst bei John Knvx und Oliver Cromwell geht ihm das ganze Herz auf — in der vielbändigen Lebensgeschichte Friedrichs des Großen ist leicht ersichtlich, daß sich der Autor stärker für Friedrich Wilhelm I-, den Mann des rauhen „unartikulirter" Christentums und der soldatischen Zucht, begeistert, als für den großen Sohn, in welchem er mit Vorliebe die harte,: Züge sucht und feiert, die an den ersten Friedrich Wilhelm und seinen Stock ge¬ mahnen. In eine von subjektiver Willkür, eitler Selbstliebe und zuchtloser Genußsucht erfüllte Zeit zum Widerstand hineingeworfen, aber mit den gute»

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/22>, abgerufen am 22.07.2024.