Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Der jüngste Tag.

die Gewohnheit, el" Unternehmen ganz durchzuführen, trat an die Stelle seines
Willens, und er ging blindlings weiter, wie Baker, der Erforscher des Nil,
"mehr wie ein Esel als wie el" Mensch." Einmal oben anf der obern Veranda,
zögerte er nochmals. In dieser Weise in jemandes Hans einzubrechen, war
Wider das Gesetz. Sein Gewissen beunruhigte ihn. Umsonst versuchte er es
damit zu beschwichtigen, daß er sich vorhielt, wie Iran Andersons Despotismus
moralisch unrecht und daß diese seine Handlung als Gegenzug gegen denselben
recht sei. Er wußte, daß sie uicht recht war.

Ich möchte hier bemerken, daß es viele Lagen im Leben giebt, wo einem
ein Gewisse" ganz fürchterlich im Wege ist. Es giebt Leute, die schnurstracks
vorwärtsgehen und -- wenn man so sagen darf -- Erfolge haben ohne Hinder¬
nisse innerlicher Art, ohne Feuer hinter sich, das von Skrupeln kommt. Nächstens
gedenke ich eine Abhandlung "Über die Unbequemlichkeit, ein Gewissen zu haben,"
zu schreiben, worin ich daran gehen werde, zu beweisen, daß es im Laufe von
einem oder ein paar Jahren teurer zu stehen kommt, als wenn man sich einen
Stall voll Rennpferde hält. Gar mancher Mann, der es sich leisten könnte,
mit Dextcrs und Flora Temples zu fahren, würde durch ein Gewissen zu Grunde
gerichtet werden. Aber ich darf die Abhandlung nicht hier schreiben; denn ich
halte Angust in der schädlichen Nachtluft und in seiner Verlegenheit zurück.

August Weste hatte, wie ich schon gesagt zu haben meine, die Gewohnheit,
alles, was er unternahm, bis zu Eude auszuführen. Er hatte eine andre Ge¬
wohnheit, und zwar eine sehr unbequeme Gewohnheit, die aber etwas sehr männ¬
liches hatte, die nämlich, daß er aus die Stimme seines Gewissens horchte. Und
ich glaube, daß diese Gewohnheit ihn selbst jetzt noch zur Umkehr bewogen
haben würde, wo er schon die Hand an den Fensterrahmen gelegt hatte, wenn
er uicht, als er so da stand und herauszufinden versuchte, was sein Gewissen
zu der Sache meine, plötzlich die Stimmen der zurückkehrenden Familie gehört
hätte. Es war keine Zeit zu verlieren, in der Veranda gab es kein Versteck;
noch eine Minute, und sie mußten in Sicht kommen. Es mußte jetzt vorwärts,
denn der Rückzug war ihm abgeschnitten. Er schob das Fenster in die Höhe
und kletterte in die Stube, worauf er den Rahmen leise wieder hinter sich herab¬
ließ. Da niemand in dieses Zimmer kam außer Jonas, so fühlte er sich ge¬
nügend sicher. Jonas würde, so dachte er, nach Mitternacht eine Zusammen¬
kunft mit Julien in Chnthy Anns Stube und in Cynthy Amis Gegenwart
Veranstalter.

Indem August in der Dunkelheit nach einem Stuhle herumtastete, zog er
deu Vorhang des Giebelfensters zurück, da er so etwas Licht zu gewinnen
hoffte. Was? Hatte er sich entschlossen, Blumen in Töpfen zu kultiviren?
Hier war auf dem Fensterbrete eine Monatsrose! Aber es war sicherlich die
rechte Stube. Er hatte sie während seines Aufenthaltes im Hause selbst inne¬
gehabt. Aber er wußte nicht, daß Frau Anderson zwischen seinem Abzug und


Der jüngste Tag.

die Gewohnheit, el» Unternehmen ganz durchzuführen, trat an die Stelle seines
Willens, und er ging blindlings weiter, wie Baker, der Erforscher des Nil,
„mehr wie ein Esel als wie el» Mensch." Einmal oben anf der obern Veranda,
zögerte er nochmals. In dieser Weise in jemandes Hans einzubrechen, war
Wider das Gesetz. Sein Gewissen beunruhigte ihn. Umsonst versuchte er es
damit zu beschwichtigen, daß er sich vorhielt, wie Iran Andersons Despotismus
moralisch unrecht und daß diese seine Handlung als Gegenzug gegen denselben
recht sei. Er wußte, daß sie uicht recht war.

