Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Das heutige Feuilleton.

Professuren, deren gelehrte kritische Fachschriften mit dem liternrischen Zeitungs¬
markte nichts oder wenig zu thun haben. Den Maßstab zur Scheidung zwischen
niedrer und höherer Kritik kann allein der höhere oder geringere Wert der Kritiken
abgeben. Dieser ist aber, trotz alle" Flimmers, in den literarischen Feuilletons
herzlich gering; wirklichen Wert hat nur bisweilen eine gründliche, grundsätzliche
Auseinandersetzung, die dann als professvrenhast akademisch bei Seite ge¬
schoben wird. Für die Unbefangenheit dieser Art von höherer Kritik kann von
vornherein der Umstand leine günstige Meinung erwecken, daß die Verfasser
Autoren und Kritiker zugleich sind. Ein Angegriffner wehrt sich seiner Haut,
wo und wie er kann. Welcher aber unter den heutigen "schaffenden" Schrift¬
stellern (von rechtswegen sollte der Name Schriftsteller den Schaffenden allein
zukommen) wäre nie und nirgend angegriffen worden? Und er sollte geduldig
die Unbilden tragen? nicht mich in seinen Kritiken rechts lind links hin Hiebe
austeilen?

Um mich nnr die Grundlinien der höheren literarischen Kritik des neu-
deutschen Parnasses notdürftig zu ziehen, müßten wir auf die "Coterien," die
sich streitbar auf dem Markte gegenüberstehen, sorgfältiger eingehen, als es
der Mühe wert ist. Wen interessirt es zu wissen, warum Herr Speidel in der
"Neuen freien Presse" Herrn Paul Lindau einen "geschickten literarischen Lonrinin
vo^Mur" nennt, und weshalb Herr Rudolf von Gottschall Gustav Freytag
vornehm wohlwollend das Lob eines leidlich geschickten Kleinmalers erteilt?
Das eine ist Thatsache, daß der deutsche" Literatur aus diesem streitenden Gewirr
allezeit fertiger Zeitnngsfedern noch keine Förderung erwachsen ist: was sollte
mich im Kampfe zwischen lediglich persönlichen Gegensätzen für sachlicher Gewinn
sich ergeben? Innerer Wert und künstlerische Kraft ist in Deutschland von
altersher bei den Jsolirten zu finden, die seitab vom Lärm des Tages still
schaffen, unbekümmert um Lob und Tadel der wortgewnltigen Zeitnngsheldeu.

An den Unterarten des philosophisch-ästhetischen und des kunstwissenschaft¬
licher Feuilletons dürfen wir eilig vorbeischreiten: sie fordern zuviel Sammlung,
zuviel ernste Arbeit und geordnete Kenntnisse, als daß nicht die flüchtigen Zeitungs¬
schreiber diese undankbaren Gebiete wirklichen Gelehrten und schriftstellernden
Professoren überlassen sollten, die denn mich ans Zeitungspapier wie anderswo
erfreulich tüchtiges zu leisten wissen. Drum können solche Aufsätze als Feuilletons
nicht gelten, obschon sie in den Fenilletvnspalten stehen. Wir wenden uns daher
sogleich zu dem naturwissenschaftlichen Feuilleton, ans das sich die Zeitungs-
schreiber, gelehrte und ungelehrte, mit dem Feuereifer des Entdeckers geworfen
habe". Dies naturwissenschaftliche Feuilleton ist die eigenste Erfindung einer
Zeit, die dnrch flache Popularisirung der Wissenschaften wahre Bildung zu ver¬
breiten wähnt. Daß mau gerade die Naturwissenschaft zum Gegenstande dieser
eifrigen Verarbeitung genommen hat, ist leicht erklärlich. Die belehrende Absicht
tritt hier stärker hervor, als sonst mit dem Charakter des Feuilletons verträglich


Das heutige Feuilleton.

