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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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und Sprachverderbnis" war auch zu streiche", weil darin die Snbstantiva als
Gegensätze hätten aufgefaßt werden können. Auch den Titel "Die Dilettanten
der Kanzel" löschte ich im Handumdrehen; denn daß ich hiermit rücksichtlich der
aolio in (lieenclo die Geistlichen meinte, hätten nnr diese selbst gefühlt, oder am
Ende gar nur diejenigen unter ihnen, welche sich nicht für Meister der Rede halten,
also niemand. Viel zu gute that ich mir eine Weile auf die Titel "Kanzelvortrag und
Mürtyrertum" und "Kanzelvortrag und Heroismus." Sie schienen mir aber alsbald
unpassend in der Erwägung, daß es thatsächlich viele gut geschriebenen Predigten
giebt, die zu hören es bei weitem mehr als Heroismus bedarf und in der ferneren
Erwägung, daß in solchen Predigten oft nicht nnr der Zuhörer, sondern mehr noch
der Kanzelredner zum Märtyrer wird, mit dein einzigen Unterschiede, daß dieser
martervoll redend unschuldig zu leiden wähnt, jener aber schweigend gemartert
wirklich unschuldig leidet. Auch fiel mir noch ein, daß Titel in der Jurisdiktion
Rechtsgrund bedeutet, und daß ich zwar das Recht hätte, Kanzelvortrag und
Märtyrertum schlechtweg in das bündige Verhältnis von Ursache und Wirkung
zu setzen, nicht aber Grund, dieses Abhängigkeitsverhültnis als etwas unbe¬
kanntes oder besonders interessantes zu prollamiren. Am besten wäre vielleicht
der nach bekannten Analogien geformte Titel "Zur Pathologie und Therapie
des Kanzelvortrags" gewesen. Er klang jedoch zu sehr uach unschuldig ver¬
gossenem Blut und Leichenöffnung und mußte deu Gedanken nahe legen, daß
es sich in diesem Aufsatz etwa gar um eine mit Handschuhen zu vollziehende
Sektion handle. Und das wollte ich unter allen Umständen vermeiden. Es ist
da nichts mit Handschuhen anzufassen. Mit nackter Hemd greife ich die nackte
Wahrheit. Und wenn ich unter endgiltiger Beibehaltung des wenig eindring¬
lichen Titels sage: "Der Kanzelvortrag von heutzutage ist im allgemeinen kläg¬
lich," so ist das keine zu beweisende Behauptung, sondern nach der Termino¬
logie der simpelsten Schnlgeometrie die feststehende Voraussetzung oder, wenn
man will, eine Erfahrnngsthatsache, wie wenn ich sage: "Das Laub ist im
allgemeinen grün," wobei es freilich näher gelegen hätte, einen Vergleich vom
"dürren Holze" zu suchen.

Der uralte Streit, ob alle Beredsamkeit (g,otia> in äieenclo) von der Kanzel
zu verbannen sei oder nicht, der schon im 17. Jahrhundert, wo derselbe in
Frankreich heftig entbrannte, sich dahin entschied, daß die Notwendigkeit der
geistlichen Elokution gerettet wurde, ist heute ein Fechten mit Windmühlen.
Trotzdem fechten die Geistlichen fort. Wenn sie unterliege", haben sie alles,
was ihnen anhaftet, und alles, um dessen Besitz sie kämpfen -- mit einem Wort,
alle Fehler des Kanzelvortrnges -- auf dem Altar des Vaterlandes abzulegen
und müßten sich dem Joche eines ausdauernden Studiums der a-vllo in äiovnäo
beugen. -- Dem Joche? -- Ach, wenn sie wüßten, welche Schätze sie gewonnen!
Aber sie scheinen es nicht zu wissen; denn sie fechten fort nnter vielsäuligen,
starkledernen Schilden. Sie sind gewappnet mit dem verrosteten Panzer über-


