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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Börse und Publikum.

Kapitalisten stehen den Vorgängen an der Börse nicht routinirt genug gegen¬
über; den wenigsten füllt es ein, der einzigen Börsenweisheit: zu kaufen, wenn
die Kurse niedrig, zu "realisiren," wenn sie hoch sind, sich zu akkomvdiren, also
anstatt bei Kursstürzen besinnungslos ebenfalls loszuschlagen, vielmehr dein
Zuge nachzugehen und bei jedem Sturz nachzulaufen. Dies liegt meist darau,
daß das spekulirende Laienpnblikum über das Wesen der Vorgänge an der
Börse vollkommen im Dunkeln ist. Durch die sogenannten Handels- und Finanz¬
blätter wird diese Dunkelheit nur noch gesteigert. Denn jene Blätter sind
lediglich die Kolporteure der vagen, geflissentlich ausgestreuten Börsengerüchte,
welche der Verwirrung dienen sollen. Wichtige und wesentliche Mitteilungen,
welche das Publikum thatsächlich aufklären könnten, sucht man in diesen Blättern
vergeblich. Die sogenannten Börsenberichte in den Zeitungen sind mehr oder
weniger Reklamen; sie sind nicht selten von "Bankbeamten" geschrieben und
nicht ihre Tinte wert. Leider stehen die meisten Zeitungsredaktionen, selbst wenn
sie den besten Willen haben, der Börse und überhaupt der finanzpolitischen Be¬
wegung geradeso naiv gegenüber wie das große Publikum, dem es "überaus wohl¬
thuend ist, Sonntags morgens beim Frühstück den Kurszettel zu lesen und zu
finden, daß man ohne Zuthun wieder um einige Prozent reicher geworden ist."
Leider ohne Zuthun! aber das "Zuthun" bleibt nicht aus, wenn die Kehrseite
der Medaille obenaufliegt. Als vor einigen Jahren die Konservativen eine
Zeitung in Frankfurt am Main gründeten -- wen wählten sie zum Redakteur
des "Vörsenteiles"? Einen verkrachten Börsenjnden!

Es ist daher nicht zu verwundern, wenn jede stärkere Bewegung der Börsen¬
kurse nach rückwärts große Verheerungen im Nationalwohlstand anrichtet. Durch
den fortschreitenden Prozeß der "Mobilisirnng" wird das Publikum immer mehr
der fundirten Anlegung seiner disponibel" Mittel entfremdet, wodurch der
allgemeine Zug, der gegen direkte Beziehungen im Verkehr, insbesondre im Ka¬
pitalverkehr, geht, überaus begünstigt wird. Es bedürfte daher kaum noch jeuer
vagen wirtschaftlichen Gesetzgebung, ans welcher die Wucherpflanzen des Aktien-
und "Volksbank"-Wesens herauswuchsen, um den Nationalwohlstand ans Schrauben
zu stellen und ihn einer großen, scheinbar in Koterien gespaltenen, aber in ihrem
Ziel nur allzueinigen Körperschaft in die Hände zu liefern.

In der That entspricht es ganz dem von uns bereits in seiner ursächlichen
Bedeutung hervorgehobenen allgemeinen Grundzug, der fast alle wirtschaftlichen
Angelegenheiten in fremde Hände legen ließ, daß nnn auch die Gesetzgebung
Organisationen zur völligen Eutreißuug der Eigentumsrechte zuließ und begün¬
stigte. Diese Organisationen sind die Aktiengesellschaften und in potenzirten
Grade die Kreditgeiwssenschaften. Die letztern sind übrigens nicht eine Erfin¬
dung von Schulze-Delitzsch, wie die beflissene Reklame unserm Publikum wei߬
gemacht hat, sondern nichts als die Übertragung der alten englischen unlimitirtett
Aktiengesellschaft nach Deutschland.


Börse und Publikum.

Kapitalisten stehen den Vorgängen an der Börse nicht routinirt genug gegen¬
über; den wenigsten füllt es ein, der einzigen Börsenweisheit: zu kaufen, wenn
die Kurse niedrig, zu „realisiren," wenn sie hoch sind, sich zu akkomvdiren, also
anstatt bei Kursstürzen besinnungslos ebenfalls loszuschlagen, vielmehr dein
Zuge nachzugehen und bei jedem Sturz nachzulaufen. Dies liegt meist darau,
daß das spekulirende Laienpnblikum über das Wesen der Vorgänge an der
Börse vollkommen im Dunkeln ist. Durch die sogenannten Handels- und Finanz¬
blätter wird diese Dunkelheit nur noch gesteigert. Denn jene Blätter sind
lediglich die Kolporteure der vagen, geflissentlich ausgestreuten Börsengerüchte,
welche der Verwirrung dienen sollen. Wichtige und wesentliche Mitteilungen,
welche das Publikum thatsächlich aufklären könnten, sucht man in diesen Blättern
vergeblich. Die sogenannten Börsenberichte in den Zeitungen sind mehr oder
weniger Reklamen; sie sind nicht selten von „Bankbeamten" geschrieben und
nicht ihre Tinte wert. Leider stehen die meisten Zeitungsredaktionen, selbst wenn
sie den besten Willen haben, der Börse und überhaupt der finanzpolitischen Be¬
wegung geradeso naiv gegenüber wie das große Publikum, dem es „überaus wohl¬
thuend ist, Sonntags morgens beim Frühstück den Kurszettel zu lesen und zu
finden, daß man ohne Zuthun wieder um einige Prozent reicher geworden ist."
Leider ohne Zuthun! aber das „Zuthun" bleibt nicht aus, wenn die Kehrseite
der Medaille obenaufliegt. Als vor einigen Jahren die Konservativen eine
Zeitung in Frankfurt am Main gründeten — wen wählten sie zum Redakteur
des „Vörsenteiles"? Einen verkrachten Börsenjnden!

