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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Die Aonferenzgcrnchte und der ägyptische Krieg.

Willen geltend zu machen. Die Macht, die das seit 1871 geeinte, seit 1879
mit Österreich-Ungarn verbündete Deutschland besitzt, diente bisher nie aggressiven
Zwecken und wird solchen auch ferner nicht dienen. Sie hat einzig und allein
die Erhaltung des Friedens für den gesammten Weltteil im Auge. Österreich-
Ungarn und Deutschland werden, wenn der jetzt ausgebrochene Kampf in Ägypten
zu Ende ist, und England und die Pforte sie ersuchen, sich den übrigen Gro߬
mächten anzuschließen, um die Zukunft des Nillcmdcs festzustellen, sich ohne
Zweifel bereit zeigen, dieser Aufforderung nachzukommen und als Vermittler ihr
Bestes thun, damit ein alle Teile möglichst zufriedenstellendes, fernere Bedrohung
und Störung des Weltfriedens ausschließendes Arrangement zustande komme.
Selbst aber die Initiative zu ergreifen, werden sie keinesfalls geneigt sein, und
ebenso sicher erscheint, daß, wenn in jenem Falle die Gesandtenkonferenz in Kon-
stantinopel mit der Aufgabe betraut werden sollte, ein Projekt zu endgiltiger
Regelung der Stellung Ägyptens auszuarbeiten, England und die Pforte, deren
Interessen dabei in erster Linie abzuwägen wären, und die deu Krieg allein ge¬
führt hätten, bei der Beratung der Sache eine hervorragende Rolle zu spielen
berufen sein würden, und nicht unwahrscheinlich ist die Vermutung, daß sie sich
bereits durch einen geheimen Vertrag neben dem öffentlichen miteinander ver¬
ständigt haben.

Mit dem Vorstehenden ist bereits die vom "Temps" in mehreren Artikeln
verfochtene Ansicht, England leiste mit seiner Expedition nach Ägypten den fran¬
zösischen Interessen dankenswerte Dienste, wenigstens teilweise widerlegt, und zwar
in der zweiten und wichtigeren Hälfte. Das Blatt meint zunächst, England
fördere damit das französische Interesse, weil es die Türkenherrschaft von Afrika
fernhalte und das Erstarken des muselmännischen Elements dort hindere, das
den Franzosen andernfalls in Tunis und Algerien gefährlich werden könne.
Wir lassen das dahingestellt. Dagegen erklären wir es für Thorheit, wenn ein
andrer Artikel desselben Journals die Meinung ausspricht, Englands Auftreten
in Ägypten nütze Frankreich, weil es den Einfluß und die Macht Deutschlands
verdunkle. Der Versasser des Aufsatzes spricht von "germanischer Omnipotenz,"
gegen die er ein Bündnis zwischen Frankreich und England empfiehlt, welches
den Druck jener Allmacht aufwiegen werde. Wenn ein deutsches Blatt vor etwa
fünfzehn Jahren über die herrschsüchtige Omnipotenz Frankreichs geklagt und
zur Paralysirung derselben dnrch eine englisch-deutsche Allianz aufgefordert hätte,
so würde mau seine Klage begründet gefunden haben; denn nie hat sich eine
Macht mehr in andrer Leute Angelegenheiten gemischt, mehr ihren Rat auf¬
gedrungen, mehr zensirt, mehr die Protektvrmiene angenommen und mehr den
Interessen- und Tugendwächter im Bereiche seiner Nachbarn und darüber hinaus,
bis nach Polen nud Mexiko, gespielt, als Fraukreich unter dem dritten Napoleon.
Aber Deutschland -- mau greift sich an den Kopf --, hat Deutschland jemals
Anlaß zur Klage geboten, daß es seine Macht fühlen lasse? Hat es etwa den


Die Aonferenzgcrnchte und der ägyptische Krieg.

Willen geltend zu machen. Die Macht, die das seit 1871 geeinte, seit 1879
mit Österreich-Ungarn verbündete Deutschland besitzt, diente bisher nie aggressiven
Zwecken und wird solchen auch ferner nicht dienen. Sie hat einzig und allein
die Erhaltung des Friedens für den gesammten Weltteil im Auge. Österreich-
Ungarn und Deutschland werden, wenn der jetzt ausgebrochene Kampf in Ägypten
zu Ende ist, und England und die Pforte sie ersuchen, sich den übrigen Gro߬
mächten anzuschließen, um die Zukunft des Nillcmdcs festzustellen, sich ohne
Zweifel bereit zeigen, dieser Aufforderung nachzukommen und als Vermittler ihr
Bestes thun, damit ein alle Teile möglichst zufriedenstellendes, fernere Bedrohung
und Störung des Weltfriedens ausschließendes Arrangement zustande komme.
Selbst aber die Initiative zu ergreifen, werden sie keinesfalls geneigt sein, und
ebenso sicher erscheint, daß, wenn in jenem Falle die Gesandtenkonferenz in Kon-
stantinopel mit der Aufgabe betraut werden sollte, ein Projekt zu endgiltiger
Regelung der Stellung Ägyptens auszuarbeiten, England und die Pforte, deren
Interessen dabei in erster Linie abzuwägen wären, und die deu Krieg allein ge¬
führt hätten, bei der Beratung der Sache eine hervorragende Rolle zu spielen
berufen sein würden, und nicht unwahrscheinlich ist die Vermutung, daß sie sich
bereits durch einen geheimen Vertrag neben dem öffentlichen miteinander ver¬
ständigt haben.

Mit dem Vorstehenden ist bereits die vom „Temps" in mehreren Artikeln
verfochtene Ansicht, England leiste mit seiner Expedition nach Ägypten den fran¬
zösischen Interessen dankenswerte Dienste, wenigstens teilweise widerlegt, und zwar
in der zweiten und wichtigeren Hälfte. Das Blatt meint zunächst, England
fördere damit das französische Interesse, weil es die Türkenherrschaft von Afrika
fernhalte und das Erstarken des muselmännischen Elements dort hindere, das
den Franzosen andernfalls in Tunis und Algerien gefährlich werden könne.
Wir lassen das dahingestellt. Dagegen erklären wir es für Thorheit, wenn ein
andrer Artikel desselben Journals die Meinung ausspricht, Englands Auftreten
in Ägypten nütze Frankreich, weil es den Einfluß und die Macht Deutschlands
verdunkle. Der Versasser des Aufsatzes spricht von „germanischer Omnipotenz,"
gegen die er ein Bündnis zwischen Frankreich und England empfiehlt, welches
den Druck jener Allmacht aufwiegen werde. Wenn ein deutsches Blatt vor etwa
fünfzehn Jahren über die herrschsüchtige Omnipotenz Frankreichs geklagt und
zur Paralysirung derselben dnrch eine englisch-deutsche Allianz aufgefordert hätte,
so würde mau seine Klage begründet gefunden haben; denn nie hat sich eine
Macht mehr in andrer Leute Angelegenheiten gemischt, mehr ihren Rat auf¬
gedrungen, mehr zensirt, mehr die Protektvrmiene angenommen und mehr den
Interessen- und Tugendwächter im Bereiche seiner Nachbarn und darüber hinaus,
bis nach Polen nud Mexiko, gespielt, als Fraukreich unter dem dritten Napoleon.
Aber Deutschland — mau greift sich an den Kopf —, hat Deutschland jemals
Anlaß zur Klage geboten, daß es seine Macht fühlen lasse? Hat es etwa den


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/538>, abgerufen am 01.07.2024.