Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.Vom Selbstgefühl des Weibes erfüllt. Sie erhob sich von ihrem Bett und Sie hob nnn das Billet ans und las es. Julia war kein Mädchen von War sie erdrückt uuter ihrer Seelennot? Nein. Wäre sie schwächer, wäre O Julia, sei auf der Hut! Mauch andres Weib ist von dieser Klippe in Sie wollte ihrer Mutter entlaufen. Sie erinnerte sich jetzt aller der Zeichen Nach eiuer Stunde kam ihr die Stube schont vor. Sie zog die Zitzvor¬ *) Die. Fenster in den Farnchtiuser" haben keine Flügel, sondern bilden ein Ganzes
und sind zur Empvrschieven eingerichtet. Vom Selbstgefühl des Weibes erfüllt. Sie erhob sich von ihrem Bett und Sie hob nnn das Billet ans und las es. Julia war kein Mädchen von War sie erdrückt uuter ihrer Seelennot? Nein. Wäre sie schwächer, wäre O Julia, sei auf der Hut! Mauch andres Weib ist von dieser Klippe in Sie wollte ihrer Mutter entlaufen. Sie erinnerte sich jetzt aller der Zeichen Nach eiuer Stunde kam ihr die Stube schont vor. Sie zog die Zitzvor¬ *) Die. Fenster in den Farnchtiuser» haben keine Flügel, sondern bilden ein Ganzes
und sind zur Empvrschieven eingerichtet. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0389" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/193730"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <p xml:id="ID_1285" prev="#ID_1284"> Vom Selbstgefühl des Weibes erfüllt. Sie erhob sich von ihrem Bett und<lb/> schloß ihr Fenster mit einem Krach, der einen Protest bedeuten sollte. Sie schob<lb/> dann den großen Nagel, der bisweilen benutzt wurde, das Fensters unten festzu¬<lb/> halten,*) an seinen Platz, als ob sie sagen wollte: Nun kommt herein, wenn ihr<lb/> könnt. Daun zog sie die Falten des Zitzvorhangs, der bis zur halben Höhe<lb/> des Fensters reichte, zu, und wenn sich noch eine andre Vorsichtsmaßregel hätte<lb/> treffen lassen, so würde sie dieselbe getroffen habe». Aber es ließ sich keine<lb/> mehr treffen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1286"> Sie hob nnn das Billet ans und las es. Julia war kein Mädchen von<lb/> besonderm Scharfblick. Ihre Bildung war die eines Landmädchens. Sie las<lb/> nicht zwischen den Zeilen von Augusts Billet und begriff nur, daß ihr der<lb/> Laufpaß gegeben worden sei. Gemißhandelt von der Tyrannei ihrer Mittler,<lb/> mit Füßen weggestoßen von selten ihres Geliebten, stand sie da wie ein gehetztes<lb/> und von den Hunden gestelltes Wild, das sich verzweifelnd nach einer letzten<lb/> Aussicht zum Entkommen umschaut.</p><lb/> <p xml:id="ID_1287"> War sie erdrückt uuter ihrer Seelennot? Nein. Wäre sie schwächer, wäre<lb/> sie von ruhiger, zarterer Art gewesen, anstatt das elastische, energische, sich rasch<lb/> wieder aufraffende Mädchen, das sie war, so würde es sie erdrückt haben. Sie<lb/> war im tiefsten Herzen verwundet, aber all ihr Stolz und alle ihre Widerstands¬<lb/> kraft, vou der sie uicht wenig besaß, hatten jetzt zu den Waffen gegriffen gegen<lb/> ein ihr feindliches Schicksal. Bei jedem Gedanken an August und seinen Brief,<lb/> an Betsey Malcolm und deren Sieg, an die Thatsache, daß ihre Mutter den<lb/> Brief gelesen hatte und ihre Demütigung kannte, gab es ihr einen Stich. Und<lb/> sie ging in ihrer Stube hin und her und faßt den Entschluß, Widerstand zu<lb/> leisten und Rache zu nehmen. Sie wollte, sagte sie sich, den ersten besten hei¬<lb/> raten, um Betsey und August zu zeigen, daß sie ihr das Herz nicht gebrochen,<lb/> und daß sie sich mit ihrer Liebe nicht anzubetteln brauche.</p><lb/> <p xml:id="ID_1288"> O Julia, sei auf der Hut! Mauch andres Weib ist von dieser Klippe in<lb/> den Abgrund gesprungen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1289"> Sie wollte ihrer Mutter entlaufen. Sie erinnerte sich jetzt aller der Zeichen<lb/> von Zuneigung, die ihr Hnmphreys schlauer Weise gegeben. Er würde sie nach<lb/> Cincinnati bringen, dachte sie, und sie würde ihre Rache haben an allen ringsum.<lb/> Ich bedauere, meine Heldin in dieser Stimmung zeigen zu müssen. Aber die<lb/> schönsten Gegenden sind bisweilen den heftigsten Orkanen, den furchtbarsten Erd¬<lb/> beben ausgesetzt.