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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Taienbriese von der Internationalen Kunstausstellung,

bekannt, und ebenso die Stoffwelt und die Behandlung, aber diese letztern heimeln
uns an wie "alte liebe Lieder." Wer würde der in der Sonne glitzernden
Meerflut Gudes überdrüssig oder der melancholischen Dichtungen Morden Müllers?
Wer ließe sich nicht gern von den Nachfolgern Tiedemcmds Art und Brauch
des blonden Reckengeschlechtes schildern? Mag sein, daß an Ort und Stelle
besonders sorgsam geprüft worden ist, was in Wien den Wettkampf aufnehmen
dürfe, sicherlich macht das Vorhandene fast durchweg den Eindruck der Gediegen¬
heit. Gude, der auch in Deutschland ausgestellt hat, läßt als Norweger einen
einzelnen ("einsamen" sagt der Katalog) Fischer gegen den Sturm ankämpfen.
Morden Müller enthüllt den vollen Zauber nordischer Natur in einem ruhigen,
dunkeln Gebirgssee, an dessen Ufer Föhren mit rotglühenden Stämmen und
finstere Fichten ragen. Den Gegensatz dazu finden wir in der tagheller Sommer¬
nacht auf den Lofoten von Adelsteen Norm an und in der Mondnacht des
Schweden Axel Nordgren, der nicht umsonst durch Gudes Schule gegangen
ist. Von den Figuralisten auf beiden Hälften der Halbinsel hat der Schwede
Karl Gustav Hellqvist den Vogel abgeschossen. Ja sein Bild gehört zu den¬
jenigen, welche unbedingt den größten Eindruck machen. Immerhin darf man
annehmen, daß die Größe des Effekts mit auf Rechnung der schwachen Ver¬
tretung der Historienmalerei im allgemeinen zu bringen sei. Aber es ist auch
ein echtes und gutes Historienbild, das keines Kommentars bedarf. Auf einem
Stadtplätze, dessen Häuser zumeist die diesen Spuren einer Beschießung zeigen,
sind große eiseubeschlagene Bottiche aufgestellt, in welche die Bewohner, angst¬
voll, unterwürfig, wehklagend, ingrimmig, zum Teil von Söldnern mit Gewalt
herbeigeschleppt, ihre Kostbarkeiten werfen. Es ist eine reiche Stadt, die Meisten
sind stattlich angethan, und in Massen strömen die Geschmeide, die Kleinmünzen,
die silberbeschlagenen Bücher u. s. w. in die Fässer. Keiner ist ausgeschlossen,
Jung erscheint neben Alt, das Mönchsgewand neben dem Judenhut. Es ist eine
Brandschatzung, und daß der unerbittlich die Ablieferung überwachende Sieger
der Dänenkönig Waldemar Atterdag, und daß die Stadt Wisby ist, die stolze
Hansestadt, welche an jenem Tage für immer von ihrer Höhe sank, das steigert
unser Interesse an dem Vorgange, braucht es jedoch nicht erst zu wecken. Denn
wie viel Druckerschwärze die historische Kritik auch aufwenden möge, um (in diesem
Punkt unterstützt von ihrer erbitterten Feindin, der Kritik der Künstler) uns, dem
lieben Publico, einzutrichtern, daß es auf den Gegenstand eines Gemäldes gar
nicht ankomme, sondern nnr darauf, wie, wann, wo und von wem es gemalt
worden, wir werden uns doch stets zu demjenigen hingezogen fühlen, der noch
etwas mehr zu geben hat als "Poesie der Farbe," "geistreiche Lichtführung,"
"virtuosen Vortrag," und ^pas dergleichen nicht zu unterschätzende Herrlichkeiten
mehr sind; demjenigen, in dessen Schöpfungen wir einen Inhalt erkennen, welcher
auch mit andern Mitteln des Ausdrucks mindestens annähernd veranschaulicht
werden könnte. Wir lassen uns nicht ausreden, daß der rechte Künstler ein


