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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Amerikanische selten.

gegenüber gebührt. Als die Mormonen sich nur Salzsee niedergelassen hatten,
lebten sie drei Jahre hindurch von Rationen, die ihnen regelmäßig zugeteilt
wurden, und die für jeden Erwachsenen aus einem dulden bis dreiviertel Pfund
Brot, etwas Milch und Gemüse für den Tag bestanden. Allerdings war damals
die Zeit der ersten Einrichtung in einem wühlen Lande, und es war größte
Sparsamkeit geboten: aber, wie Schlagintweit erzählt, war Brighnm Joung
selbst, der im Alter von 76 Jahren mit Hinterlassung von fünfzehn wirklichen
Frauen und vierundfünfzig Kindern, vieler Grundstücke und zwei Millionen
Dollars baar Geld starb, ein Mann, der nicht nur weder Wein noch Bier
noch Branntwein, sondern auch nicht einmal Thee, Kaffee oder Chokolade oder
überhaupt warme Getränke zu sich nahm. Der Verfasser sah ihn im Alter von
über siebzig Jahren und schildert ihn als einen stattlichen Mann von über zwei
Zentner Gewicht, sechs Fuß englisch hoch, von leichtem, elastischem Schritt, mildem,
freundlichem Gesicht, hoher Stirn, lebhaftem blauen Auge, hellbraunem Haar
und graumelirtem Bart.

Dixon berichtet, daß in der Salzseestadt weder Schnapsläden noch Bier¬
salons noch Barren existirten, daß er in seinem Hotel weder Vier noch Wein
habe bekommen können, daß es in der ganzen Stadt kein Haus gebe, wo man
Getränke kaufen könne. An andrer Stelle erzählt er, daß im Theater auch die
männlichen Zuschauer uur Pfirsiche zur Erfrischung bekommen könnten und daß
alle vor der Vorstellung ihr Abendbrod gegessen hätten und nach dem Theater
zu Bette gingen, da sie um sechs frühstückten nud das Vergnügen die Arbeit
niemals beeinträchtigen dürfe. Sogar beim Abendmahl geben die Mormonen
Wasser anstatt Wein. Eine Ausnahme hiervon darf nur dort gemacht werden,
wo der Wein von ihnen selbst gezogen und bereitet ist. Dieser Umstand, sowie
die Manier Brigham Aouugs, bei gewissen seltenen Gelegenheiten Wein zu
geben, aber alsdann, bevor getrunken wird, "durch seinen Segen dem Wein die
berauschende Eigenschaft zu nehmen," läßt darauf schließen, daß dies Getränk
überhaupt kein Wein ist, sondern Traubeusyrup, der mit Wasser verdünnt ist,
dasselbe Getränk, welches, nach Angabe alter Theologen, Christus auf der Hochzeit
von Cana bereitete.

Es ist natürlich, daß Leute, die so sehr in ihrer Lebeusweise und ihren
Anschauungen von dem Gebrauch in den Vereinigten Staaten abweichen, der
Gegenstand der allgemeinen Verwunderung und gemeiniglich die Zielscheibe des
Spottes werden. Diese Sekten suchen ihre Befriedigung in der Arbeit selbst,
während die übrigen Amerikaner sie im Gewinn aus der Arbeit sehe"; sie widmen
sich dem Ackerbau als dem edelsten Werke, während diese ihn für das niedrigste
halten; sie sehen das Glück in einer nüchternen, strengen Lebensweise, während
diese es im Reichtum und im Genuß aller Freuden sehen. Aber es giebt noch
einen andern Punkt, in welchem sich diese Sekten von den übrigen Amerikanern
unterscheiden, und hier hört die Verwunderung und der Spott auf, um geradezu


Amerikanische selten.

gegenüber gebührt. Als die Mormonen sich nur Salzsee niedergelassen hatten,
lebten sie drei Jahre hindurch von Rationen, die ihnen regelmäßig zugeteilt
wurden, und die für jeden Erwachsenen aus einem dulden bis dreiviertel Pfund
Brot, etwas Milch und Gemüse für den Tag bestanden. Allerdings war damals
die Zeit der ersten Einrichtung in einem wühlen Lande, und es war größte
Sparsamkeit geboten: aber, wie Schlagintweit erzählt, war Brighnm Joung
selbst, der im Alter von 76 Jahren mit Hinterlassung von fünfzehn wirklichen
Frauen und vierundfünfzig Kindern, vieler Grundstücke und zwei Millionen
Dollars baar Geld starb, ein Mann, der nicht nur weder Wein noch Bier
noch Branntwein, sondern auch nicht einmal Thee, Kaffee oder Chokolade oder
überhaupt warme Getränke zu sich nahm. Der Verfasser sah ihn im Alter von
über siebzig Jahren und schildert ihn als einen stattlichen Mann von über zwei
Zentner Gewicht, sechs Fuß englisch hoch, von leichtem, elastischem Schritt, mildem,
freundlichem Gesicht, hoher Stirn, lebhaftem blauen Auge, hellbraunem Haar
und graumelirtem Bart.

