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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Der jüngste Tag.

Ich bin entzückt über die Gelegenheit, einem so großen Licht in der Literatur
zu begegnen wie Ihnen, Herr Anderson. Hier sitzen Sie und weben und er¬
werben sich Ihr Brot mit männlicher Einfachheit, die wahrhaft bewunderns¬
würdig ist. Sie sind wie Cincinnatns hinter seinem Pfluge. Auch ich bin ein
Mann der Wissenschaft.

Er hatte sich in der That an einem College einen Grad erworben, obwohl
er bei Reflationen und Prüfungen zweifelsohne ein ebenso großer Schwindler
war, als er seitdem immer gewesen. Andrews einzige Antwort auf seine Be¬
hauptung, daß er ein Gelehrter sei, bestund in einer ziemlich strengen und lange
fortgesetzten Beaugenscheinigung und Prüfung seiner von Haaröl glänzenden
Locken, seines zierlich gedrehten Schnurrbarts, seiner Brustnadel, seiner Berlocken
und schließlich seiner Strippen und Lackstiefel. Denn Andrew glaubte steif und
fest, daß vernachlässigtes Haar, Halskragen ü, l-i Byron und angeschwärzte Stiefel
die ersten Zeichen literarischen Geschmackes seien.

Sie denken, daß ich mich zu gut kleide, versetzte Humphreys mit seinem
unheimlichen Grinsen. Sie denken, daß ich zu viel auf die äußere Erscheinung
gebe. Das ist wahr. Es ist eine Schwäche, die vom Leben im Auslande
herrührt.

Diese Worte stimmten den Philosophen etwas freundlicher. Im Auslande
gewesen zu sein war das nächstbeste nach der Eigenschaft eines gebornen Aus¬
länders. Aber er war immer noch ein wenig mißtrauisch. Er war erhaben
über die Abneigung des Volkes gegen den Schnurrbart, aber Haaröl konnte
er nicht ausstehen. Die Natur, behauptete er, läßt dem Menschen einen Voll-
bart wachse", damit er ihn trage, und die Natur sorgt von selbst für Einölung
der Haare. Lasse mau doch die Natur gewähren. Er mißtraute Humphreys
nicht deshalb, weil er einen Schnurrbart trug, sondern deshalb, weil er den
übrigen Teil des Gesichtes rasirte und sich das Haar pomadisirte. Er hatte
außerdem durch Intuition die Thatsache herausgefunden, daß ein Lächeln, das
Reh an der felsumgürteten Küste kalter Backenknochen und unbeweglichen Augen
bricht, eine Maske ist. Und so beschloß er, den gelehrten Herrn einer Prüfung
Zu unterwerfen. Ich habe gehört, daß Freimaurerlogen durch Betrüger getäuscht
worden siud. Ich habe nie gehört, daß ein Gelehrter dahin gebracht worden
Wäre, an die Echtheit der Kenntnisse eines Charlntans zu glauben.

Dennoch hielt sich Humphreys wacker. Er konnte fließend, wenn auch
oberflächlich, über Bücher sprechen, er heuchelte besonders lebhafte Begeisterung
für die Bücher, die Andrew bewunderte. Sein Mißgriff und seine daraus sich
^gebende Niederlage waren die Folge, daß er, wie das in solchen Fällen immer
geschieht, sich zu viel des Guten zu leisten bemühte. Nachdem man etwa eine
halbe Stunde gesprochen, ohne daß Andrew seinem Besuch ein Bein zu stellen
Ersucht hatte, fragte er plötzlich:

Gefällt Ihnen der ewig bewundernswürdige .Lenophancs?


Der jüngste Tag.

Ich bin entzückt über die Gelegenheit, einem so großen Licht in der Literatur
zu begegnen wie Ihnen, Herr Anderson. Hier sitzen Sie und weben und er¬
werben sich Ihr Brot mit männlicher Einfachheit, die wahrhaft bewunderns¬
würdig ist. Sie sind wie Cincinnatns hinter seinem Pfluge. Auch ich bin ein
Mann der Wissenschaft.

Er hatte sich in der That an einem College einen Grad erworben, obwohl
er bei Reflationen und Prüfungen zweifelsohne ein ebenso großer Schwindler
war, als er seitdem immer gewesen. Andrews einzige Antwort auf seine Be¬
hauptung, daß er ein Gelehrter sei, bestund in einer ziemlich strengen und lange
fortgesetzten Beaugenscheinigung und Prüfung seiner von Haaröl glänzenden
Locken, seines zierlich gedrehten Schnurrbarts, seiner Brustnadel, seiner Berlocken
und schließlich seiner Strippen und Lackstiefel. Denn Andrew glaubte steif und
fest, daß vernachlässigtes Haar, Halskragen ü, l-i Byron und angeschwärzte Stiefel
die ersten Zeichen literarischen Geschmackes seien.

Sie denken, daß ich mich zu gut kleide, versetzte Humphreys mit seinem
unheimlichen Grinsen. Sie denken, daß ich zu viel auf die äußere Erscheinung
gebe. Das ist wahr. Es ist eine Schwäche, die vom Leben im Auslande
herrührt.

