Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite

auf weiteres zurückbleiben, drittehalb Regimenter Infanterie in Alexnndrien, neun
in Kairo und am Süßwasserkaual, dazu die erforderliche Artillerie und Kavallerie,
und das wird so lange währen, bis eine starke ägyptische Polizei und Gendarmerie
geschaffen sind und daneben die ägyptische Armee zu einem mäßigen Teile reor-
ganisirt ist. Das Menschenmaterial für die letztere soll nnter der muhammedanischen
Vevölkeruug Indiens geworben und unter englische Offiziere gestellt werden, die
jedoch in die Dienste des Chedioc treten werden, wobei sichs nur fragt, ob Eng¬
land so viele brauchbare Militärs abzugeben imstande ist. Den entlassenen
ägyptischen Soldaten sollen Staatsläudereien angewiesen werden, den Negern
nnter ihnen im Sudan, und mau wird darauf bedacht sein, nicht viele an einem
und demselben Orte anzusiedeln. Keine europäische Macht wird hiergegen mit
Fug etwas einwenden können. Nur so läßt sich den jetzt nach Ägypten wieder
zurückkehrenden Franzosen, Italienern, Griechen und Deutschen vor neuen Aus-
brüchen des arabische" Christenhasses Sicherheit schaffen.

Darüber, wie die englische Regierung sich die Neugestaltung der Verhält¬
nisse Ägyptens sonst vorstellt, ist offiziell noch nichts bekannt gemacht worden.
Doch weiß man, daß die Ansprüche und Ziele Gladstones maßvoller Art sind,
und daß darüber mit den einzelnen festländischen Kabinetten verhandelt wird.
Das eine und das andre davon ist wohl mit Sicherheit zu erraten. Ägypten
kann in vielen Beziehungen nicht wieder werden, was es vor dem Kriege war,
und man wird sich darauf gefaßt machen müssen, erhebliche Veränderungen ein¬
treten zu scheu. Namentlich in Frankreich wird man genötigt sein, zwei große
Thatsachen geistig zu verdauen. Als die Wasserstraße Englands nach Indien
gefährdet war, beeilte sich die friedfertigste Regierung, die jenes seit langen
Jahren gehabt hatte, mit einem Eifer, der Freund und Feind in Erstaunen ver¬
setzte, die Waffen zur Wahrung ihres Interesses zu ergreifen. Die Nötigung
dazu hatte zweitens sehr beträchtliche Ausgaben zur Folge, und England muß
Bürgschaften erhalten, daß sie nicht bald wieder eintritt. Damit Europa die
Abänderungen des "t^us <zuo a-rief dolium, die hiernach erforderlich sind, gut¬
heiße, bedarf es keines Kongresses, auch keiner Konferenz, es läßt sich dafür eine
Formel finden, die in einem Protokoll ausgedrückt werden kann. Nach vor¬
gängiger Verständigung mit den in Europa einflußreichsten Mächten wird Eng¬
land mit der Pforte ein Abkommen treffen. Ägypten wird sicher nicht annektirt
und ebensowenig für unabhängig erklärt werden. Dagegen wird England un¬
zweifelhaft einen solchen Stand der Dinge herbeizuführen suchen, bei dein es
mehr Einfluß ans die Politik des Chedive auszuüben vermag als bisher. Unter
welcher Gestalt dies geschehen soll, darüber ist, wie es scheint, noch kein end-
giltiger Beschluß gefaßt. Vielleicht bestellt mau einen Generalkontrolenr, der
dem ägyptischen Miuisterrate beizuwohnen hat. Vielleicht ernennt man auch
einen Ministerresideuten bei der Person des Chedive. An Vorbildern für eine
Organisation, die keine Einverleibung ist, aber so ziemlich alle Vorteile einer


auf weiteres zurückbleiben, drittehalb Regimenter Infanterie in Alexnndrien, neun
in Kairo und am Süßwasserkaual, dazu die erforderliche Artillerie und Kavallerie,
und das wird so lange währen, bis eine starke ägyptische Polizei und Gendarmerie
geschaffen sind und daneben die ägyptische Armee zu einem mäßigen Teile reor-
ganisirt ist. Das Menschenmaterial für die letztere soll nnter der muhammedanischen
Vevölkeruug Indiens geworben und unter englische Offiziere gestellt werden, die
jedoch in die Dienste des Chedioc treten werden, wobei sichs nur fragt, ob Eng¬
land so viele brauchbare Militärs abzugeben imstande ist. Den entlassenen
ägyptischen Soldaten sollen Staatsläudereien angewiesen werden, den Negern
nnter ihnen im Sudan, und mau wird darauf bedacht sein, nicht viele an einem
und demselben Orte anzusiedeln. Keine europäische Macht wird hiergegen mit
Fug etwas einwenden können. Nur so läßt sich den jetzt nach Ägypten wieder
zurückkehrenden Franzosen, Italienern, Griechen und Deutschen vor neuen Aus-
brüchen des arabische» Christenhasses Sicherheit schaffen.