und Sprachverderbnis" war auch zu streiche», weil darin die Snbstantiva als
Gegensätze hätten aufgefaßt werden können. Auch den Titel „Die Dilettanten
der Kanzel" löschte ich im Handumdrehen; denn daß ich hiermit rücksichtlich der
aolio in (lieenclo die Geistlichen meinte, hätten nnr diese selbst gefühlt, oder am
Ende gar nur diejenigen unter ihnen, welche sich nicht für Meister der Rede halten,
also niemand. Viel zu gute that ich mir eine Weile auf die Titel „Kanzelvortrag und
Mürtyrertum" und „Kanzelvortrag und Heroismus." Sie schienen mir aber alsbald
unpassend in der Erwägung, daß es thatsächlich viele gut geschriebenen Predigten
giebt, die zu hören es bei weitem mehr als Heroismus bedarf und in der ferneren
Erwägung, daß in solchen Predigten oft nicht nnr der Zuhörer, sondern mehr noch
der Kanzelredner zum Märtyrer wird, mit dein einzigen Unterschiede, daß dieser
martervoll redend unschuldig zu leiden wähnt, jener aber schweigend gemartert
wirklich unschuldig leidet. Auch fiel mir noch ein, daß Titel in der Jurisdiktion
Rechtsgrund bedeutet, und daß ich zwar das Recht hätte, Kanzelvortrag und
Märtyrertum schlechtweg in das bündige Verhältnis von Ursache und Wirkung
zu setzen, nicht aber Grund, dieses Abhängigkeitsverhültnis als etwas unbe¬
kanntes oder besonders interessantes zu prollamiren. Am besten wäre vielleicht
der nach bekannten Analogien geformte Titel „Zur Pathologie und Therapie
des Kanzelvortrags" gewesen. Er klang jedoch zu sehr uach unschuldig ver¬
gossenem Blut und Leichenöffnung und mußte deu Gedanken nahe legen, daß
es sich in diesem Aufsatz etwa gar um eine mit Handschuhen zu vollziehende
Sektion handle. Und das wollte ich unter allen Umständen vermeiden. Es ist
da nichts mit Handschuhen anzufassen. Mit nackter Hemd greife ich die nackte
Wahrheit. Und wenn ich unter endgiltiger Beibehaltung des wenig eindring¬
lichen Titels sage: „Der Kanzelvortrag von heutzutage ist im allgemeinen kläg¬
lich," so ist das keine zu beweisende Behauptung, sondern nach der Termino¬
logie der simpelsten Schnlgeometrie die feststehende Voraussetzung oder, wenn
man will, eine Erfahrnngsthatsache, wie wenn ich sage: „Das Laub ist im
allgemeinen grün," wobei es freilich näher gelegen hätte, einen Vergleich vom
„dürren Holze" zu suchen.

Der uralte Streit, ob alle Beredsamkeit (g,otia> in äieenclo) von der Kanzel
zu verbannen sei oder nicht, der schon im 17. Jahrhundert, wo derselbe in
Frankreich heftig entbrannte, sich dahin entschied, daß die Notwendigkeit der
geistlichen Elokution gerettet wurde, ist heute ein Fechten mit Windmühlen.
Trotzdem fechten die Geistlichen fort. Wenn sie unterliege», haben sie alles,
was ihnen anhaftet, und alles, um dessen Besitz sie kämpfen — mit einem Wort,
alle Fehler des Kanzelvortrnges — auf dem Altar des Vaterlandes abzulegen
und müßten sich dem Joche eines ausdauernden Studiums der a-vllo in äiovnäo
beugen. — Dem Joche? — Ach, wenn sie wüßten, welche Schätze sie gewonnen!
Aber sie scheinen es nicht zu wissen; denn sie fechten fort nnter vielsäuligen,
starkledernen Schilden. Sie sind gewappnet mit dem verrosteten Panzer über-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/600>, abgerufen am 25.08.2024.