Taienbriese von der Internationalen Kunstausstellung,

bekannt, und ebenso die Stoffwelt und die Behandlung, aber diese letztern heimeln
uns an wie „alte liebe Lieder." Wer würde der in der Sonne glitzernden
Meerflut Gudes überdrüssig oder der melancholischen Dichtungen Morden Müllers?
Wer ließe sich nicht gern von den Nachfolgern Tiedemcmds Art und Brauch
des blonden Reckengeschlechtes schildern? Mag sein, daß an Ort und Stelle
besonders sorgsam geprüft worden ist, was in Wien den Wettkampf aufnehmen
dürfe, sicherlich macht das Vorhandene fast durchweg den Eindruck der Gediegen¬
heit. Gude, der auch in Deutschland ausgestellt hat, läßt als Norweger einen
einzelnen („einsamen" sagt der Katalog) Fischer gegen den Sturm ankämpfen.
Morden Müller enthüllt den vollen Zauber nordischer Natur in einem ruhigen,
dunkeln Gebirgssee, an dessen Ufer Föhren mit rotglühenden Stämmen und
finstere Fichten ragen. Den Gegensatz dazu finden wir in der tagheller Sommer¬
nacht auf den Lofoten von Adelsteen Norm an und in der Mondnacht des
Schweden Axel Nordgren, der nicht umsonst durch Gudes Schule gegangen
ist. Von den Figuralisten auf beiden Hälften der Halbinsel hat der Schwede
Karl Gustav Hellqvist den Vogel abgeschossen. Ja sein Bild gehört zu den¬
jenigen, welche unbedingt den größten Eindruck machen. Immerhin darf man
annehmen, daß die Größe des Effekts mit auf Rechnung der schwachen Ver¬
tretung der Historienmalerei im allgemeinen zu bringen sei. Aber es ist auch
ein echtes und gutes Historienbild, das keines Kommentars bedarf. Auf einem
Stadtplätze, dessen Häuser zumeist die diesen Spuren einer Beschießung zeigen,
sind große eiseubeschlagene Bottiche aufgestellt, in welche die Bewohner, angst¬
voll, unterwürfig, wehklagend, ingrimmig, zum Teil von Söldnern mit Gewalt
herbeigeschleppt, ihre Kostbarkeiten werfen. Es ist eine reiche Stadt, die Meisten
sind stattlich angethan, und in Massen strömen die Geschmeide, die Kleinmünzen,
die silberbeschlagenen Bücher u. s. w. in die Fässer. Keiner ist ausgeschlossen,
Jung erscheint neben Alt, das Mönchsgewand neben dem Judenhut. Es ist eine
Brandschatzung, und daß der unerbittlich die Ablieferung überwachende Sieger
der Dänenkönig Waldemar Atterdag, und daß die Stadt Wisby ist, die stolze
Hansestadt, welche an jenem Tage für immer von ihrer Höhe sank, das steigert
unser Interesse an dem Vorgange, braucht es jedoch nicht erst zu wecken. Denn
wie viel Druckerschwärze die historische Kritik auch aufwenden möge, um (in diesem
Punkt unterstützt von ihrer erbitterten Feindin, der Kritik der Künstler) uns, dem
lieben Publico, einzutrichtern, daß es auf den Gegenstand eines Gemäldes gar
nicht ankomme, sondern nnr darauf, wie, wann, wo und von wem es gemalt
worden, wir werden uns doch stets zu demjenigen hingezogen fühlen, der noch
etwas mehr zu geben hat als „Poesie der Farbe," „geistreiche Lichtführung,"
„virtuosen Vortrag," und ^pas dergleichen nicht zu unterschätzende Herrlichkeiten
mehr sind; demjenigen, in dessen Schöpfungen wir einen Inhalt erkennen, welcher
auch mit andern Mitteln des Ausdrucks mindestens annähernd veranschaulicht
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/37>, abgerufen am 01.07.2024.