Professuren, deren gelehrte kritische Fachschriften mit dem liternrischen Zeitungs¬
markte nichts oder wenig zu thun haben. Den Maßstab zur Scheidung zwischen
niedrer und höherer Kritik kann allein der höhere oder geringere Wert der Kritiken
abgeben. Dieser ist aber, trotz alle» Flimmers, in den literarischen Feuilletons
herzlich gering; wirklichen Wert hat nur bisweilen eine gründliche, grundsätzliche
Auseinandersetzung, die dann als professvrenhast akademisch bei Seite ge¬
schoben wird. Für die Unbefangenheit dieser Art von höherer Kritik kann von
vornherein der Umstand leine günstige Meinung erwecken, daß die Verfasser
Autoren und Kritiker zugleich sind. Ein Angegriffner wehrt sich seiner Haut,
wo und wie er kann. Welcher aber unter den heutigen „schaffenden" Schrift¬
stellern (von rechtswegen sollte der Name Schriftsteller den Schaffenden allein
zukommen) wäre nie und nirgend angegriffen worden? Und er sollte geduldig
die Unbilden tragen? nicht mich in seinen Kritiken rechts lind links hin Hiebe
austeilen?

Um mich nnr die Grundlinien der höheren literarischen Kritik des neu-
deutschen Parnasses notdürftig zu ziehen, müßten wir auf die „Coterien," die
sich streitbar auf dem Markte gegenüberstehen, sorgfältiger eingehen, als es
der Mühe wert ist. Wen interessirt es zu wissen, warum Herr Speidel in der
„Neuen freien Presse" Herrn Paul Lindau einen „geschickten literarischen Lonrinin
vo^Mur" nennt, und weshalb Herr Rudolf von Gottschall Gustav Freytag
vornehm wohlwollend das Lob eines leidlich geschickten Kleinmalers erteilt?
Das eine ist Thatsache, daß der deutsche« Literatur aus diesem streitenden Gewirr
allezeit fertiger Zeitnngsfedern noch keine Förderung erwachsen ist: was sollte
mich im Kampfe zwischen lediglich persönlichen Gegensätzen für sachlicher Gewinn
sich ergeben? Innerer Wert und künstlerische Kraft ist in Deutschland von
altersher bei den Jsolirten zu finden, die seitab vom Lärm des Tages still
schaffen, unbekümmert um Lob und Tadel der wortgewnltigen Zeitnngsheldeu.

An den Unterarten des philosophisch-ästhetischen und des kunstwissenschaft¬
licher Feuilletons dürfen wir eilig vorbeischreiten: sie fordern zuviel Sammlung,
zuviel ernste Arbeit und geordnete Kenntnisse, als daß nicht die flüchtigen Zeitungs¬
schreiber diese undankbaren Gebiete wirklichen Gelehrten und schriftstellernden
Professoren überlassen sollten, die denn mich ans Zeitungspapier wie anderswo
erfreulich tüchtiges zu leisten wissen. Drum können solche Aufsätze als Feuilletons
nicht gelten, obschon sie in den Fenilletvnspalten stehen. Wir wenden uns daher
sogleich zu dem naturwissenschaftlichen Feuilleton, ans das sich die Zeitungs-
schreiber, gelehrte und ungelehrte, mit dem Feuereifer des Entdeckers geworfen
habe». Dies naturwissenschaftliche Feuilleton ist die eigenste Erfindung einer
Zeit, die dnrch flache Popularisirung der Wissenschaften wahre Bildung zu ver¬
breiten wähnt. Daß mau gerade die Naturwissenschaft zum Gegenstande dieser
eifrigen Verarbeitung genommen hat, ist leicht erklärlich. Die belehrende Absicht
tritt hier stärker hervor, als sonst mit dem Charakter des Feuilletons verträglich


