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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Frankreich und die ägyptische Frage.

und zweiten Napoleon trug und erhielt, war ans die Armee, die Beamten und
einen Teil der großstädtischen Bevölkerung beschränkt; die hart arbeitenden, spar¬
samen, rein für das Praktische lebenden Kleinstädter und Bauern waren niemals
besondre Liebhaber von Schießpulver und Ruhmesglanz. Nur dem Muß folgend
zogen sie in den Krieg, um für ihren Kaiser und seine Generale Lorbeern zu
gewinnen, aber -- wie wir aus den Schriften Erckmann-Chatrians sehen --
immer murrten sie über diesen Zwang. Jetzt, wo sie eine Republik haben, be¬
herrschen und lenken sie durch ihre Abgeordneten in der Deputirtenkcnnmer, die
das Mandat haben, den Frieden zu erhalten, und fürchten müssen, nicht wieder¬
gewählt zu werden, wenn sie in kriegerische Pläne willigen, die auswärtige
Politik und nötigen ihr einen enthaltsamen und vorsichtigen Charakter auf. Zum
erstenmale siud die Männer der regierenden Parteien gezwungen, zu thun und zu
lassen, was die Stimme des wirklichen Volkes, nicht die des Scheinvolkes der
Zeitungen, der politischen Klubs und der Tribüne verlangt.

Dabei ist es in der letzten Zeit zu einer Frontveründeruug gekommen, die
sehr eigentümlich aussieht. Frankreich hat sich von der Intervention in Ägypten
abgewendet, es schickt nicht nur keine Landtruppen nach Ägypten, sondern ruft
auch die Mehrzahl der Schiffe zurück, die es dorthin gesendet hat, um mit der
englischen Flotte vereint zu demonstriren, und zwar einfach deshalb, weil die
Türkei sich anschickt, dort seine Stelle einzunehmen. Mehr als vier Jahrzehnte
war die Parole der französischen Politik im Nillande: der Türke muß draußen
bleiben, er darf hier nicht dreinreden. Der Ursprung dieser Idee ist leicht auf-
zufinden. Als Frankreich sein Augenmerk auf Erwerbungen in Nordafrika
richtete, als es dann Algerien eroberte und zur Sicherung und Erweiterung
dieses Kolvniallandcs Kriege zu führen hatte, fand es, daß der Stolz und Haß
der muslimischen Welt hinter seinen Gegnern stand, sie ermutigte und thuen
neue Kräfte zuführte, und so gewohnte es sich daran, jede Entwicklung und
Stärkung des Ansehens des Sultans, des geistlichen und weltlichen Oberhauptes
dieser Welt, mit eifersüchtigen und mißgünstigen Blicken zu betrachten, soweit
es sich dabei um Nordafrika handelte. Mehemed Ali mit seinem Streben nach
Unabhängigkeit von Stnmbnl wurde naturgemäß der Schützling des Pariser
Kabinets. Auch seiue Nachfolger erfreuten sich wärmster Gönnerschaft von
feiten der Franzosen, und der Suezkanal gab diesen weitere Gründe zu den:
Wunsche, Ägypten von türkischem Einflüsse so frei wie irgend möglich zu sehen.
Als Ismael Pascha Enropa besuchte, empfing ihn Napoleon der Dritte mit allen
Ehren eines kleineren Souveräns, während er in England nur als der Vasall
der Pforte behandelt wurde, der er nach dein Völkerrechte war, aber nicht fein
wollte. Um die türkische Einmischung zu verhindern, dachte Gambetta nach
Arabis Erneute an gemeinsames Einschreiten mit England. Er fiel indessen,
und Freycinet, sein Nachfolger, setzte den negativen Teil der Politik seines Vor¬
gängers eine Zeit lang fort, ließ aber den positiven, die gemeinschaftliche Inder-


Frankreich und die ägyptische Frage.

und zweiten Napoleon trug und erhielt, war ans die Armee, die Beamten und
einen Teil der großstädtischen Bevölkerung beschränkt; die hart arbeitenden, spar¬
samen, rein für das Praktische lebenden Kleinstädter und Bauern waren niemals
besondre Liebhaber von Schießpulver und Ruhmesglanz. Nur dem Muß folgend
zogen sie in den Krieg, um für ihren Kaiser und seine Generale Lorbeern zu
gewinnen, aber — wie wir aus den Schriften Erckmann-Chatrians sehen —
immer murrten sie über diesen Zwang. Jetzt, wo sie eine Republik haben, be¬
herrschen und lenken sie durch ihre Abgeordneten in der Deputirtenkcnnmer, die
das Mandat haben, den Frieden zu erhalten, und fürchten müssen, nicht wieder¬
gewählt zu werden, wenn sie in kriegerische Pläne willigen, die auswärtige
Politik und nötigen ihr einen enthaltsamen und vorsichtigen Charakter auf. Zum
erstenmale siud die Männer der regierenden Parteien gezwungen, zu thun und zu
lassen, was die Stimme des wirklichen Volkes, nicht die des Scheinvolkes der
Zeitungen, der politischen Klubs und der Tribüne verlangt.