</p><lb/> <p xml:id="ID_1290" next="#ID_1291"> Nach eiuer Stunde kam ihr die Stube schont vor. Sie zog die Zitzvor¬<lb/> hänge zurück und schob das Fenster auf. Das Vlaugras auf der Weide sah<lb/> kühl aus, indem es den schweren Thau trank. Sie stieg dnrch das Fenster auf<lb/> die langgestreckte altmodische Veranda hinaus. Sie setzte sich auf ein alt¬<lb/> modisches Schaukelfvpha und begann sich zu wiegen. Die Bewegung mäßigte<lb/> ihre nervöse Aufregung und fächelte ihre heißen Wangen. Ja, sie würde, dachte<lb/> sie, dem ersten besten achtbaren Freier ihr Jawort geben, der ihr einen Antrag<lb/> machte. Sie würde mit Hnmphreys nach der großen Stadt gehen, wenn er<lb/> sie darum bäte. Es ist nur billig, daß ich sage,' daß Julia sich' nicht überlegte<lb/> — sie war eben nicht in der Stimmung, wo man überlegt — was eine Ver¬<lb/> heiratung mit Hnmphreys zu bedeuten hatte. Sie dachte daran nnr aus zwei</p><lb/> <note xml:id="FID_30" place="foot"> *) Die. Fenster in den Farnchtiuser» haben keine Flügel, sondern bilden ein Ganzes<lb/> und sind zur Empvrschieven eingerichtet.</note><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0389]
Vom Selbstgefühl des Weibes erfüllt. Sie erhob sich von ihrem Bett und
schloß ihr Fenster mit einem Krach, der einen Protest bedeuten sollte. Sie schob
dann den großen Nagel, der bisweilen benutzt wurde, das Fensters unten festzu¬
halten,*) an seinen Platz, als ob sie sagen wollte: Nun kommt herein, wenn ihr
könnt. Daun zog sie die Falten des Zitzvorhangs, der bis zur halben Höhe
des Fensters reichte, zu, und wenn sich noch eine andre Vorsichtsmaßregel hätte
treffen lassen, so würde sie dieselbe getroffen habe». Aber es ließ sich keine
mehr treffen.
Sie hob nnn das Billet ans und las es. Julia war kein Mädchen von
besonderm Scharfblick. Ihre Bildung war die eines Landmädchens. Sie las
nicht zwischen den Zeilen von Augusts Billet und begriff nur, daß ihr der
Laufpaß gegeben worden sei. Gemißhandelt von der Tyrannei ihrer Mittler,
mit Füßen weggestoßen von selten ihres Geliebten, stand sie da wie ein gehetztes
und von den Hunden gestelltes Wild, das sich verzweifelnd nach einer letzten
Aussicht zum Entkommen umschaut.
War sie erdrückt uuter ihrer Seelennot? Nein. Wäre sie schwächer, wäre
sie von ruhiger, zarterer Art gewesen, anstatt das elastische, energische, sich rasch
wieder aufraffende Mädchen, das sie war, so würde es sie erdrückt haben. Sie
war im tiefsten Herzen verwundet, aber all ihr Stolz und alle ihre Widerstands¬
kraft, vou der sie uicht wenig besaß, hatten jetzt zu den Waffen gegriffen gegen
ein ihr feindliches Schicksal. Bei jedem Gedanken an August und seinen Brief,
an Betsey Malcolm und deren Sieg, an die Thatsache, daß ihre Mutter den
Brief gelesen hatte und ihre Demütigung kannte, gab es ihr einen Stich. Und
sie ging in ihrer Stube hin und her und faßt den Entschluß, Widerstand zu
leisten und Rache zu nehmen. Sie wollte, sagte sie sich, den ersten besten hei¬
raten, um Betsey und August zu zeigen, daß sie ihr das Herz nicht gebrochen,
und daß sie sich mit ihrer Liebe nicht anzubetteln brauche.
O Julia, sei auf der Hut! Mauch andres Weib ist von dieser Klippe in
den Abgrund gesprungen.
Sie wollte ihrer Mutter entlaufen. Sie erinnerte sich jetzt aller der Zeichen
von Zuneigung, die ihr Hnmphreys schlauer Weise gegeben. Er würde sie nach
Cincinnati bringen, dachte sie, und sie würde ihre Rache haben an allen ringsum.
Ich bedauere, meine Heldin in dieser Stimmung zeigen zu müssen. Aber die
schönsten Gegenden sind bisweilen den heftigsten Orkanen, den furchtbarsten Erd¬
beben ausgesetzt.
Nach eiuer Stunde kam ihr die Stube schont vor. Sie zog die Zitzvor¬
hänge zurück und schob das Fenster auf. Das Vlaugras auf der Weide sah
kühl aus, indem es den schweren Thau trank. Sie stieg dnrch das Fenster auf
die langgestreckte altmodische Veranda hinaus. Sie setzte sich auf ein alt¬
modisches Schaukelfvpha und begann sich zu wiegen. Die Bewegung mäßigte
ihre nervöse Aufregung und fächelte ihre heißen Wangen. Ja, sie würde, dachte
sie, dem ersten besten achtbaren Freier ihr Jawort geben, der ihr einen Antrag
machte. Sie würde mit Hnmphreys nach der großen Stadt gehen, wenn er
sie darum bäte. Es ist nur billig, daß ich sage,' daß Julia sich' nicht überlegte
— sie war eben nicht in der Stimmung, wo man überlegt — was eine Ver¬
heiratung mit Hnmphreys zu bedeuten hatte. Sie dachte daran nnr aus zwei
*) Die. Fenster in den Farnchtiuser» haben keine Flügel, sondern bilden ein Ganzes
und sind zur Empvrschieven eingerichtet.
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |