Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Der jüngste Tag.

Andrew geschehen. Auf olle Fälle wollte er sie nicht eher heiraten, als bis er
ungefähr ans gleichem Fuße mit ihr stünde.

Der Wind unsanfte ihn mit plötzlichen Stoße", und es that ihm wohl. In
seiner Seelennot war es ihm eine Freude, mit dem Sturme zu kämpfen. Der
Wind, der Blitz und die plötzlichen schweren Donnerschläge stimmten zu dem
Tone seiner Gemütsstimmung. Er war in der Lanne des alten Lear. Die Winde
mochten blasen, das; ihnen die Backen platzten.

Aber sein Verdacht wurde nicht allein durch die Andeutungen Andrews ge¬
weckt. Er rief sich jetzt auch eine seltsame Äußerung Samuel Andersons ins
Gedächtnis zurück, welcher dieser gethan hatte, als er ihn entlassen. "Sie haben
bei ihrer Unterhaltung mit Julien etwas über meine Frau gesagt, was Sie zu
sagen kein Recht hatten." Was hatte er aber gesagt? Nichts, als daß Andrew
einst von einem Mädchen nicht recht gut behandelt worden sei. Wer das Mädchen
gewesen, hatte er bis auf seine gegenwärtige Unterhaltung mit Andrew nicht
gewußt. Hatte Julia etwa selbst Unheil angerichtet, indem sie seine Worte
wiederholt und ihnen eine Richtung gegeben hatte, die er nicht beabsichtigt? Er
hätte sich nicht im Traum einfallen lassen, daß sie eine solche Rolle spielen
könne, wenn der seltsame Einfluß der seltsamen Geschichte Andrews sich bei ihm
nicht geltend gemacht hätte. Und so stolperte er weiter dnrch den Wald mit
seinen Baumwurzeln, naß bis ans die Haut, im Herzen voll Trotz gegen Blitz
und Wind, bis er an die Hütte seines Vaters kam. Er stieg über den Zaun,
denn es gab kein Thor darin, er zog den Strick, der den Riegel hob, und trat
ein. Sie waren alle schon im Schlafe; denn die schwer arbeitende Familie ging
frühzeitig zu Bett. Aber die pausbäckige Wilhelmine, seine Lieblingsschwester,
war sitzen geblieben, um auf August zu warten, und er fand sie jetzt fest ein¬
geschlafen in ihrem Stuhle.

Wilhelmine, wach ans! sagte er.

O August! sagte sie, indem sie das eine Auge halb öffnete und gähnte,
ich schlief ja nicht. Ich -- us! -- ich hatte die Augen uur auf eine Minute
zugethan. Wie naß du aber bist! Gingst dn hin, um das hübsche Mädchen
bei Herrn Anderson zu sehen?

Nein, sagte August.

O August! Sie ist wirklich hübsch und gut und lieb. Und Wilhelmine
nahm sein nasses Gesicht zwischen ihre gerundete", fleischigen Händchen, gab ihm
einen schläfrigen Kuß und schlich dann ins Bett.

Und ich weiß nicht, wie es kam, der Glaube des Kindes Wilhelmine wirrte
dem Zweifel des Mannes Andrew entgegen, und August fühlte, wie der Sturm
in seinem Innern sich legte. Als er ans dem Fenster des Bodenkämmerchens,
in welchem er schlief, hinaussah, hatte der Regenguß so plötzlich aufgehört, wie
er gekommen war, der Donner hatte sich hinter die Berge zurückgezogen, die


Der jüngste Tag.

Andrew geschehen. Auf olle Fälle wollte er sie nicht eher heiraten, als bis er
ungefähr ans gleichem Fuße mit ihr stünde.

Der Wind unsanfte ihn mit plötzlichen Stoße», und es that ihm wohl. In
seiner Seelennot war es ihm eine Freude, mit dem Sturme zu kämpfen. Der
Wind, der Blitz und die plötzlichen schweren Donnerschläge stimmten zu dem
Tone seiner Gemütsstimmung. Er war in der Lanne des alten Lear. Die Winde
mochten blasen, das; ihnen die Backen platzten.