Ich möchte hier bemerken, daß es viele Lagen im Leben giebt, wo einem
ein Gewisse» ganz fürchterlich im Wege ist. Es giebt Leute, die schnurstracks
vorwärtsgehen und — wenn man so sagen darf — Erfolge haben ohne Hinder¬
nisse innerlicher Art, ohne Feuer hinter sich, das von Skrupeln kommt. Nächstens
gedenke ich eine Abhandlung „Über die Unbequemlichkeit, ein Gewissen zu haben,"
zu schreiben, worin ich daran gehen werde, zu beweisen, daß es im Laufe von
einem oder ein paar Jahren teurer zu stehen kommt, als wenn man sich einen
Stall voll Rennpferde hält. Gar mancher Mann, der es sich leisten könnte,
mit Dextcrs und Flora Temples zu fahren, würde durch ein Gewissen zu Grunde
gerichtet werden. Aber ich darf die Abhandlung nicht hier schreiben; denn ich
halte Angust in der schädlichen Nachtluft und in seiner Verlegenheit zurück.

August Weste hatte, wie ich schon gesagt zu haben meine, die Gewohnheit,
alles, was er unternahm, bis zu Eude auszuführen. Er hatte eine andre Ge¬
wohnheit, und zwar eine sehr unbequeme Gewohnheit, die aber etwas sehr männ¬
liches hatte, die nämlich, daß er aus die Stimme seines Gewissens horchte. Und
ich glaube, daß diese Gewohnheit ihn selbst jetzt noch zur Umkehr bewogen
haben würde, wo er schon die Hand an den Fensterrahmen gelegt hatte, wenn
er uicht, als er so da stand und herauszufinden versuchte, was sein Gewissen
zu der Sache meine, plötzlich die Stimmen der zurückkehrenden Familie gehört
hätte. Es war keine Zeit zu verlieren, in der Veranda gab es kein Versteck;
noch eine Minute, und sie mußten in Sicht kommen. Es mußte jetzt vorwärts,
denn der Rückzug war ihm abgeschnitten. Er schob das Fenster in die Höhe
und kletterte in die Stube, worauf er den Rahmen leise wieder hinter sich herab¬
ließ. Da niemand in dieses Zimmer kam außer Jonas, so fühlte er sich ge¬
nügend sicher. Jonas würde, so dachte er, nach Mitternacht eine Zusammen¬
kunft mit Julien in Chnthy Anns Stube und in Cynthy Amis Gegenwart
Veranstalter.

Indem August in der Dunkelheit nach einem Stuhle herumtastete, zog er
deu Vorhang des Giebelfensters zurück, da er so etwas Licht zu gewinnen
hoffte. Was? Hatte er sich entschlossen, Blumen in Töpfen zu kultiviren?
Hier war auf dem Fensterbrete eine Monatsrose! Aber es war sicherlich die
rechte Stube. Er hatte sie während seines Aufenthaltes im Hause selbst inne¬
gehabt. Aber er wußte nicht, daß Frau Anderson zwischen seinem Abzug und