Darüber, wie die englische Regierung sich die Neugestaltung der Verhält¬
nisse Ägyptens sonst vorstellt, ist offiziell noch nichts bekannt gemacht worden.
Doch weiß man, daß die Ansprüche und Ziele Gladstones maßvoller Art sind,
und daß darüber mit den einzelnen festländischen Kabinetten verhandelt wird.
Das eine und das andre davon ist wohl mit Sicherheit zu erraten. Ägypten
kann in vielen Beziehungen nicht wieder werden, was es vor dem Kriege war,
und man wird sich darauf gefaßt machen müssen, erhebliche Veränderungen ein¬
treten zu scheu. Namentlich in Frankreich wird man genötigt sein, zwei große
Thatsachen geistig zu verdauen. Als die Wasserstraße Englands nach Indien
gefährdet war, beeilte sich die friedfertigste Regierung, die jenes seit langen
Jahren gehabt hatte, mit einem Eifer, der Freund und Feind in Erstaunen ver¬
setzte, die Waffen zur Wahrung ihres Interesses zu ergreifen. Die Nötigung
dazu hatte zweitens sehr beträchtliche Ausgaben zur Folge, und England muß
Bürgschaften erhalten, daß sie nicht bald wieder eintritt. Damit Europa die
Abänderungen des «t^us <zuo a-rief dolium, die hiernach erforderlich sind, gut¬
heiße, bedarf es keines Kongresses, auch keiner Konferenz, es läßt sich dafür eine
Formel finden, die in einem Protokoll ausgedrückt werden kann. Nach vor¬
gängiger Verständigung mit den in Europa einflußreichsten Mächten wird Eng¬
land mit der Pforte ein Abkommen treffen. Ägypten wird sicher nicht annektirt
und ebensowenig für unabhängig erklärt werden. Dagegen wird England un¬
zweifelhaft einen solchen Stand der Dinge herbeizuführen suchen, bei dein es
mehr Einfluß ans die Politik des Chedive auszuüben vermag als bisher. Unter
welcher Gestalt dies geschehen soll, darüber ist, wie es scheint, noch kein end-
giltiger Beschluß gefaßt. Vielleicht bestellt mau einen Generalkontrolenr, der
dem ägyptischen Miuisterrate beizuwohnen hat. Vielleicht ernennt man auch
einen Ministerresideuten bei der Person des Chedive. An Vorbildern für eine
Organisation, die keine Einverleibung ist, aber so ziemlich alle Vorteile einer


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0110" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/194088"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_367" prev="#ID_366"> auf weiteres zurückbleiben, drittehalb Regimenter Infanterie in Alexnndrien, neun<lb/>
in Kairo und am Süßwasserkaual, dazu die erforderliche Artillerie und Kavallerie,<lb/>
und das wird so lange währen, bis eine starke ägyptische Polizei und Gendarmerie<lb/>
geschaffen sind und daneben die ägyptische Armee zu einem mäßigen Teile reor-<lb/>
ganisirt ist. Das Menschenmaterial für die letztere soll nnter der muhammedanischen<lb/>
Vevölkeruug Indiens geworben und unter englische Offiziere gestellt werden, die<lb/>
jedoch in die Dienste des Chedioc treten werden, wobei sichs nur fragt, ob Eng¬<lb/>
land so viele brauchbare Militärs abzugeben imstande ist. Den entlassenen<lb/>
ägyptischen Soldaten sollen Staatsläudereien angewiesen werden, den Negern<lb/>