Aber sein Verdacht wurde nicht allein durch die Andeutungen Andrews ge¬
weckt. Er rief sich jetzt auch eine seltsame Äußerung Samuel Andersons ins
Gedächtnis zurück, welcher dieser gethan hatte, als er ihn entlassen. „Sie haben
bei ihrer Unterhaltung mit Julien etwas über meine Frau gesagt, was Sie zu
sagen kein Recht hatten." Was hatte er aber gesagt? Nichts, als daß Andrew
einst von einem Mädchen nicht recht gut behandelt worden sei. Wer das Mädchen
gewesen, hatte er bis auf seine gegenwärtige Unterhaltung mit Andrew nicht
gewußt. Hatte Julia etwa selbst Unheil angerichtet, indem sie seine Worte
wiederholt und ihnen eine Richtung gegeben hatte, die er nicht beabsichtigt? Er
hätte sich nicht im Traum einfallen lassen, daß sie eine solche Rolle spielen
könne, wenn der seltsame Einfluß der seltsamen Geschichte Andrews sich bei ihm
nicht geltend gemacht hätte. Und so stolperte er weiter dnrch den Wald mit
seinen Baumwurzeln, naß bis ans die Haut, im Herzen voll Trotz gegen Blitz
und Wind, bis er an die Hütte seines Vaters kam. Er stieg über den Zaun,
denn es gab kein Thor darin, er zog den Strick, der den Riegel hob, und trat
ein. Sie waren alle schon im Schlafe; denn die schwer arbeitende Familie ging
frühzeitig zu Bett. Aber die pausbäckige Wilhelmine, seine Lieblingsschwester,
war sitzen geblieben, um auf August zu warten, und er fand sie jetzt fest ein¬
geschlafen in ihrem Stuhle.

Wilhelmine, wach ans! sagte er.

O August! sagte sie, indem sie das eine Auge halb öffnete und gähnte,
ich schlief ja nicht. Ich — us! — ich hatte die Augen uur auf eine Minute
zugethan. Wie naß du aber bist! Gingst dn hin, um das hübsche Mädchen
bei Herrn Anderson zu sehen?

Nein, sagte August.

O August! Sie ist wirklich hübsch und gut und lieb. Und Wilhelmine
nahm sein nasses Gesicht zwischen ihre gerundete», fleischigen Händchen, gab ihm
einen schläfrigen Kuß und schlich dann ins Bett.

Und ich weiß nicht, wie es kam, der Glaube des Kindes Wilhelmine wirrte
dem Zweifel des Mannes Andrew entgegen, und August fühlte, wie der Sturm
in seinem Innern sich legte. Als er ans dem Fenster des Bodenkämmerchens,
in welchem er schlief, hinaussah, hatte der Regenguß so plötzlich aufgehört, wie
er gekommen war, der Donner hatte sich hinter die Berge zurückgezogen, die


