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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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vom Reisen.

niemals sympathisch gewesen, seit 1870 verhaßt ist, an allen öffentlichen Orten
mit einer nicht bloß den Eingebornen verletzenden Aufdringlichkeit sich geltend
zu machen suchte. Die geflissentliche oder gewohnheitsmäßige Vernachlässigung
von Formen, deren Beobachtung nnr eine geringe Aufmerksamkeit erheischt und
zu nichts verpflichtet, wird -- und nicht einzig den Frauzosen gegenüber --
ein politisches Moment, welches volle Beachtung verdiente. Die eiserne Hand
soll bekanntlich im Sammthandschnh stecken, das schlimmste aber ist, wenn im
eisernen Handschuh eine weiche Hand gespürt wird!

Die Italiener sind nicht so empfindlich. Seit langem gewohnt, im'ksUcn'i,
aller Gattungen ihr Wesen treiben zu sehe", zu detache" und gelegentlich an
ihrem Geldbeutel büßen zu lassen, haben sie jetzt anch keine Ursache mehr, an
der dentschen Sprache oder an deutschen Italienisch besondern Anstoß zu nehmen.
Umsomehr duldet der Deutsche selbst durch die Nachfolger des einst mit Unrecht
verketzerten königlich preußische" Auditeurs Gustav Nikolai. Mit Unrecht ist er
verketzert worden, denu er legte mit aller Offenherzigkeit dar, mit welchen Vor¬
stellungen der Durchschnittsdeutsche nach Italien geht und wie gründlich und
bitter seine Enttäuschung sein muß. Zur Warnung seiner Landsleute schrieb er
"Italien, wie es wirklich ist," nud es wäre verdienstlich, wenn in eine von den
vielen Sammlungen älterer, halbvergessener Schriften, die jetzt veranstaltet
werden, anch diese, vielleicht in zweckmäßiger Kürzung, Aufnahme fände. Manches
hat sich allerdings seitdem geändert. Eiserne Bettstellen sind bis in die kleinsten
Gnsthöfe vorgedrungen, und sie nebst polvvrk 1nLvt.t1in<tu, Räucherkerzche" und
rechtzeitigen Fensterschlnß sichern gegen die so gefürchteten "Nachtigallen," Zan-
zaren und andres Jnsektengezücht; sich mit Vetturiueu herumstreiteu zu müssen,
hat der gewöhnliche Reisende kaum noch eine Gelegenheit, die Reinlichkeit
wenigstens ans Gassen und Plätzen hat nnter piemontesischen Regiment geradezu
erstaunliche Fortschritte gemacht (nnr ans vatikanischen Gebiet besteht uoch die
unumschränkte Freiheit des I)i"ogno), und wen" auch das eingewurzelte Bettel-
Wesen nicht so bald gänzlich auszurotten sein wird, so steckt man ihm doch
Grenzen, und wieviel die Fremden zu dessen Ausbreitung beigetragen haben,
gewahren wir in Gegenden, die von Touristen selten berührt werden, und wo
der Unfug in viel geringerem Grade, oft gar nicht lästig fällt. Die Neigung
aber, die Unkenntnis der Sprache, der Verhältnisse, vielleicht sogar des Geldes
bei einem Ausländer sich zu Nutze zu macheu, gedeiht nicht ausschließlich unter
dem Himmel Hesperiens. Somit fällt eine ganze Reihe von Klagepnnkten des
guten Nikolai teils gänzlich weg, teils ist sie von geringerer Bedeutung. Wer
'">r einigermaßen sich zu akklimatisiren und zu akkommodiren versteht, reist
heute in Italien wohlfeiler und angenehmer als in vielen andern Ländern. Doch
wollen eben zu viele uicht den leisesten Versuch in dieser Richtung machen. Was
ihnen ungewohnt ist, ist ihnen unangenehm, unerträglich, darauf schelten sie un¬
gebührlich, verlangen Dinge, die der Italiener uicht kennt, gewöhnlich uoch in


vom Reisen.

