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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Ursprung und Entwicklung der ägyptischen Krisis.

vielen Beziehungen mit denen Englands verknüpft waren. Wir haben das alles
umgestaltet, und die Folge unsrer neuen Politik ist die, daß wir, um die Mit¬
wirkung Frankreichs und ein Mandat vom europäischen Konzerte zu erhalten --
welches sich in einer Körperschaft ausdrückt, zu der viele Machte und darunter
Nußland gehören --, uns gänzlich von unserm alten Verbündeten getrennt und
im Austausch dafür weder eine französische Allianz noch das Mandat des euro¬
päischen Konzerts, solider" die Feindschaft der Pforte geerntet haben."

Vieles hiervon ist unzweifelhaft wahr. Nach den neuesten Nachrichten steht
es aber doch nicht ganz so schlimm mit deu Erfolgen der freilich nicht besonders
geschickten und konsequenten Politik des Herrn Gladstone, Dieselbe hat immer¬
hin erreicht, daß die Pforte eine Proklamation erlassen will, welche Arabi zwar
nicht geradezu für einen Rebellen erklären, ihn aber doch in bestimmten Aus¬
drücken desavvuiren wird, und daß sie über eine die Mitwirkung der Türkei bei
der Pazifikatiou Ägyptens regelnde Militärkonvention verhandelt. Als Punkte,
über welche eine Einigung bereits erzielt worden, bezeichneten die türkischen Be¬
vollmächtigten in der Konferenz folgende: Das türkische Expeditionskorps soll
nur etwa fünftausend Mann stark sein, die Pforte verpflichtet sich, ihre Truppen
zugleich mit den englischen aus Ägypten zurückzuziehen, und sie verspricht endlich,
die Landung dieser Truppen, deren Verschiffung vorigen Freitag begonnen hat,
nicht vor der Ankunft des türkischen Befehlshabers und des ZivilkommissarS der
Pforte in Alexandrien vorzunehmen. Ob England die weitere Bedingung gestellt
hat, daß die Türkei uuter englischem Oberkommando stehen und alle Befehle
und Dekrete des Chedive sowie des Generals der Pforte während der Okkupation
mir nach Genehmigung durch den britischen Oberbefehlshaber veröffentlicht werden
sollen, und ob die Pforte, wenn dies der Fall ist, darauf eingehen wird, darf
bezweifelt werden. Auch die Mitteilung der Neuen Freien Presse aus London,
England beabsichtige uur militärische Maßregeln, um den Suezkanal vollständig
und ausschließlich uuter englische Gewalt zu bringen und darunter zu er¬
halten, ist schwerlich begründet. Was hätte die Konferenz dann erreicht?
Gäbe die Pforte in diesem Maße nach, so hätte Gladstone einen großen Triumph
errungen, und die Türkei stünde den Engländern wieder zur Verfügung. Das
lag aber sicherlich nicht in der Absicht der europäischen Diplomatie und vor
allem nicht im Interesse Frankreichs. Die Konferenz wird sich vermutlich bald
vertagen, schwerlich aber sich auflösen. Die ägyptische Frage wird mit der Nieder¬
werfung der Revolution Arabis, die jetzt nur noch eine Frage der Zeit zu heilt
scheint, gelöst sein, die Frage einer bleibenden Stellung der europäischen Mächte
zum Suezkauale wird dann noch zu entscheiden sein, und zwar nicht nach ein¬
seitigem Interesse und Belieben der Engländer.




Ursprung und Entwicklung der ägyptischen Krisis.

vielen Beziehungen mit denen Englands verknüpft waren. Wir haben das alles
umgestaltet, und die Folge unsrer neuen Politik ist die, daß wir, um die Mit¬
wirkung Frankreichs und ein Mandat vom europäischen Konzerte zu erhalten —
welches sich in einer Körperschaft ausdrückt, zu der viele Machte und darunter
Nußland gehören —, uns gänzlich von unserm alten Verbündeten getrennt und
im Austausch dafür weder eine französische Allianz noch das Mandat des euro¬
päischen Konzerts, solider« die Feindschaft der Pforte geerntet haben."

Vieles hiervon ist unzweifelhaft wahr. Nach den neuesten Nachrichten steht
es aber doch nicht ganz so schlimm mit deu Erfolgen der freilich nicht besonders
geschickten und konsequenten Politik des Herrn Gladstone, Dieselbe hat immer¬
hin erreicht, daß die Pforte eine Proklamation erlassen will, welche Arabi zwar
nicht geradezu für einen Rebellen erklären, ihn aber doch in bestimmten Aus¬
drücken desavvuiren wird, und daß sie über eine die Mitwirkung der Türkei bei
der Pazifikatiou Ägyptens regelnde Militärkonvention verhandelt. Als Punkte,
über welche eine Einigung bereits erzielt worden, bezeichneten die türkischen Be¬
vollmächtigten in der Konferenz folgende: Das türkische Expeditionskorps soll
nur etwa fünftausend Mann stark sein, die Pforte verpflichtet sich, ihre Truppen
zugleich mit den englischen aus Ägypten zurückzuziehen, und sie verspricht endlich,
die Landung dieser Truppen, deren Verschiffung vorigen Freitag begonnen hat,
nicht vor der Ankunft des türkischen Befehlshabers und des ZivilkommissarS der
Pforte in Alexandrien vorzunehmen. Ob England die weitere Bedingung gestellt
hat, daß die Türkei uuter englischem Oberkommando stehen und alle Befehle
und Dekrete des Chedive sowie des Generals der Pforte während der Okkupation
mir nach Genehmigung durch den britischen Oberbefehlshaber veröffentlicht werden
sollen, und ob die Pforte, wenn dies der Fall ist, darauf eingehen wird, darf
bezweifelt werden. Auch die Mitteilung der Neuen Freien Presse aus London,
England beabsichtige uur militärische Maßregeln, um den Suezkanal vollständig
und ausschließlich uuter englische Gewalt zu bringen und darunter zu er¬
halten, ist schwerlich begründet. Was hätte die Konferenz dann erreicht?
Gäbe die Pforte in diesem Maße nach, so hätte Gladstone einen großen Triumph
errungen, und die Türkei stünde den Engländern wieder zur Verfügung. Das
lag aber sicherlich nicht in der Absicht der europäischen Diplomatie und vor
allem nicht im Interesse Frankreichs. Die Konferenz wird sich vermutlich bald
vertagen, schwerlich aber sich auflösen. Die ägyptische Frage wird mit der Nieder¬
werfung der Revolution Arabis, die jetzt nur noch eine Frage der Zeit zu heilt
scheint, gelöst sein, die Frage einer bleibenden Stellung der europäischen Mächte
zum Suezkauale wird dann noch zu entscheiden sein, und zwar nicht nach ein¬
seitigem Interesse und Belieben der Engländer.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/380>, abgerufen am 24.08.2024.