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0330" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/193671"/>
            <fw type="header" place="top"> Der jüngste Tag.</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_1076" prev="#ID_1075"> Andrew geschehen. Auf olle Fälle wollte er sie nicht eher heiraten, als bis er<lb/>
ungefähr ans gleichem Fuße mit ihr stünde.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1077"> Der Wind unsanfte ihn mit plötzlichen Stoße», und es that ihm wohl. In<lb/>
seiner Seelennot war es ihm eine Freude, mit dem Sturme zu kämpfen. Der<lb/>
Wind, der Blitz und die plötzlichen schweren Donnerschläge stimmten zu dem<lb/>
Tone seiner Gemütsstimmung. Er war in der Lanne des alten Lear. Die Winde<lb/>
mochten blasen, das; ihnen die Backen platzten.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1078"> Aber sein Verdacht wurde nicht allein durch die Andeutungen Andrews ge¬<lb/>
weckt. Er rief sich jetzt auch eine seltsame Äußerung Samuel Andersons ins<lb/>
Gedächtnis zurück, welcher dieser gethan hatte, als er ihn entlassen. &#x201E;Sie haben<lb/>
bei ihrer Unterhaltung mit Julien etwas über meine Frau gesagt, was Sie zu<lb/>
sagen kein Recht hatten." Was hatte er aber gesagt? Nichts, als daß Andrew<lb/>
einst von einem Mädchen nicht recht gut behandelt worden sei. Wer das Mädchen<lb/>
gewesen, hatte er bis auf seine gegenwärtige Unterhaltung mit Andrew nicht<lb/>
gewußt. Hatte Julia etwa selbst Unheil angerichtet, indem sie seine Worte<lb/>
wiederholt und ihnen eine Richtung gegeben hatte, die er nicht beabsichtigt? Er<lb/>
hätte sich nicht im Traum einfallen lassen, daß sie eine solche Rolle spielen<lb/>
könne, wenn der seltsame Einfluß der seltsamen Geschichte Andrews sich bei ihm<lb/>
nicht geltend gemacht hätte. Und so stolperte er weiter dnrch den Wald mit<lb/>
seinen Baumwurzeln, naß bis ans die Haut, im Herzen voll Trotz gegen Blitz<lb/>
und Wind, bis er an die Hütte seines Vaters kam. Er stieg über den Zaun,<lb/>
denn es gab kein Thor darin, er zog den Strick, der den Riegel hob, und trat<lb/>
ein. Sie waren alle schon im Schlafe; denn die schwer arbeitende Familie ging<lb/>
frühzeitig zu Bett. Aber die pausbäckige Wilhelmine, seine Lieblingsschwester,<lb/>
war sitzen geblieben, um auf August zu warten, und er fand sie jetzt fest ein¬<lb/>
geschlafen in ihrem Stuhle.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1079"> Wilhelmine, wach ans! sagte er.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1080"> O August! sagte sie, indem sie das eine Auge halb öffnete und gähnte,<lb/>
ich schlief ja nicht. Ich &#x2014; us! &#x2014; ich hatte die Augen uur auf eine Minute<lb/>
zugethan. Wie naß du aber bist! Gingst dn hin, um das hübsche Mädchen<lb/>
bei Herrn Anderson zu sehen?</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1081"> Nein, sagte August.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1082"> O August! Sie ist wirklich hübsch und gut und lieb. Und Wilhelmine<lb/>
nahm sein nasses Gesicht zwischen ihre gerundete», fleischigen Händchen, gab ihm<lb/>
einen schläfrigen Kuß und schlich dann ins Bett.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1083" next="#ID_1084"> Und ich weiß nicht, wie es kam, der Glaube des Kindes Wilhelmine wirrte<lb/>
dem Zweifel des Mannes Andrew entgegen, und August fühlte, wie der Sturm<lb/>
in seinem Innern sich legte. Als er ans dem Fenster des Bodenkämmerchens,<lb/>
in welchem er schlief, hinaussah, hatte der Regenguß so plötzlich aufgehört, wie<lb/>
er gekommen war, der Donner hatte sich hinter die Berge zurückgezogen, die</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0330] Der jüngste Tag. Andrew geschehen. Auf olle Fälle wollte er sie nicht eher heiraten, als bis er ungefähr ans gleichem Fuße mit ihr stünde. Der Wind unsanfte ihn mit plötzlichen Stoße», und es that ihm wohl. In seiner Seelennot war es ihm eine Freude, mit dem Sturme zu kämpfen. Der Wind, der Blitz und die plötzlichen schweren Donnerschläge stimmten zu dem Tone seiner Gemütsstimmung. Er war in der Lanne des alten Lear. Die Winde mochten blasen, das; ihnen die Backen platzten. Aber sein Verdacht wurde nicht allein durch die Andeutungen Andrews ge¬ weckt. Er rief sich jetzt auch eine seltsame Äußerung Samuel Andersons ins Gedächtnis zurück, welcher dieser gethan hatte, als er ihn entlassen. „Sie haben bei ihrer Unterhaltung mit Julien etwas über meine Frau gesagt, was Sie zu sagen kein Recht hatten." Was hatte er aber gesagt? Nichts, als daß Andrew einst von einem Mädchen nicht recht gut behandelt worden sei. Wer das Mädchen gewesen, hatte er bis auf seine gegenwärtige Unterhaltung mit Andrew nicht gewußt. Hatte Julia etwa selbst Unheil angerichtet, indem sie seine Worte wiederholt und ihnen eine Richtung gegeben hatte, die er nicht beabsichtigt? Er hätte sich nicht im Traum einfallen lassen, daß sie eine solche Rolle spielen könne, wenn der seltsame Einfluß der seltsamen Geschichte Andrews sich bei ihm nicht geltend gemacht hätte. Und so stolperte er weiter dnrch den Wald mit seinen Baumwurzeln, naß bis ans die Haut, im Herzen voll Trotz gegen Blitz und Wind, bis er an die Hütte seines Vaters kam. Er stieg über den Zaun, denn es gab kein Thor darin, er zog den Strick, der den Riegel hob, und trat ein. Sie waren alle schon im Schlafe; denn die schwer arbeitende Familie ging frühzeitig zu Bett. Aber die pausbäckige Wilhelmine, seine Lieblingsschwester, war sitzen geblieben, um auf August zu warten, und er fand sie jetzt fest ein¬ geschlafen in ihrem Stuhle. Wilhelmine, wach ans! sagte er. O August! sagte sie, indem sie das eine Auge halb öffnete und gähnte, ich schlief ja nicht. Ich — us! — ich hatte die Augen uur auf eine Minute zugethan. Wie naß du aber bist! Gingst dn hin, um das hübsche Mädchen bei Herrn Anderson zu sehen? Nein, sagte August. O August! Sie ist wirklich hübsch und gut und lieb. Und Wilhelmine nahm sein nasses Gesicht zwischen ihre gerundete», fleischigen Händchen, gab ihm einen schläfrigen Kuß und schlich dann ins Bett. Und ich weiß nicht, wie es kam, der Glaube des Kindes Wilhelmine wirrte dem Zweifel des Mannes Andrew entgegen, und August fühlte, wie der Sturm in seinem Innern sich legte. Als er ans dem Fenster des Bodenkämmerchens, in welchem er schlief, hinaussah, hatte der Regenguß so plötzlich aufgehört, wie er gekommen war, der Donner hatte sich hinter die Berge zurückgezogen, die

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/330
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/330>, abgerufen am 03.07.2024.