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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Richard Wagners Parsifal.

Wiederholt. Die Durchführung ist sehr kurz und nimmt eigentlich uur einen An¬
lauf, wie überhaupt in dem ganzen Vorspiele an die Stelle von Arbeit und Ent¬
wicklung das System der nackten Nepetitiou tritt. Trotzdem erreicht dieses Vor¬
spiel an seiner Stelle seineu Zweck, eine fromme Stimmung vorzubereiten, und
wird über kurz oder lang wohl auch in deu Kvuzertsälen seinen Platz ausfüllen.

Die erste Szene bietet ein wunderschönes Landschaftsbild. Von uralten,
hohen und breiten Waldbüumen umgrenzt, glänzt, soweit das Auge reicht, ein
See im ersten Morgenlicht. Guruemanz, ein alter Ritter vom Gral, und zwei
Knappen erheben sich und beten zunächst. Das eigentliche Gebet hört mau in
einem Orchestersatz, dessen Kosten das Glaubensmvtiv und das vom Gral be-
streiten. Bald darauf kommt Kuudry an, sehr gut charakterisirt durch el" heftig
aufwärts dringendes Motiv, das zu einem kleinen Sätzchen ausgeführt wird und
mit einer rasenden Sechzehntelfignr jäh abbricht. . Kundry hat als Gralsbvtin
aus fernem Lande einen Balsam für den kranken König gebracht, den sie wortkarg
übergiebt, um sich ferner uur mit kurzen Brocken an der Szene zu beteiligen.
Jetzt beginnt eine längere Erzählungspartie, in welcher Guruemanz erst die Ge¬
schichte der Kuudry, soweit er sie keimt, dann die des Grals vorträgt. Sie
wird unterbrochen durch einen Auszug vou Rittern, welche in einer Sänfte den
kranken König Amfortas nach dem See zum Bade tragen. Der König verweilt
einen Moment auf der Szene, und hier entwickelt sich eine der schönsten Partien
des Aktes. Rührend ist der milde, leidensvolle Krankenton im Gesänge des
Königs ausgedrückt, und die Gefühle, welche deu Armen nach der langen
schlimmen Nacht überkommen, als ihn die Waldesmvrgeupracht erquickt, drückt
ein selbständiger Orchestersatz entzückend schon aus, uach unsrer Ansicht mindestens
ebensogut und dramatisch vorteilhafter als das durch eine Arie oder einen andern
Gesangsatz des Königs hätte geschehen können. Als der König fort ist, geht
die Erzählung des Guruemanz von neuem nu. Sie ermüdet alle Zuhörer, die
sich nicht vorher fest vorgenommen haben, alles schön zu finden und durch
Memoriren der ganzen Partie des Urteils verlustig gegangen sind. Für den
bei der Ausführung beteiligten Künstler ist dieses Verfahren kaum zu vermeiden;
zur andere wird es auf die Dauer schädlich. Hier bereits wird auf die Zauberei
des Klingsor angespielt. Das Motiv, welches hierzu benutzt wird, ist von einer
Plalerisch hinschleichenden Natur und wirkt durch das ganze Werk immer wie
w> böser Kobold.

Bei diesen Erzählungen geht es nichts weniger als knapp zu, der Hergang
Kor Amfortas' Verwundung wird uns gleich zweimal vorgetragen. Es ist
Miz ersichtlich: Wie Matthesvn vom Komponisten verlangte, daß er jeden Thor-
schreiberzcttel in Musik zu setzen verstehen müsse, wie Rainern sich rühmte, die
Holländische Zeitung komponiren zu wollen, so setzt auch Wagner seine" Stolz
darein, gerade den sprödeste" Stoffe" Musik abzutrotzen, und verweilt bei ihnen
fast mit Vorliebe. Er hat ans diesem Gebiete sehr vieles erreicht und die


GrenzbvUni III. 1882. 63
Richard Wagners Parsifal.