niemals sympathisch gewesen, seit 1870 verhaßt ist, an allen öffentlichen Orten
mit einer nicht bloß den Eingebornen verletzenden Aufdringlichkeit sich geltend
zu machen suchte. Die geflissentliche oder gewohnheitsmäßige Vernachlässigung
von Formen, deren Beobachtung nnr eine geringe Aufmerksamkeit erheischt und
zu nichts verpflichtet, wird — und nicht einzig den Frauzosen gegenüber —
ein politisches Moment, welches volle Beachtung verdiente. Die eiserne Hand
soll bekanntlich im Sammthandschnh stecken, das schlimmste aber ist, wenn im
eisernen Handschuh eine weiche Hand gespürt wird!

Die Italiener sind nicht so empfindlich. Seit langem gewohnt, im'ksUcn'i,
aller Gattungen ihr Wesen treiben zu sehe», zu detache» und gelegentlich an
ihrem Geldbeutel büßen zu lassen, haben sie jetzt anch keine Ursache mehr, an
der dentschen Sprache oder an deutschen Italienisch besondern Anstoß zu nehmen.
Umsomehr duldet der Deutsche selbst durch die Nachfolger des einst mit Unrecht
verketzerten königlich preußische» Auditeurs Gustav Nikolai. Mit Unrecht ist er
verketzert worden, denu er legte mit aller Offenherzigkeit dar, mit welchen Vor¬
stellungen der Durchschnittsdeutsche nach Italien geht und wie gründlich und
bitter seine Enttäuschung sein muß. Zur Warnung seiner Landsleute schrieb er
„Italien, wie es wirklich ist," nud es wäre verdienstlich, wenn in eine von den
vielen Sammlungen älterer, halbvergessener Schriften, die jetzt veranstaltet
werden, anch diese, vielleicht in zweckmäßiger Kürzung, Aufnahme fände. Manches
hat sich allerdings seitdem geändert. Eiserne Bettstellen sind bis in die kleinsten
Gnsthöfe vorgedrungen, und sie nebst polvvrk 1nLvt.t1in<tu, Räucherkerzche» und
rechtzeitigen Fensterschlnß sichern gegen die so gefürchteten „Nachtigallen," Zan-
zaren und andres Jnsektengezücht; sich mit Vetturiueu herumstreiteu zu müssen,
hat der gewöhnliche Reisende kaum noch eine Gelegenheit, die Reinlichkeit
wenigstens ans Gassen und Plätzen hat nnter piemontesischen Regiment geradezu
erstaunliche Fortschritte gemacht (nnr ans vatikanischen Gebiet besteht uoch die
unumschränkte Freiheit des I)i«ogno), und wen» auch das eingewurzelte Bettel-
Wesen nicht so bald gänzlich auszurotten sein wird, so steckt man ihm doch
Grenzen, und wieviel die Fremden zu dessen Ausbreitung beigetragen haben,
gewahren wir in Gegenden, die von Touristen selten berührt werden, und wo
der Unfug in viel geringerem Grade, oft gar nicht lästig fällt. Die Neigung
aber, die Unkenntnis der Sprache, der Verhältnisse, vielleicht sogar des Geldes
bei einem Ausländer sich zu Nutze zu macheu, gedeiht nicht ausschließlich unter
dem Himmel Hesperiens. Somit fällt eine ganze Reihe von Klagepnnkten des
guten Nikolai teils gänzlich weg, teils ist sie von geringerer Bedeutung. Wer
'">r einigermaßen sich zu akklimatisiren und zu akkommodiren versteht, reist
heute in Italien wohlfeiler und angenehmer als in vielen andern Ländern. Doch
wollen eben zu viele uicht den leisesten Versuch in dieser Richtung machen. Was
ihnen ungewohnt ist, ist ihnen unangenehm, unerträglich, darauf schelten sie un¬
gebührlich, verlangen Dinge, die der Italiener uicht kennt, gewöhnlich uoch in


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/571>, abgerufen am 26.08.2024.