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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Die Heilslehre Richard Wagners.

durch seine Hoheit einbüßen, er kann anso nur dann sich mit andern Menschen
einlassen, wenn ihm dieselben blinde Unterwerfung und bedingungslose Aner¬
kennung zollen. Auch das idealste Weib macht davon keine Ausnahme. Man
sieht, die Lvhengriusage war ihrer ganzen Anlage mich deu Bedürfnissen Wagners
so auf den Leib geschnitten, daß man sein Entzücken begreift, womit er ausruft,
daß er im "Lohengrin" geradezu die tragische Idee der "Gegenwart" getroffen
habe. Die "Gegenwart" ist nämlich für Wagner das, was er gegenwärtig em¬
pfindet. Nun ist die Musik zu "Lohengrin" so schon, das Textbuch für szeuische
Wirksamkeit so geschickt gemacht, der Ton des Ganzen ist ein so warmer, wie
gmiz natürlich bei einem Dichter und Komponisten, dem seine persönlichen An¬
gelegenheiten so wichtig sind, wie es eben bei Wagner der Fall ist, daß man
sehr wohl begreift, wie jemand, der von der wahren Bedeutung der vorgeführten
Handlung keine Ahnung hat und nur die dramntisirte Sage darin sieht, viel
Freude und Genuß an dem Werke haben kaun. Andrerseits ist es ebenso be¬
greiflich, daß jemand, der weiß, zu welchem Zweck Wagner sich diese Sage zu-
^'echt gemacht hat, und der sich des Marivuetteuhafteu der einzelnen Personen
bewußt wird, trotz der vielen und großen Schönheiten des Werkes eine gewisse
Abneigung dagegen empfindet. Denn reines künstlerisches Wohlgefallen kann
uur da gedeihen, wo der Künstler in seinen Geschöpfen aufgeht, aber uicht da,
>vo die Geschöpfe in ihrem Schöpfer aufgehen und -- eigner Individualität
entbehrend -- gleichsam stets mit dein Finger ans deu Autor weisen, als wollten
sie sagen: uicht ich, nein, dort ist der Mann, um deu sichs handelt. Dies ist
der Punkt, worin sich Shakespeares und Wagners Dramatik diametral gegen-
überstehen; in welchem Sinne, braucht mich dem vorhergehenden nicht weiter
ausgeführt zu werden.

Dieses Verfahren der Selbstdramatisiruug geht durch sämmtliche Werke
Wagners hindurch, deu "Parsifal" uicht ausgeschlossen. Daraus erklären sich
alle Eigentümlichkeiten der Wagnerschen Kunst. Sie gewährt das Bild der Ent¬
wicklung eines großartig angelegten Geistes von außergewöhnlichem Schaffens-
drauge und ebenso außergewöhnlicher Prodnktimiskrcift. Weil aber das Thema
^mer Kunst stets er selbst ist, und die Verarbeitung dieses Themas meist so
^schaffen, daß sie den unbefangenen Zuhörer in deu Sturm der entfesselten
Leidenschaften und das Schwelgen in der eignen Herrlichkeit mit fortreißt, so
laben die Ansprüche auf eine mehr als bloß ästhetische Würdigung, wie sie von
e" Wagnerfanatikern erhoben werde", eine höchst verfängliche Nebenbedeutung.

Es findet sich nämlich in den sämmtlichen künstlerischen und schriftstelle-
^schen Werken Wagners nirgends auch nur ein Anklang um den Gedanken, daß
,^ ^u,e Moral giebt, die das Recht hat, vom Individuum Selbstbeschränkung zu
Ordern. Es existirt kaum eine Person in seineu Werken, die über etwas anderes
nachdachte, uls über die Mittel und Wege, ihre Absichten zu erreichen, und diese
"^ten sind stets auf die schrankenlose BetlMguug des Willens gerichtet.


Die Heilslehre Richard Wagners.

durch seine Hoheit einbüßen, er kann anso nur dann sich mit andern Menschen
einlassen, wenn ihm dieselben blinde Unterwerfung und bedingungslose Aner¬
kennung zollen. Auch das idealste Weib macht davon keine Ausnahme. Man
sieht, die Lvhengriusage war ihrer ganzen Anlage mich deu Bedürfnissen Wagners
so auf den Leib geschnitten, daß man sein Entzücken begreift, womit er ausruft,
daß er im „Lohengrin" geradezu die tragische Idee der „Gegenwart" getroffen
habe. Die „Gegenwart" ist nämlich für Wagner das, was er gegenwärtig em¬
pfindet. Nun ist die Musik zu „Lohengrin" so schon, das Textbuch für szeuische
Wirksamkeit so geschickt gemacht, der Ton des Ganzen ist ein so warmer, wie
gmiz natürlich bei einem Dichter und Komponisten, dem seine persönlichen An¬
gelegenheiten so wichtig sind, wie es eben bei Wagner der Fall ist, daß man
sehr wohl begreift, wie jemand, der von der wahren Bedeutung der vorgeführten
Handlung keine Ahnung hat und nur die dramntisirte Sage darin sieht, viel
Freude und Genuß an dem Werke haben kaun. Andrerseits ist es ebenso be¬
greiflich, daß jemand, der weiß, zu welchem Zweck Wagner sich diese Sage zu-
^'echt gemacht hat, und der sich des Marivuetteuhafteu der einzelnen Personen
bewußt wird, trotz der vielen und großen Schönheiten des Werkes eine gewisse
Abneigung dagegen empfindet. Denn reines künstlerisches Wohlgefallen kann
uur da gedeihen, wo der Künstler in seinen Geschöpfen aufgeht, aber uicht da,
>vo die Geschöpfe in ihrem Schöpfer aufgehen und — eigner Individualität
entbehrend — gleichsam stets mit dein Finger ans deu Autor weisen, als wollten
sie sagen: uicht ich, nein, dort ist der Mann, um deu sichs handelt. Dies ist
der Punkt, worin sich Shakespeares und Wagners Dramatik diametral gegen-
überstehen; in welchem Sinne, braucht mich dem vorhergehenden nicht weiter
ausgeführt zu werden.