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0483" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/193824"/>
            <fw type="header" place="top"> Der jüngste Tag.</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_1627" prev="#ID_1626"> die Gewohnheit, el» Unternehmen ganz durchzuführen, trat an die Stelle seines<lb/>
Willens, und er ging blindlings weiter, wie Baker, der Erforscher des Nil,<lb/>
&#x201E;mehr wie ein Esel als wie el» Mensch." Einmal oben anf der obern Veranda,<lb/>
zögerte er nochmals. In dieser Weise in jemandes Hans einzubrechen, war<lb/>
Wider das Gesetz. Sein Gewissen beunruhigte ihn. Umsonst versuchte er es<lb/>
damit zu beschwichtigen, daß er sich vorhielt, wie Iran Andersons Despotismus<lb/>
moralisch unrecht und daß diese seine Handlung als Gegenzug gegen denselben<lb/>
recht sei.  Er wußte, daß sie uicht recht war.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1628"> Ich möchte hier bemerken, daß es viele Lagen im Leben giebt, wo einem<lb/>
ein Gewisse» ganz fürchterlich im Wege ist. Es giebt Leute, die schnurstracks<lb/>
vorwärtsgehen und &#x2014; wenn man so sagen darf &#x2014; Erfolge haben ohne Hinder¬<lb/>
nisse innerlicher Art, ohne Feuer hinter sich, das von Skrupeln kommt. Nächstens<lb/>
gedenke ich eine Abhandlung &#x201E;Über die Unbequemlichkeit, ein Gewissen zu haben,"<lb/>
zu schreiben, worin ich daran gehen werde, zu beweisen, daß es im Laufe von<lb/>
einem oder ein paar Jahren teurer zu stehen kommt, als wenn man sich einen<lb/>
Stall voll Rennpferde hält. Gar mancher Mann, der es sich leisten könnte,<lb/>
mit Dextcrs und Flora Temples zu fahren, würde durch ein Gewissen zu Grunde<lb/>
gerichtet werden. Aber ich darf die Abhandlung nicht hier schreiben; denn ich<lb/>
halte Angust in der schädlichen Nachtluft und in seiner Verlegenheit zurück.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1629"> August Weste hatte, wie ich schon gesagt zu haben meine, die Gewohnheit,<lb/>
alles, was er unternahm, bis zu Eude auszuführen. Er hatte eine andre Ge¬<lb/>
wohnheit, und zwar eine sehr unbequeme Gewohnheit, die aber etwas sehr männ¬<lb/>
liches hatte, die nämlich, daß er aus die Stimme seines Gewissens horchte. Und<lb/>
ich glaube, daß diese Gewohnheit ihn selbst jetzt noch zur Umkehr bewogen<lb/>
haben würde, wo er schon die Hand an den Fensterrahmen gelegt hatte, wenn<lb/>
er uicht, als er so da stand und herauszufinden versuchte, was sein Gewissen<lb/>
zu der Sache meine, plötzlich die Stimmen der zurückkehrenden Familie gehört<lb/>
hätte. Es war keine Zeit zu verlieren, in der Veranda gab es kein Versteck;<lb/>
noch eine Minute, und sie mußten in Sicht kommen. Es mußte jetzt vorwärts,<lb/>
denn der Rückzug war ihm abgeschnitten. Er schob das Fenster in die Höhe<lb/>
und kletterte in die Stube, worauf er den Rahmen leise wieder hinter sich herab¬<lb/>
ließ. Da niemand in dieses Zimmer kam außer Jonas, so fühlte er sich ge¬<lb/>
nügend sicher. Jonas würde, so dachte er, nach Mitternacht eine Zusammen¬<lb/>
kunft mit Julien in Chnthy Anns Stube und in Cynthy Amis Gegenwart<lb/>
Veranstalter.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1630" next="#ID_1631"> Indem August in der Dunkelheit nach einem Stuhle herumtastete, zog er<lb/>
deu Vorhang des Giebelfensters zurück, da er so etwas Licht zu gewinnen<lb/>
hoffte. Was? Hatte er sich entschlossen, Blumen in Töpfen zu kultiviren?<lb/>