Dixon berichtet, daß in der Salzseestadt weder Schnapsläden noch Bier¬
salons noch Barren existirten, daß er in seinem Hotel weder Vier noch Wein
habe bekommen können, daß es in der ganzen Stadt kein Haus gebe, wo man
Getränke kaufen könne. An andrer Stelle erzählt er, daß im Theater auch die
männlichen Zuschauer uur Pfirsiche zur Erfrischung bekommen könnten und daß
alle vor der Vorstellung ihr Abendbrod gegessen hätten und nach dem Theater
zu Bette gingen, da sie um sechs frühstückten nud das Vergnügen die Arbeit
niemals beeinträchtigen dürfe. Sogar beim Abendmahl geben die Mormonen
Wasser anstatt Wein. Eine Ausnahme hiervon darf nur dort gemacht werden,
wo der Wein von ihnen selbst gezogen und bereitet ist. Dieser Umstand, sowie
die Manier Brigham Aouugs, bei gewissen seltenen Gelegenheiten Wein zu
geben, aber alsdann, bevor getrunken wird, „durch seinen Segen dem Wein die
berauschende Eigenschaft zu nehmen," läßt darauf schließen, daß dies Getränk
überhaupt kein Wein ist, sondern Traubeusyrup, der mit Wasser verdünnt ist,
dasselbe Getränk, welches, nach Angabe alter Theologen, Christus auf der Hochzeit
von Cana bereitete.

Es ist natürlich, daß Leute, die so sehr in ihrer Lebeusweise und ihren
Anschauungen von dem Gebrauch in den Vereinigten Staaten abweichen, der
Gegenstand der allgemeinen Verwunderung und gemeiniglich die Zielscheibe des
Spottes werden. Diese Sekten suchen ihre Befriedigung in der Arbeit selbst,
während die übrigen Amerikaner sie im Gewinn aus der Arbeit sehe«; sie widmen
sich dem Ackerbau als dem edelsten Werke, während diese ihn für das niedrigste
halten; sie sehen das Glück in einer nüchternen, strengen Lebensweise, während
diese es im Reichtum und im Genuß aller Freuden sehen. Aber es giebt noch
einen andern Punkt, in welchem sich diese Sekten von den übrigen Amerikanern
unterscheiden, und hier hört die Verwunderung und der Spott auf, um geradezu


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[0027] Amerikanische selten. gegenüber gebührt. Als die Mormonen sich nur Salzsee niedergelassen hatten, lebten sie drei Jahre hindurch von Rationen, die ihnen regelmäßig zugeteilt wurden, und die für jeden Erwachsenen aus einem dulden bis dreiviertel Pfund Brot, etwas Milch und Gemüse für den Tag bestanden. Allerdings war damals die Zeit der ersten Einrichtung in einem wühlen Lande, und es war größte Sparsamkeit geboten: aber, wie Schlagintweit erzählt, war Brighnm Joung selbst, der im Alter von 76 Jahren mit Hinterlassung von fünfzehn wirklichen Frauen und vierundfünfzig Kindern, vieler Grundstücke und zwei Millionen Dollars baar Geld starb, ein Mann, der nicht nur weder Wein noch Bier noch Branntwein, sondern auch nicht einmal Thee, Kaffee oder Chokolade oder überhaupt warme Getränke zu sich nahm. Der Verfasser sah ihn im Alter von über siebzig Jahren und schildert ihn als einen stattlichen Mann von über zwei Zentner Gewicht, sechs Fuß englisch hoch, von leichtem, elastischem Schritt, mildem, freundlichem Gesicht, hoher Stirn, lebhaftem blauen Auge, hellbraunem Haar und graumelirtem Bart. Dixon berichtet, daß in der Salzseestadt weder Schnapsläden noch Bier¬ salons noch Barren existirten, daß er in seinem Hotel weder Vier noch Wein habe bekommen können, daß es in der ganzen Stadt kein Haus gebe, wo man Getränke kaufen könne. An andrer Stelle erzählt er, daß im Theater auch die männlichen Zuschauer uur Pfirsiche zur Erfrischung bekommen könnten und daß alle vor der Vorstellung ihr Abendbrod gegessen hätten und nach dem Theater zu Bette gingen, da sie um sechs frühstückten nud das Vergnügen die Arbeit niemals beeinträchtigen dürfe. Sogar beim Abendmahl geben die Mormonen Wasser anstatt Wein. Eine Ausnahme hiervon darf nur dort gemacht werden, wo der Wein von ihnen selbst gezogen und bereitet ist. Dieser Umstand, sowie die Manier Brigham Aouugs, bei gewissen seltenen Gelegenheiten Wein zu geben, aber alsdann, bevor getrunken wird, „durch seinen Segen dem Wein die berauschende Eigenschaft zu nehmen," läßt darauf schließen, daß dies Getränk überhaupt kein Wein ist, sondern Traubeusyrup, der mit Wasser verdünnt ist, dasselbe Getränk, welches, nach Angabe alter Theologen, Christus auf der Hochzeit von Cana bereitete. Es ist natürlich, daß Leute, die so sehr in ihrer Lebeusweise und ihren Anschauungen von dem Gebrauch in den Vereinigten Staaten abweichen, der Gegenstand der allgemeinen Verwunderung und gemeiniglich die Zielscheibe des Spottes werden. Diese Sekten suchen ihre Befriedigung in der Arbeit selbst, während die übrigen Amerikaner sie im Gewinn aus der Arbeit sehe«; sie widmen sich dem Ackerbau als dem edelsten Werke, während diese ihn für das niedrigste halten; sie sehen das Glück in einer nüchternen, strengen Lebensweise, während diese es im Reichtum und im Genuß aller Freuden sehen. Aber es giebt noch einen andern Punkt, in welchem sich diese Sekten von den übrigen Amerikanern unterscheiden, und hier hört die Verwunderung und der Spott auf, um geradezu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/27>, abgerufen am 22.07.2024.