nnter ihnen im Sudan, und mau wird darauf bedacht sein, nicht viele an einem<lb/>
und demselben Orte anzusiedeln. Keine europäische Macht wird hiergegen mit<lb/>
Fug etwas einwenden können. Nur so läßt sich den jetzt nach Ägypten wieder<lb/>
zurückkehrenden Franzosen, Italienern, Griechen und Deutschen vor neuen Aus-<lb/>
brüchen des arabische» Christenhasses Sicherheit schaffen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_368" next="#ID_369"> Darüber, wie die englische Regierung sich die Neugestaltung der Verhält¬<lb/>
nisse Ägyptens sonst vorstellt, ist offiziell noch nichts bekannt gemacht worden.<lb/>
Doch weiß man, daß die Ansprüche und Ziele Gladstones maßvoller Art sind,<lb/>
und daß darüber mit den einzelnen festländischen Kabinetten verhandelt wird.<lb/>
Das eine und das andre davon ist wohl mit Sicherheit zu erraten. Ägypten<lb/>
kann in vielen Beziehungen nicht wieder werden, was es vor dem Kriege war,<lb/>
und man wird sich darauf gefaßt machen müssen, erhebliche Veränderungen ein¬<lb/>
treten zu scheu. Namentlich in Frankreich wird man genötigt sein, zwei große<lb/>
Thatsachen geistig zu verdauen. Als die Wasserstraße Englands nach Indien<lb/>
gefährdet war, beeilte sich die friedfertigste Regierung, die jenes seit langen<lb/>
Jahren gehabt hatte, mit einem Eifer, der Freund und Feind in Erstaunen ver¬<lb/>
setzte, die Waffen zur Wahrung ihres Interesses zu ergreifen. Die Nötigung<lb/>
dazu hatte zweitens sehr beträchtliche Ausgaben zur Folge, und England muß<lb/>
Bürgschaften erhalten, daß sie nicht bald wieder eintritt. Damit Europa die<lb/>
Abänderungen des «t^us &lt;zuo a-rief dolium, die hiernach erforderlich sind, gut¬<lb/>
heiße, bedarf es keines Kongresses, auch keiner Konferenz, es läßt sich dafür eine<lb/>
Formel finden, die in einem Protokoll ausgedrückt werden kann. Nach vor¬<lb/>
gängiger Verständigung mit den in Europa einflußreichsten Mächten wird Eng¬<lb/>
land mit der Pforte ein Abkommen treffen. Ägypten wird sicher nicht annektirt<lb/>
und ebensowenig für unabhängig erklärt werden. Dagegen wird England un¬<lb/>
zweifelhaft einen solchen Stand der Dinge herbeizuführen suchen, bei dein es<lb/>
mehr Einfluß ans die Politik des Chedive auszuüben vermag als bisher. Unter<lb/>
welcher Gestalt dies geschehen soll, darüber ist, wie es scheint, noch kein end-<lb/>
giltiger Beschluß gefaßt. Vielleicht bestellt mau einen Generalkontrolenr, der<lb/>
dem ägyptischen Miuisterrate beizuwohnen hat. Vielleicht ernennt man auch<lb/>
einen Ministerresideuten bei der Person des Chedive. An Vorbildern für eine<lb/>