Es ist daher nicht zu verwundern, wenn jede stärkere Bewegung der Börsen¬
kurse nach rückwärts große Verheerungen im Nationalwohlstand anrichtet. Durch
den fortschreitenden Prozeß der „Mobilisirnng" wird das Publikum immer mehr
der fundirten Anlegung seiner disponibel» Mittel entfremdet, wodurch der
allgemeine Zug, der gegen direkte Beziehungen im Verkehr, insbesondre im Ka¬
pitalverkehr, geht, überaus begünstigt wird. Es bedürfte daher kaum noch jeuer
vagen wirtschaftlichen Gesetzgebung, ans welcher die Wucherpflanzen des Aktien-
und „Volksbank"-Wesens herauswuchsen, um den Nationalwohlstand ans Schrauben
zu stellen und ihn einer großen, scheinbar in Koterien gespaltenen, aber in ihrem
Ziel nur allzueinigen Körperschaft in die Hände zu liefern.

In der That entspricht es ganz dem von uns bereits in seiner ursächlichen
Bedeutung hervorgehobenen allgemeinen Grundzug, der fast alle wirtschaftlichen
Angelegenheiten in fremde Hände legen ließ, daß nnn auch die Gesetzgebung
Organisationen zur völligen Eutreißuug der Eigentumsrechte zuließ und begün¬
stigte. Diese Organisationen sind die Aktiengesellschaften und in potenzirten
Grade die Kreditgeiwssenschaften. Die letztern sind übrigens nicht eine Erfin¬
dung von Schulze-Delitzsch, wie die beflissene Reklame unserm Publikum wei߬
gemacht hat, sondern nichts als die Übertragung der alten englischen unlimitirtett
Aktiengesellschaft nach Deutschland.


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[0594] Börse und Publikum. Kapitalisten stehen den Vorgängen an der Börse nicht routinirt genug gegen¬ über; den wenigsten füllt es ein, der einzigen Börsenweisheit: zu kaufen, wenn die Kurse niedrig, zu „realisiren," wenn sie hoch sind, sich zu akkomvdiren, also anstatt bei Kursstürzen besinnungslos ebenfalls loszuschlagen, vielmehr dein Zuge nachzugehen und bei jedem Sturz nachzulaufen. Dies liegt meist darau, daß das spekulirende Laienpnblikum über das Wesen der Vorgänge an der Börse vollkommen im Dunkeln ist. Durch die sogenannten Handels- und Finanz¬ blätter wird diese Dunkelheit nur noch gesteigert. Denn jene Blätter sind lediglich die Kolporteure der vagen, geflissentlich ausgestreuten Börsengerüchte, welche der Verwirrung dienen sollen. Wichtige und wesentliche Mitteilungen, welche das Publikum thatsächlich aufklären könnten, sucht man in diesen Blättern vergeblich. Die sogenannten Börsenberichte in den Zeitungen sind mehr oder weniger Reklamen; sie sind nicht selten von „Bankbeamten" geschrieben und nicht ihre Tinte wert. Leider stehen die meisten Zeitungsredaktionen, selbst wenn sie den besten Willen haben, der Börse und überhaupt der finanzpolitischen Be¬ wegung geradeso naiv gegenüber wie das große Publikum, dem es „überaus wohl¬ thuend ist, Sonntags morgens beim Frühstück den Kurszettel zu lesen und zu finden, daß man ohne Zuthun wieder um einige Prozent reicher geworden ist." Leider ohne Zuthun! aber das „Zuthun" bleibt nicht aus, wenn die Kehrseite der Medaille obenaufliegt. Als vor einigen Jahren die Konservativen eine Zeitung in Frankfurt am Main gründeten — wen wählten sie zum Redakteur des „Vörsenteiles"? Einen verkrachten Börsenjnden! Es ist daher nicht zu verwundern, wenn jede stärkere Bewegung der Börsen¬ kurse nach rückwärts große Verheerungen im Nationalwohlstand anrichtet. Durch den fortschreitenden Prozeß der „Mobilisirnng" wird das Publikum immer mehr der fundirten Anlegung seiner disponibel» Mittel entfremdet, wodurch der allgemeine Zug, der gegen direkte Beziehungen im Verkehr, insbesondre im Ka¬ pitalverkehr, geht, überaus begünstigt wird. Es bedürfte daher kaum noch jeuer vagen wirtschaftlichen Gesetzgebung, ans welcher die Wucherpflanzen des Aktien- und „Volksbank"-Wesens herauswuchsen, um den Nationalwohlstand ans Schrauben zu stellen und ihn einer großen, scheinbar in Koterien gespaltenen, aber in ihrem Ziel nur allzueinigen Körperschaft in die Hände zu liefern. In der That entspricht es ganz dem von uns bereits in seiner ursächlichen Bedeutung hervorgehobenen allgemeinen Grundzug, der fast alle wirtschaftlichen Angelegenheiten in fremde Hände legen ließ, daß nnn auch die Gesetzgebung Organisationen zur völligen Eutreißuug der Eigentumsrechte zuließ und begün¬ stigte. Diese Organisationen sind die Aktiengesellschaften und in potenzirten Grade die Kreditgeiwssenschaften. Die letztern sind übrigens nicht eine Erfin¬ dung von Schulze-Delitzsch, wie die beflissene Reklame unserm Publikum wei߬ gemacht hat, sondern nichts als die Übertragung der alten englischen unlimitirtett Aktiengesellschaft nach Deutschland.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/594>, abgerufen am 24.08.2024.