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0267" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/193608"/>
            <fw type="header" place="top"> Das heutige Feuilleton.</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_862" prev="#ID_861"> Professuren, deren gelehrte kritische Fachschriften mit dem liternrischen Zeitungs¬<lb/>
markte nichts oder wenig zu thun haben. Den Maßstab zur Scheidung zwischen<lb/>
niedrer und höherer Kritik kann allein der höhere oder geringere Wert der Kritiken<lb/>
abgeben. Dieser ist aber, trotz alle» Flimmers, in den literarischen Feuilletons<lb/>
herzlich gering; wirklichen Wert hat nur bisweilen eine gründliche, grundsätzliche<lb/>
Auseinandersetzung, die dann als professvrenhast akademisch bei Seite ge¬<lb/>
schoben wird. Für die Unbefangenheit dieser Art von höherer Kritik kann von<lb/>
vornherein der Umstand leine günstige Meinung erwecken, daß die Verfasser<lb/>
Autoren und Kritiker zugleich sind. Ein Angegriffner wehrt sich seiner Haut,<lb/>
wo und wie er kann. Welcher aber unter den heutigen &#x201E;schaffenden" Schrift¬<lb/>
stellern (von rechtswegen sollte der Name Schriftsteller den Schaffenden allein<lb/>
zukommen) wäre nie und nirgend angegriffen worden? Und er sollte geduldig<lb/>
die Unbilden tragen? nicht mich in seinen Kritiken rechts lind links hin Hiebe<lb/>
austeilen?</p><lb/>
            <p xml:id="ID_863"> Um mich nnr die Grundlinien der höheren literarischen Kritik des neu-<lb/>
deutschen Parnasses notdürftig zu ziehen, müßten wir auf die &#x201E;Coterien," die<lb/>
sich streitbar auf dem Markte gegenüberstehen, sorgfältiger eingehen, als es<lb/>
der Mühe wert ist. Wen interessirt es zu wissen, warum Herr Speidel in der<lb/>
&#x201E;Neuen freien Presse" Herrn Paul Lindau einen &#x201E;geschickten literarischen Lonrinin<lb/>
vo^Mur" nennt, und weshalb Herr Rudolf von Gottschall Gustav Freytag<lb/>
vornehm wohlwollend das Lob eines leidlich geschickten Kleinmalers erteilt?<lb/>
Das eine ist Thatsache, daß der deutsche« Literatur aus diesem streitenden Gewirr<lb/>
allezeit fertiger Zeitnngsfedern noch keine Förderung erwachsen ist: was sollte<lb/>
mich im Kampfe zwischen lediglich persönlichen Gegensätzen für sachlicher Gewinn<lb/>
sich ergeben? Innerer Wert und künstlerische Kraft ist in Deutschland von<lb/>
altersher bei den Jsolirten zu finden, die seitab vom Lärm des Tages still<lb/>
schaffen, unbekümmert um Lob und Tadel der wortgewnltigen Zeitnngsheldeu.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_864" next="#ID_865"> An den Unterarten des philosophisch-ästhetischen und des kunstwissenschaft¬<lb/>
licher Feuilletons dürfen wir eilig vorbeischreiten: sie fordern zuviel Sammlung,<lb/>
zuviel ernste Arbeit und geordnete Kenntnisse, als daß nicht die flüchtigen Zeitungs¬<lb/>
schreiber diese undankbaren Gebiete wirklichen Gelehrten und schriftstellernden<lb/>
Professoren überlassen sollten, die denn mich ans Zeitungspapier wie anderswo<lb/>
erfreulich tüchtiges zu leisten wissen. Drum können solche Aufsätze als Feuilletons<lb/>
nicht gelten, obschon sie in den Fenilletvnspalten stehen. Wir wenden uns daher<lb/>
sogleich zu dem naturwissenschaftlichen Feuilleton, ans das sich die Zeitungs-<lb/>
schreiber, gelehrte und ungelehrte, mit dem Feuereifer des Entdeckers geworfen<lb/>
habe». Dies naturwissenschaftliche Feuilleton ist die eigenste Erfindung einer<lb/>
Zeit, die dnrch flache Popularisirung der Wissenschaften wahre Bildung zu ver¬<lb/>
breiten wähnt. Daß mau gerade die Naturwissenschaft zum Gegenstande dieser<lb/>