Organisation, die keine Einverleibung ist, aber so ziemlich alle Vorteile einer</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0110] auf weiteres zurückbleiben, drittehalb Regimenter Infanterie in Alexnndrien, neun in Kairo und am Süßwasserkaual, dazu die erforderliche Artillerie und Kavallerie, und das wird so lange währen, bis eine starke ägyptische Polizei und Gendarmerie geschaffen sind und daneben die ägyptische Armee zu einem mäßigen Teile reor- ganisirt ist. Das Menschenmaterial für die letztere soll nnter der muhammedanischen Vevölkeruug Indiens geworben und unter englische Offiziere gestellt werden, die jedoch in die Dienste des Chedioc treten werden, wobei sichs nur fragt, ob Eng¬ land so viele brauchbare Militärs abzugeben imstande ist. Den entlassenen ägyptischen Soldaten sollen Staatsläudereien angewiesen werden, den Negern nnter ihnen im Sudan, und mau wird darauf bedacht sein, nicht viele an einem und demselben Orte anzusiedeln. Keine europäische Macht wird hiergegen mit Fug etwas einwenden können. Nur so läßt sich den jetzt nach Ägypten wieder zurückkehrenden Franzosen, Italienern, Griechen und Deutschen vor neuen Aus- brüchen des arabische» Christenhasses Sicherheit schaffen. Darüber, wie die englische Regierung sich die Neugestaltung der Verhält¬ nisse Ägyptens sonst vorstellt, ist offiziell noch nichts bekannt gemacht worden. Doch weiß man, daß die Ansprüche und Ziele Gladstones maßvoller Art sind, und daß darüber mit den einzelnen festländischen Kabinetten verhandelt wird. Das eine und das andre davon ist wohl mit Sicherheit zu erraten. Ägypten kann in vielen Beziehungen nicht wieder werden, was es vor dem Kriege war, und man wird sich darauf gefaßt machen müssen, erhebliche Veränderungen ein¬ treten zu scheu. Namentlich in Frankreich wird man genötigt sein, zwei große Thatsachen geistig zu verdauen. Als die Wasserstraße Englands nach Indien gefährdet war, beeilte sich die friedfertigste Regierung, die jenes seit langen Jahren gehabt hatte, mit einem Eifer, der Freund und Feind in Erstaunen ver¬ setzte, die Waffen zur Wahrung ihres Interesses zu ergreifen. Die Nötigung dazu hatte zweitens sehr beträchtliche Ausgaben zur Folge, und England muß Bürgschaften erhalten, daß sie nicht bald wieder eintritt. Damit Europa die Abänderungen des «t^us <zuo a-rief dolium, die hiernach erforderlich sind, gut¬ heiße, bedarf es keines Kongresses, auch keiner Konferenz, es läßt sich dafür eine Formel finden, die in einem Protokoll ausgedrückt werden kann. Nach vor¬ gängiger Verständigung mit den in Europa einflußreichsten Mächten wird Eng¬ land mit der Pforte ein Abkommen treffen. Ägypten wird sicher nicht annektirt und ebensowenig für unabhängig erklärt werden. Dagegen wird England un¬ zweifelhaft einen solchen Stand der Dinge herbeizuführen suchen, bei dein es mehr Einfluß ans die Politik des Chedive auszuüben vermag als bisher. Unter welcher Gestalt dies geschehen soll, darüber ist, wie es scheint, noch kein end- giltiger Beschluß gefaßt. Vielleicht bestellt mau einen Generalkontrolenr, der dem ägyptischen Miuisterrate beizuwohnen hat. Vielleicht ernennt man auch einen Ministerresideuten bei der Person des Chedive. An Vorbildern für eine Organisation, die keine Einverleibung ist, aber so ziemlich alle Vorteile einer

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/110
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/110>, abgerufen am 26.06.2024.