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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Vom Reisen.

leuutuis mit Brutalität anlegen. Welche Sentenzen werden einem da unverlangt
aufgetischt! Was wollen Personen in Italien, die auf der Höhe vou S. Miniato
ausrufen: "Alles kein Berlin, weiß Gott!" und in der Arena zu Padnn: "Der
Mann hat ja gnr nicht zeichnen können"? Beide Äußerungen sind historisch.
Ausnehmend günstig für derartige Studien ist Verona, eine der am meisten
italienischen Städte, lebhaft, in unvergleichlicher Lage und unerschöpflich an
Kunstschätzen jeder Art und aus den verschiedensten Zeiten. Auf den Empfäng¬
liche" Pflegt es, an der Grenze nordischer und südlicher Natur, germanischen
nud romanischen Wesens gelegen, beinahe berauschend zu wirken; nud welche
Dinge bekommt man eben dort zu hören! "Was ist das?" fragte ein augen¬
scheinlich den gebildeten Ständen angehörender junger Manu, als um Mitter¬
nacht der Wagen des Hotel Sau Lorenzo den Triumphbogen passirte. "So?
Na, wenn die Römer nichts besseres gekonnt haben. . .!" -- "Also Giardinv-
Ginsti-Garten heißt das? Nu, viel ist nicht dran. Muß man da oben anch
'ranfklettern?" Der Cicerone setzte zungenfertig auseinander, das werde aller¬
dings nötig sein, an dem klaren Oktobertage sei die Aussicht ebenso weit als
schön -- aber die Gesellschaft ließ sich dadurch uicht verlocken, womit wir, von
oben das Gespräch mit anhörend, sehr zufrieden waren. Eine Dame erzählte
ganz enthusiastisch vou ihrem ersten Ausfluge nach Oberitalien. Mailand und
Venedig, Lionardo und Tizian, Bramante und Sansovino, alles hatte sie in acht
Tagen gründlich studirt. Und Verona, ob das keinen Eindruck gemacht habe?
"O ja," antwortete sie gedehnt, "das Amphitheater ist recht interessant." Ich
könnte noch lange so fortfahren.

Vor einiger Zeit wurde halb scherzhaft, aber im Grnnde mit allem Recht
und allem Ernst vor der Mode gewarnt, Italien zum Ziel von Hochzeitsreisen
zu machen. Allerdings ist dieser äußere Anlaß ein erschwerender Umstand für
diejenige Klasse von Menschen, welche überhaupt uicht für das Reisen geschaffen
sind oder doch in Italien nichts zu suchen haben. Die Warnung muß aber
allgemeiner gefaßt werdeu. Eines schickt sich nicht für alle. Man verlangt ja
auch nicht von einem LoolciNÄker, daß er sich für alte Handschriften interessiren
oder von einem Gelehrten, daß er auf den Turf gehen solle. Und wer es seiner
Stellung schuldig zu sein glaubt, auch dem Reisespvrt, und zwar mit der Rich¬
tung nach Süden, Opfer zu bringen, der beauftrage Mittellose, das Geschäft
für ihn zu besorgen, so kann beiden Teilen -- und noch andern geholfen werden.




Vom Reisen.

leuutuis mit Brutalität anlegen. Welche Sentenzen werden einem da unverlangt
aufgetischt! Was wollen Personen in Italien, die auf der Höhe vou S. Miniato
ausrufen: „Alles kein Berlin, weiß Gott!" und in der Arena zu Padnn: „Der
Mann hat ja gnr nicht zeichnen können"? Beide Äußerungen sind historisch.
Ausnehmend günstig für derartige Studien ist Verona, eine der am meisten
italienischen Städte, lebhaft, in unvergleichlicher Lage und unerschöpflich an
Kunstschätzen jeder Art und aus den verschiedensten Zeiten. Auf den Empfäng¬
liche» Pflegt es, an der Grenze nordischer und südlicher Natur, germanischen
nud romanischen Wesens gelegen, beinahe berauschend zu wirken; nud welche
Dinge bekommt man eben dort zu hören! „Was ist das?" fragte ein augen¬
scheinlich den gebildeten Ständen angehörender junger Manu, als um Mitter¬
nacht der Wagen des Hotel Sau Lorenzo den Triumphbogen passirte. „So?
Na, wenn die Römer nichts besseres gekonnt haben. . .!" — „Also Giardinv-
Ginsti-Garten heißt das? Nu, viel ist nicht dran. Muß man da oben anch
'ranfklettern?" Der Cicerone setzte zungenfertig auseinander, das werde aller¬
dings nötig sein, an dem klaren Oktobertage sei die Aussicht ebenso weit als
schön — aber die Gesellschaft ließ sich dadurch uicht verlocken, womit wir, von
oben das Gespräch mit anhörend, sehr zufrieden waren. Eine Dame erzählte
ganz enthusiastisch vou ihrem ersten Ausfluge nach Oberitalien. Mailand und
Venedig, Lionardo und Tizian, Bramante und Sansovino, alles hatte sie in acht
Tagen gründlich studirt. Und Verona, ob das keinen Eindruck gemacht habe?
„O ja," antwortete sie gedehnt, „das Amphitheater ist recht interessant." Ich
könnte noch lange so fortfahren.

Vor einiger Zeit wurde halb scherzhaft, aber im Grnnde mit allem Recht
und allem Ernst vor der Mode gewarnt, Italien zum Ziel von Hochzeitsreisen
zu machen. Allerdings ist dieser äußere Anlaß ein erschwerender Umstand für
diejenige Klasse von Menschen, welche überhaupt uicht für das Reisen geschaffen
sind oder doch in Italien nichts zu suchen haben. Die Warnung muß aber
allgemeiner gefaßt werdeu. Eines schickt sich nicht für alle. Man verlangt ja
auch nicht von einem LoolciNÄker, daß er sich für alte Handschriften interessiren
oder von einem Gelehrten, daß er auf den Turf gehen solle. Und wer es seiner
Stellung schuldig zu sein glaubt, auch dem Reisespvrt, und zwar mit der Rich¬
tung nach Süden, Opfer zu bringen, der beauftrage Mittellose, das Geschäft
für ihn zu besorgen, so kann beiden Teilen — und noch andern geholfen werden.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/573>, abgerufen am 01.07.2024.