Diese Worte stimmten den Philosophen etwas freundlicher. Im Auslande
gewesen zu sein war das nächstbeste nach der Eigenschaft eines gebornen Aus¬
länders. Aber er war immer noch ein wenig mißtrauisch. Er war erhaben
über die Abneigung des Volkes gegen den Schnurrbart, aber Haaröl konnte
er nicht ausstehen. Die Natur, behauptete er, läßt dem Menschen einen Voll-
bart wachse», damit er ihn trage, und die Natur sorgt von selbst für Einölung
der Haare. Lasse mau doch die Natur gewähren. Er mißtraute Humphreys
nicht deshalb, weil er einen Schnurrbart trug, sondern deshalb, weil er den
übrigen Teil des Gesichtes rasirte und sich das Haar pomadisirte. Er hatte
außerdem durch Intuition die Thatsache herausgefunden, daß ein Lächeln, das
Reh an der felsumgürteten Küste kalter Backenknochen und unbeweglichen Augen
bricht, eine Maske ist. Und so beschloß er, den gelehrten Herrn einer Prüfung
Zu unterwerfen. Ich habe gehört, daß Freimaurerlogen durch Betrüger getäuscht
worden siud. Ich habe nie gehört, daß ein Gelehrter dahin gebracht worden
Wäre, an die Echtheit der Kenntnisse eines Charlntans zu glauben.

Dennoch hielt sich Humphreys wacker. Er konnte fließend, wenn auch
oberflächlich, über Bücher sprechen, er heuchelte besonders lebhafte Begeisterung
für die Bücher, die Andrew bewunderte. Sein Mißgriff und seine daraus sich
^gebende Niederlage waren die Folge, daß er, wie das in solchen Fällen immer
geschieht, sich zu viel des Guten zu leisten bemühte. Nachdem man etwa eine
halbe Stunde gesprochen, ohne daß Andrew seinem Besuch ein Bein zu stellen
Ersucht hatte, fragte er plötzlich:

Gefällt Ihnen der ewig bewundernswürdige .Lenophancs?


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[0579] Der jüngste Tag. Ich bin entzückt über die Gelegenheit, einem so großen Licht in der Literatur zu begegnen wie Ihnen, Herr Anderson. Hier sitzen Sie und weben und er¬ werben sich Ihr Brot mit männlicher Einfachheit, die wahrhaft bewunderns¬ würdig ist. Sie sind wie Cincinnatns hinter seinem Pfluge. Auch ich bin ein Mann der Wissenschaft. Er hatte sich in der That an einem College einen Grad erworben, obwohl er bei Reflationen und Prüfungen zweifelsohne ein ebenso großer Schwindler war, als er seitdem immer gewesen. Andrews einzige Antwort auf seine Be¬ hauptung, daß er ein Gelehrter sei, bestund in einer ziemlich strengen und lange fortgesetzten Beaugenscheinigung und Prüfung seiner von Haaröl glänzenden Locken, seines zierlich gedrehten Schnurrbarts, seiner Brustnadel, seiner Berlocken und schließlich seiner Strippen und Lackstiefel. Denn Andrew glaubte steif und fest, daß vernachlässigtes Haar, Halskragen ü, l-i Byron und angeschwärzte Stiefel die ersten Zeichen literarischen Geschmackes seien. Sie denken, daß ich mich zu gut kleide, versetzte Humphreys mit seinem unheimlichen Grinsen. Sie denken, daß ich zu viel auf die äußere Erscheinung gebe. Das ist wahr. Es ist eine Schwäche, die vom Leben im Auslande herrührt. Diese Worte stimmten den Philosophen etwas freundlicher. Im Auslande gewesen zu sein war das nächstbeste nach der Eigenschaft eines gebornen Aus¬ länders. Aber er war immer noch ein wenig mißtrauisch. Er war erhaben über die Abneigung des Volkes gegen den Schnurrbart, aber Haaröl konnte er nicht ausstehen. Die Natur, behauptete er, läßt dem Menschen einen Voll- bart wachse», damit er ihn trage, und die Natur sorgt von selbst für Einölung der Haare. Lasse mau doch die Natur gewähren. Er mißtraute Humphreys nicht deshalb, weil er einen Schnurrbart trug, sondern deshalb, weil er den übrigen Teil des Gesichtes rasirte und sich das Haar pomadisirte. Er hatte außerdem durch Intuition die Thatsache herausgefunden, daß ein Lächeln, das Reh an der felsumgürteten Küste kalter Backenknochen und unbeweglichen Augen bricht, eine Maske ist. Und so beschloß er, den gelehrten Herrn einer Prüfung Zu unterwerfen. Ich habe gehört, daß Freimaurerlogen durch Betrüger getäuscht worden siud. Ich habe nie gehört, daß ein Gelehrter dahin gebracht worden Wäre, an die Echtheit der Kenntnisse eines Charlntans zu glauben. Dennoch hielt sich Humphreys wacker. Er konnte fließend, wenn auch oberflächlich, über Bücher sprechen, er heuchelte besonders lebhafte Begeisterung für die Bücher, die Andrew bewunderte. Sein Mißgriff und seine daraus sich ^gebende Niederlage waren die Folge, daß er, wie das in solchen Fällen immer geschieht, sich zu viel des Guten zu leisten bemühte. Nachdem man etwa eine halbe Stunde gesprochen, ohne daß Andrew seinem Besuch ein Bein zu stellen Ersucht hatte, fragte er plötzlich: Gefällt Ihnen der ewig bewundernswürdige .Lenophancs?

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/579>, abgerufen am 22.07.2024.