Hier war auf dem Fensterbrete eine Monatsrose! Aber es war sicherlich die<lb/>
rechte Stube. Er hatte sie während seines Aufenthaltes im Hause selbst inne¬<lb/>
gehabt. Aber er wußte nicht, daß Frau Anderson zwischen seinem Abzug und</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0483] Der jüngste Tag. die Gewohnheit, el» Unternehmen ganz durchzuführen, trat an die Stelle seines Willens, und er ging blindlings weiter, wie Baker, der Erforscher des Nil, „mehr wie ein Esel als wie el» Mensch." Einmal oben anf der obern Veranda, zögerte er nochmals. In dieser Weise in jemandes Hans einzubrechen, war Wider das Gesetz. Sein Gewissen beunruhigte ihn. Umsonst versuchte er es damit zu beschwichtigen, daß er sich vorhielt, wie Iran Andersons Despotismus moralisch unrecht und daß diese seine Handlung als Gegenzug gegen denselben recht sei. Er wußte, daß sie uicht recht war. Ich möchte hier bemerken, daß es viele Lagen im Leben giebt, wo einem ein Gewisse» ganz fürchterlich im Wege ist. Es giebt Leute, die schnurstracks vorwärtsgehen und — wenn man so sagen darf — Erfolge haben ohne Hinder¬ nisse innerlicher Art, ohne Feuer hinter sich, das von Skrupeln kommt. Nächstens gedenke ich eine Abhandlung „Über die Unbequemlichkeit, ein Gewissen zu haben," zu schreiben, worin ich daran gehen werde, zu beweisen, daß es im Laufe von einem oder ein paar Jahren teurer zu stehen kommt, als wenn man sich einen Stall voll Rennpferde hält. Gar mancher Mann, der es sich leisten könnte, mit Dextcrs und Flora Temples zu fahren, würde durch ein Gewissen zu Grunde gerichtet werden. Aber ich darf die Abhandlung nicht hier schreiben; denn ich halte Angust in der schädlichen Nachtluft und in seiner Verlegenheit zurück. August Weste hatte, wie ich schon gesagt zu haben meine, die Gewohnheit, alles, was er unternahm, bis zu Eude auszuführen. Er hatte eine andre Ge¬ wohnheit, und zwar eine sehr unbequeme Gewohnheit, die aber etwas sehr männ¬ liches hatte, die nämlich, daß er aus die Stimme seines Gewissens horchte. Und ich glaube, daß diese Gewohnheit ihn selbst jetzt noch zur Umkehr bewogen haben würde, wo er schon die Hand an den Fensterrahmen gelegt hatte, wenn er uicht, als er so da stand und herauszufinden versuchte, was sein Gewissen zu der Sache meine, plötzlich die Stimmen der zurückkehrenden Familie gehört hätte. Es war keine Zeit zu verlieren, in der Veranda gab es kein Versteck; noch eine Minute, und sie mußten in Sicht kommen. Es mußte jetzt vorwärts, denn der Rückzug war ihm abgeschnitten. Er schob das Fenster in die Höhe und kletterte in die Stube, worauf er den Rahmen leise wieder hinter sich herab¬ ließ. Da niemand in dieses Zimmer kam außer Jonas, so fühlte er sich ge¬ nügend sicher. Jonas würde, so dachte er, nach Mitternacht eine Zusammen¬ kunft mit Julien in Chnthy Anns Stube und in Cynthy Amis Gegenwart Veranstalter. Indem August in der Dunkelheit nach einem Stuhle herumtastete, zog er deu Vorhang des Giebelfensters zurück, da er so etwas Licht zu gewinnen hoffte. Was? Hatte er sich entschlossen, Blumen in Töpfen zu kultiviren? Hier war auf dem Fensterbrete eine Monatsrose! Aber es war sicherlich die rechte Stube. Er hatte sie während seines Aufenthaltes im Hause selbst inne¬ gehabt. Aber er wußte nicht, daß Frau Anderson zwischen seinem Abzug und

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/483
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/483>, abgerufen am 24.08.2024.