Dieses Verfahren der Selbstdramatisiruug geht durch sämmtliche Werke
Wagners hindurch, deu „Parsifal" uicht ausgeschlossen. Daraus erklären sich
alle Eigentümlichkeiten der Wagnerschen Kunst. Sie gewährt das Bild der Ent¬
wicklung eines großartig angelegten Geistes von außergewöhnlichem Schaffens-
drauge und ebenso außergewöhnlicher Prodnktimiskrcift. Weil aber das Thema
^mer Kunst stets er selbst ist, und die Verarbeitung dieses Themas meist so
^schaffen, daß sie den unbefangenen Zuhörer in deu Sturm der entfesselten
Leidenschaften und das Schwelgen in der eignen Herrlichkeit mit fortreißt, so
laben die Ansprüche auf eine mehr als bloß ästhetische Würdigung, wie sie von
e» Wagnerfanatikern erhoben werde», eine höchst verfängliche Nebenbedeutung.

Es findet sich nämlich in den sämmtlichen künstlerischen und schriftstelle-
^schen Werken Wagners nirgends auch nur ein Anklang um den Gedanken, daß
,^ ^u,e Moral giebt, die das Recht hat, vom Individuum Selbstbeschränkung zu
Ordern. Es existirt kaum eine Person in seineu Werken, die über etwas anderes
nachdachte, uls über die Mittel und Wege, ihre Absichten zu erreichen, und diese
"^ten sind stets auf die schrankenlose BetlMguug des Willens gerichtet.


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[0563] Die Heilslehre Richard Wagners. durch seine Hoheit einbüßen, er kann anso nur dann sich mit andern Menschen einlassen, wenn ihm dieselben blinde Unterwerfung und bedingungslose Aner¬ kennung zollen. Auch das idealste Weib macht davon keine Ausnahme. Man sieht, die Lvhengriusage war ihrer ganzen Anlage mich deu Bedürfnissen Wagners so auf den Leib geschnitten, daß man sein Entzücken begreift, womit er ausruft, daß er im „Lohengrin" geradezu die tragische Idee der „Gegenwart" getroffen habe. Die „Gegenwart" ist nämlich für Wagner das, was er gegenwärtig em¬ pfindet. Nun ist die Musik zu „Lohengrin" so schon, das Textbuch für szeuische Wirksamkeit so geschickt gemacht, der Ton des Ganzen ist ein so warmer, wie gmiz natürlich bei einem Dichter und Komponisten, dem seine persönlichen An¬ gelegenheiten so wichtig sind, wie es eben bei Wagner der Fall ist, daß man sehr wohl begreift, wie jemand, der von der wahren Bedeutung der vorgeführten Handlung keine Ahnung hat und nur die dramntisirte Sage darin sieht, viel Freude und Genuß an dem Werke haben kaun. Andrerseits ist es ebenso be¬ greiflich, daß jemand, der weiß, zu welchem Zweck Wagner sich diese Sage zu- ^'echt gemacht hat, und der sich des Marivuetteuhafteu der einzelnen Personen bewußt wird, trotz der vielen und großen Schönheiten des Werkes eine gewisse Abneigung dagegen empfindet. Denn reines künstlerisches Wohlgefallen kann uur da gedeihen, wo der Künstler in seinen Geschöpfen aufgeht, aber uicht da, >vo die Geschöpfe in ihrem Schöpfer aufgehen und — eigner Individualität entbehrend — gleichsam stets mit dein Finger ans deu Autor weisen, als wollten sie sagen: uicht ich, nein, dort ist der Mann, um deu sichs handelt. Dies ist der Punkt, worin sich Shakespeares und Wagners Dramatik diametral gegen- überstehen; in welchem Sinne, braucht mich dem vorhergehenden nicht weiter ausgeführt zu werden. Dieses Verfahren der Selbstdramatisiruug geht durch sämmtliche Werke Wagners hindurch, deu „Parsifal" uicht ausgeschlossen. Daraus erklären sich alle Eigentümlichkeiten der Wagnerschen Kunst. Sie gewährt das Bild der Ent¬ wicklung eines großartig angelegten Geistes von außergewöhnlichem Schaffens- drauge und ebenso außergewöhnlicher Prodnktimiskrcift. Weil aber das Thema ^mer Kunst stets er selbst ist, und die Verarbeitung dieses Themas meist so ^schaffen, daß sie den unbefangenen Zuhörer in deu Sturm der entfesselten Leidenschaften und das Schwelgen in der eignen Herrlichkeit mit fortreißt, so laben die Ansprüche auf eine mehr als bloß ästhetische Würdigung, wie sie von e» Wagnerfanatikern erhoben werde», eine höchst verfängliche Nebenbedeutung. Es findet sich nämlich in den sämmtlichen künstlerischen und schriftstelle- ^schen Werken Wagners nirgends auch nur ein Anklang um den Gedanken, daß ,^ ^u,e Moral giebt, die das Recht hat, vom Individuum Selbstbeschränkung zu Ordern. Es existirt kaum eine Person in seineu Werken, die über etwas anderes nachdachte, uls über die Mittel und Wege, ihre Absichten zu erreichen, und diese "^ten sind stets auf die schrankenlose BetlMguug des Willens gerichtet.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/563>, abgerufen am 22.07.2024.