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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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während jene überwiegend anonym sind, und es nnr in seltenen Fällen noch
möglich ist, die Verfasser zu eruiren. Aber ob selbst in ihrer Beschränkung die
vorliegende Sammlung auch nnr annähernd vollständig sei, möchte billig zu be¬
zweifeln sein. Es ist ja außerordentlich schwierig, das weit zerstreute Material
zusammenzubringen; viele alte Zeitschriften existiren kaum noch irgendwo in zu¬
sammenhängenden Serien, manches ist vollständig zu Grunde gegangen. Finden
sich doch in den Kritiken selbst manche Hinweisungen auf frühere Besprechungen,
die wir in der Sammlung vergeblich gesucht haben. Hier wäre wenigstens eine
Anmerkung nötig gewesen. Überdies erwecken ein ungünstiges Vorurteil über
die Sorgfalt, mit der zu Werke gegangen ist, die vielen sinnentstellenden Druck¬
fehler, die das Buch verunstalten. So grobe Versehen, wie: die Bierzirche
(statt Nienzische) Verschwörung, Untersuchungen (statt Unterhaltungen) deutscher
Ausgewanderten, die Momente des Geistes (statt Gusses, nämlich der Glocke),
dürften denn doch nicht vorkommen. Namentlich sind fremdsprachliche Zitate
arg entstellt. So weiß man denn auch nicht, was von andern Sonderbarkeiten
der Schreibung wirklich ans den Originalen stammt, die im wesentlichen diplo¬
matisch getreu reproduzirt sein sollen, und was auf Rechnung des Setzers zu
schieben ist. Doch lassen wir einmal diese kritischen Bedenken bei Seite, und
genießen wir unbefangen, was uns geboten wird.

Interessant ist es vor allem, den Widerstreit der Meinungen in der Auf¬
nahme der Jugcndprodükte des Dichters zu verfolgen. Das große Aufsehen,
das die Rünbcr, in denen die bisherigen kraftgenialischen Dramen noch über¬
boten waren, bei ihrem Erscheinen erregten, spiegelt sich deutlich in den Be¬
sprechungen derselben wieder. Voll enthusiastischer Anerkennung ist gleich die
erste die Sammlung eröffnende Rezension: "Eine Erscheinung, die sich unter
der unübersehbaren Meuge ähnlicher Sächelchen gar sehr auszeichnet, wahr¬
scheinlich noch fortdauern wird, wenn jene schon in ihr Nichts wieder zurück¬
gegangen sind, "och ehe sie anfingen, recht zu leben. . . Haben wir je einen
teutschen Shakespear zu erwarten, so ist es dieser." Wohl beklagt der Rezensent
die Verletzung der dramatischen Einheiten; dennoch schließt er: "Ich bin weit¬
läufig gewesen: aber ich glaube, eine so seltene Erscheinung, im dramatischen Fach
verdient es. Ein Versasser, dessen erstes Produkt sich schon so sehr auszeichnet,
aus, wenn er aufmerksam auf sich ist, und die Bemerkungen kunstverständiger
Freunde benutzt, mit Riesenschritten zu Vollkommenheit fortschreiten, und das
Publikum zu grosen Erwartungen berechtigen. Nur wünschte ich, daß er bei
dem Studio Shakespears weniger den Göz, als Lessings Werke studiren mögte,
da das Feuer seines Genius ohnehin mehr eines Zügels, als der Sporn
bedarf."

Allgemein ist das Zugeständnis, daß man hier dem Produkte eines nicht
gewöhnlichen Geistes gegenüber stehe, auch in deu tadelnden Besprechungen. So
heißt es von der Bühnenbenrbcitnng des Stückes: "Die neue Bearbeitung ist


während jene überwiegend anonym sind, und es nnr in seltenen Fällen noch
möglich ist, die Verfasser zu eruiren. Aber ob selbst in ihrer Beschränkung die
vorliegende Sammlung auch nnr annähernd vollständig sei, möchte billig zu be¬
zweifeln sein. Es ist ja außerordentlich schwierig, das weit zerstreute Material
zusammenzubringen; viele alte Zeitschriften existiren kaum noch irgendwo in zu¬
sammenhängenden Serien, manches ist vollständig zu Grunde gegangen. Finden
sich doch in den Kritiken selbst manche Hinweisungen auf frühere Besprechungen,
die wir in der Sammlung vergeblich gesucht haben. Hier wäre wenigstens eine
Anmerkung nötig gewesen. Überdies erwecken ein ungünstiges Vorurteil über
die Sorgfalt, mit der zu Werke gegangen ist, die vielen sinnentstellenden Druck¬
fehler, die das Buch verunstalten. So grobe Versehen, wie: die Bierzirche
(statt Nienzische) Verschwörung, Untersuchungen (statt Unterhaltungen) deutscher
Ausgewanderten, die Momente des Geistes (statt Gusses, nämlich der Glocke),
dürften denn doch nicht vorkommen. Namentlich sind fremdsprachliche Zitate
arg entstellt. So weiß man denn auch nicht, was von andern Sonderbarkeiten
der Schreibung wirklich ans den Originalen stammt, die im wesentlichen diplo¬
matisch getreu reproduzirt sein sollen, und was auf Rechnung des Setzers zu
schieben ist. Doch lassen wir einmal diese kritischen Bedenken bei Seite, und
genießen wir unbefangen, was uns geboten wird.

Interessant ist es vor allem, den Widerstreit der Meinungen in der Auf¬
nahme der Jugcndprodükte des Dichters zu verfolgen. Das große Aufsehen,
das die Rünbcr, in denen die bisherigen kraftgenialischen Dramen noch über¬
boten waren, bei ihrem Erscheinen erregten, spiegelt sich deutlich in den Be¬
sprechungen derselben wieder. Voll enthusiastischer Anerkennung ist gleich die
erste die Sammlung eröffnende Rezension: „Eine Erscheinung, die sich unter
der unübersehbaren Meuge ähnlicher Sächelchen gar sehr auszeichnet, wahr¬
scheinlich noch fortdauern wird, wenn jene schon in ihr Nichts wieder zurück¬
gegangen sind, »och ehe sie anfingen, recht zu leben. . . Haben wir je einen
teutschen Shakespear zu erwarten, so ist es dieser." Wohl beklagt der Rezensent
die Verletzung der dramatischen Einheiten; dennoch schließt er: „Ich bin weit¬
läufig gewesen: aber ich glaube, eine so seltene Erscheinung, im dramatischen Fach
verdient es. Ein Versasser, dessen erstes Produkt sich schon so sehr auszeichnet,
aus, wenn er aufmerksam auf sich ist, und die Bemerkungen kunstverständiger
Freunde benutzt, mit Riesenschritten zu Vollkommenheit fortschreiten, und das
Publikum zu grosen Erwartungen berechtigen. Nur wünschte ich, daß er bei
dem Studio Shakespears weniger den Göz, als Lessings Werke studiren mögte,
da das Feuer seines Genius ohnehin mehr eines Zügels, als der Sporn
bedarf."

Allgemein ist das Zugeständnis, daß man hier dem Produkte eines nicht
gewöhnlichen Geistes gegenüber stehe, auch in deu tadelnden Besprechungen. So
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/312>, abgerufen am 22.07.2024.