Dabei ist es in der letzten Zeit zu einer Frontveründeruug gekommen, die
sehr eigentümlich aussieht. Frankreich hat sich von der Intervention in Ägypten
abgewendet, es schickt nicht nur keine Landtruppen nach Ägypten, sondern ruft
auch die Mehrzahl der Schiffe zurück, die es dorthin gesendet hat, um mit der
englischen Flotte vereint zu demonstriren, und zwar einfach deshalb, weil die
Türkei sich anschickt, dort seine Stelle einzunehmen. Mehr als vier Jahrzehnte
war die Parole der französischen Politik im Nillande: der Türke muß draußen
bleiben, er darf hier nicht dreinreden. Der Ursprung dieser Idee ist leicht auf-
zufinden. Als Frankreich sein Augenmerk auf Erwerbungen in Nordafrika
richtete, als es dann Algerien eroberte und zur Sicherung und Erweiterung
dieses Kolvniallandcs Kriege zu führen hatte, fand es, daß der Stolz und Haß
der muslimischen Welt hinter seinen Gegnern stand, sie ermutigte und thuen
neue Kräfte zuführte, und so gewohnte es sich daran, jede Entwicklung und
Stärkung des Ansehens des Sultans, des geistlichen und weltlichen Oberhauptes
dieser Welt, mit eifersüchtigen und mißgünstigen Blicken zu betrachten, soweit
es sich dabei um Nordafrika handelte. Mehemed Ali mit seinem Streben nach
Unabhängigkeit von Stnmbnl wurde naturgemäß der Schützling des Pariser
Kabinets. Auch seiue Nachfolger erfreuten sich wärmster Gönnerschaft von
feiten der Franzosen, und der Suezkanal gab diesen weitere Gründe zu den:
Wunsche, Ägypten von türkischem Einflüsse so frei wie irgend möglich zu sehen.
Als Ismael Pascha Enropa besuchte, empfing ihn Napoleon der Dritte mit allen
Ehren eines kleineren Souveräns, während er in England nur als der Vasall
der Pforte behandelt wurde, der er nach dein Völkerrechte war, aber nicht fein
wollte. Um die türkische Einmischung zu verhindern, dachte Gambetta nach
Arabis Erneute an gemeinsames Einschreiten mit England. Er fiel indessen,
und Freycinet, sein Nachfolger, setzte den negativen Teil der Politik seines Vor¬
gängers eine Zeit lang fort, ließ aber den positiven, die gemeinschaftliche Inder-


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[0322] Frankreich und die ägyptische Frage. und zweiten Napoleon trug und erhielt, war ans die Armee, die Beamten und einen Teil der großstädtischen Bevölkerung beschränkt; die hart arbeitenden, spar¬ samen, rein für das Praktische lebenden Kleinstädter und Bauern waren niemals besondre Liebhaber von Schießpulver und Ruhmesglanz. Nur dem Muß folgend zogen sie in den Krieg, um für ihren Kaiser und seine Generale Lorbeern zu gewinnen, aber — wie wir aus den Schriften Erckmann-Chatrians sehen — immer murrten sie über diesen Zwang. Jetzt, wo sie eine Republik haben, be¬ herrschen und lenken sie durch ihre Abgeordneten in der Deputirtenkcnnmer, die das Mandat haben, den Frieden zu erhalten, und fürchten müssen, nicht wieder¬ gewählt zu werden, wenn sie in kriegerische Pläne willigen, die auswärtige Politik und nötigen ihr einen enthaltsamen und vorsichtigen Charakter auf. Zum erstenmale siud die Männer der regierenden Parteien gezwungen, zu thun und zu lassen, was die Stimme des wirklichen Volkes, nicht die des Scheinvolkes der Zeitungen, der politischen Klubs und der Tribüne verlangt. Dabei ist es in der letzten Zeit zu einer Frontveründeruug gekommen, die sehr eigentümlich aussieht. Frankreich hat sich von der Intervention in Ägypten abgewendet, es schickt nicht nur keine Landtruppen nach Ägypten, sondern ruft auch die Mehrzahl der Schiffe zurück, die es dorthin gesendet hat, um mit der englischen Flotte vereint zu demonstriren, und zwar einfach deshalb, weil die Türkei sich anschickt, dort seine Stelle einzunehmen. Mehr als vier Jahrzehnte war die Parole der französischen Politik im Nillande: der Türke muß draußen bleiben, er darf hier nicht dreinreden. Der Ursprung dieser Idee ist leicht auf- zufinden. Als Frankreich sein Augenmerk auf Erwerbungen in Nordafrika richtete, als es dann Algerien eroberte und zur Sicherung und Erweiterung dieses Kolvniallandcs Kriege zu führen hatte, fand es, daß der Stolz und Haß der muslimischen Welt hinter seinen Gegnern stand, sie ermutigte und thuen neue Kräfte zuführte, und so gewohnte es sich daran, jede Entwicklung und Stärkung des Ansehens des Sultans, des geistlichen und weltlichen Oberhauptes dieser Welt, mit eifersüchtigen und mißgünstigen Blicken zu betrachten, soweit es sich dabei um Nordafrika handelte. Mehemed Ali mit seinem Streben nach Unabhängigkeit von Stnmbnl wurde naturgemäß der Schützling des Pariser Kabinets. Auch seiue Nachfolger erfreuten sich wärmster Gönnerschaft von feiten der Franzosen, und der Suezkanal gab diesen weitere Gründe zu den: Wunsche, Ägypten von türkischem Einflüsse so frei wie irgend möglich zu sehen. Als Ismael Pascha Enropa besuchte, empfing ihn Napoleon der Dritte mit allen Ehren eines kleineren Souveräns, während er in England nur als der Vasall der Pforte behandelt wurde, der er nach dein Völkerrechte war, aber nicht fein wollte. Um die türkische Einmischung zu verhindern, dachte Gambetta nach Arabis Erneute an gemeinsames Einschreiten mit England. Er fiel indessen, und Freycinet, sein Nachfolger, setzte den negativen Teil der Politik seines Vor¬ gängers eine Zeit lang fort, ließ aber den positiven, die gemeinschaftliche Inder-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/322>, abgerufen am 23.07.2024.