Wiederholt. Die Durchführung ist sehr kurz und nimmt eigentlich uur einen An¬
lauf, wie überhaupt in dem ganzen Vorspiele an die Stelle von Arbeit und Ent¬
wicklung das System der nackten Nepetitiou tritt. Trotzdem erreicht dieses Vor¬
spiel an seiner Stelle seineu Zweck, eine fromme Stimmung vorzubereiten, und
wird über kurz oder lang wohl auch in deu Kvuzertsälen seinen Platz ausfüllen.

Die erste Szene bietet ein wunderschönes Landschaftsbild. Von uralten,
hohen und breiten Waldbüumen umgrenzt, glänzt, soweit das Auge reicht, ein
See im ersten Morgenlicht. Guruemanz, ein alter Ritter vom Gral, und zwei
Knappen erheben sich und beten zunächst. Das eigentliche Gebet hört mau in
einem Orchestersatz, dessen Kosten das Glaubensmvtiv und das vom Gral be-
streiten. Bald darauf kommt Kuudry an, sehr gut charakterisirt durch el» heftig
aufwärts dringendes Motiv, das zu einem kleinen Sätzchen ausgeführt wird und
mit einer rasenden Sechzehntelfignr jäh abbricht. . Kundry hat als Gralsbvtin
aus fernem Lande einen Balsam für den kranken König gebracht, den sie wortkarg
übergiebt, um sich ferner uur mit kurzen Brocken an der Szene zu beteiligen.
Jetzt beginnt eine längere Erzählungspartie, in welcher Guruemanz erst die Ge¬
schichte der Kuudry, soweit er sie keimt, dann die des Grals vorträgt. Sie
wird unterbrochen durch einen Auszug vou Rittern, welche in einer Sänfte den
kranken König Amfortas nach dem See zum Bade tragen. Der König verweilt
einen Moment auf der Szene, und hier entwickelt sich eine der schönsten Partien
des Aktes. Rührend ist der milde, leidensvolle Krankenton im Gesänge des
Königs ausgedrückt, und die Gefühle, welche deu Armen nach der langen
schlimmen Nacht überkommen, als ihn die Waldesmvrgeupracht erquickt, drückt
ein selbständiger Orchestersatz entzückend schon aus, uach unsrer Ansicht mindestens
ebensogut und dramatisch vorteilhafter als das durch eine Arie oder einen andern
Gesangsatz des Königs hätte geschehen können. Als der König fort ist, geht
die Erzählung des Guruemanz von neuem nu. Sie ermüdet alle Zuhörer, die
sich nicht vorher fest vorgenommen haben, alles schön zu finden und durch
Memoriren der ganzen Partie des Urteils verlustig gegangen sind. Für den
bei der Ausführung beteiligten Künstler ist dieses Verfahren kaum zu vermeiden;
zur andere wird es auf die Dauer schädlich. Hier bereits wird auf die Zauberei
des Klingsor angespielt. Das Motiv, welches hierzu benutzt wird, ist von einer
Plalerisch hinschleichenden Natur und wirkt durch das ganze Werk immer wie
w> böser Kobold.

Bei diesen Erzählungen geht es nichts weniger als knapp zu, der Hergang
Kor Amfortas' Verwundung wird uns gleich zweimal vorgetragen. Es ist
Miz ersichtlich: Wie Matthesvn vom Komponisten verlangte, daß er jeden Thor-
schreiberzcttel in Musik zu setzen verstehen müsse, wie Rainern sich rühmte, die
Holländische Zeitung komponiren zu wollen, so setzt auch Wagner seine» Stolz
darein, gerade den sprödeste» Stoffe» Musik abzutrotzen, und verweilt bei ihnen
fast mit Vorliebe. Er hat ans diesem Gebiete sehr vieles erreicht und die


GrenzbvUni III. 1882. 63
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/505>, abgerufen am 23.07.2024.