eifrigen Verarbeitung genommen hat, ist leicht erklärlich. Die belehrende Absicht<lb/>
tritt hier stärker hervor, als sonst mit dem Charakter des Feuilletons verträglich</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0267] Das heutige Feuilleton. Professuren, deren gelehrte kritische Fachschriften mit dem liternrischen Zeitungs¬ markte nichts oder wenig zu thun haben. Den Maßstab zur Scheidung zwischen niedrer und höherer Kritik kann allein der höhere oder geringere Wert der Kritiken abgeben. Dieser ist aber, trotz alle» Flimmers, in den literarischen Feuilletons herzlich gering; wirklichen Wert hat nur bisweilen eine gründliche, grundsätzliche Auseinandersetzung, die dann als professvrenhast akademisch bei Seite ge¬ schoben wird. Für die Unbefangenheit dieser Art von höherer Kritik kann von vornherein der Umstand leine günstige Meinung erwecken, daß die Verfasser Autoren und Kritiker zugleich sind. Ein Angegriffner wehrt sich seiner Haut, wo und wie er kann. Welcher aber unter den heutigen „schaffenden" Schrift¬ stellern (von rechtswegen sollte der Name Schriftsteller den Schaffenden allein zukommen) wäre nie und nirgend angegriffen worden? Und er sollte geduldig die Unbilden tragen? nicht mich in seinen Kritiken rechts lind links hin Hiebe austeilen? Um mich nnr die Grundlinien der höheren literarischen Kritik des neu- deutschen Parnasses notdürftig zu ziehen, müßten wir auf die „Coterien," die sich streitbar auf dem Markte gegenüberstehen, sorgfältiger eingehen, als es der Mühe wert ist. Wen interessirt es zu wissen, warum Herr Speidel in der „Neuen freien Presse" Herrn Paul Lindau einen „geschickten literarischen Lonrinin vo^Mur" nennt, und weshalb Herr Rudolf von Gottschall Gustav Freytag vornehm wohlwollend das Lob eines leidlich geschickten Kleinmalers erteilt? Das eine ist Thatsache, daß der deutsche« Literatur aus diesem streitenden Gewirr allezeit fertiger Zeitnngsfedern noch keine Förderung erwachsen ist: was sollte mich im Kampfe zwischen lediglich persönlichen Gegensätzen für sachlicher Gewinn sich ergeben? Innerer Wert und künstlerische Kraft ist in Deutschland von altersher bei den Jsolirten zu finden, die seitab vom Lärm des Tages still schaffen, unbekümmert um Lob und Tadel der wortgewnltigen Zeitnngsheldeu. An den Unterarten des philosophisch-ästhetischen und des kunstwissenschaft¬ licher Feuilletons dürfen wir eilig vorbeischreiten: sie fordern zuviel Sammlung, zuviel ernste Arbeit und geordnete Kenntnisse, als daß nicht die flüchtigen Zeitungs¬ schreiber diese undankbaren Gebiete wirklichen Gelehrten und schriftstellernden Professoren überlassen sollten, die denn mich ans Zeitungspapier wie anderswo erfreulich tüchtiges zu leisten wissen. Drum können solche Aufsätze als Feuilletons nicht gelten, obschon sie in den Fenilletvnspalten stehen. Wir wenden uns daher sogleich zu dem naturwissenschaftlichen Feuilleton, ans das sich die Zeitungs- schreiber, gelehrte und ungelehrte, mit dem Feuereifer des Entdeckers geworfen habe». Dies naturwissenschaftliche Feuilleton ist die eigenste Erfindung einer Zeit, die dnrch flache Popularisirung der Wissenschaften wahre Bildung zu ver¬ breiten wähnt. Daß mau gerade die Naturwissenschaft zum Gegenstande dieser eifrigen Verarbeitung genommen hat, ist leicht erklärlich. Die belehrende Absicht tritt hier stärker hervor, als sonst mit dem Charakter des Feuilletons verträglich

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/267
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/267>, abgerufen am 25.08.2024.