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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Ameisenloben.

Ferner: giebt es einen andern als einen gradweisen Unterschied zwischen
den Feldzügen Napoleons und den Expeditionen derVorrniva, me68k6ii8, welche
weite Märsche macht, feindliche Ameisenhaufen mit Sturm nimmt und darauf
triumphirend mit Gefangenen und Bente heimkehrt? Die Invasion der Insel
Grenada durch ein Ameisenheer, die vor etwa hundert Jahren erfolgte, erinnerte
durch ihre Großartigkeit an althellenische, germanische und sarazenische Eroberungs-
züge. "Sie stiegen von den Bergen herab, lesen wir, wie reißende Sturzbäche,
und füllten Straßen, Fußpfade und Anpflanzungen meilenweit mit ihren Schnaren
um. Ratten, Mäuse und Reptilien aller Gattungen wurden ihnen eine leichte
Beute, und selbst Vögel, die sich, um Nahrung zu suchen, aus der Luft auf
deu Erdboden herabließen, wurden von ihnen so bedrängt, daß sie ihnen schlie߬
lich keinen Widerstand zu leisten vermochten. Wasserläufe, die auf ihren: Wege
waren, bildeten nur für kurze Zeit ein Hemmnis für ihren Durchzug. Die
vordersten Reihen der Heranstürmeuden stürzten sich blindlings in den sichern
Tod, andre sprangen ihnen ans den Rücken, weitere Heere hinter ihnen thaten
desgleichen, bis sich aus den Leichen ein neues Ufer und weiterhin eine schwan¬
kende Brücke nach der andern Seite bildete, die der Hanptnrmee den sichern
Übergang gestattete. Selbst Feuer wurde ohne Erfolg gegen ihren Andrang
zur Anwendung gebracht. Nicht lange war die feurige Schranke gezogen, so
wimmelte es in solchen Myriaden in der Glut, daß sie nach kurzem Flackern
zum Erlöschen kam." Die Verwüstung aber, welche diese unwiderstehliche Jn-
vasionsarmee an Hab und Gut der Bewohner des Landes anrichtete, war so
schrecklich, daß eine Belohnung für ihre Vertilgung ausgesetzt wurde, die uach
heutiger deutscher Rechnung viermalhnnderttausend Mark betrag. Vergeblich,
erst ein starker, wvlkcnbruchartiger Platzregen, der sie von Lande in die großen
Ströme und ins Meer schwemmte, machte dem Notstand ein Ende.

Wenn es in den Ameisengemeinden eine so gewaltige Welt denkenden Lebens
nnter der Stufe des Menschengeschlechts giebt, eine Welt gesellschaftlich organi-
sirter Insekten, welche sich feiner Sinne erfreut und rührig und energisch ihre
Zwecke verfolgt, was für neue Ausblicke öffnet uns diese Thatsache in Reihen
ans Reihen von Resultaten der das Universum durchdringenden Schöpferkraft
und in die Tiefen und Höhen eines allgegenwärtigen Lebens voll reicher Ge¬
staltung, voll Empfindung, Glück und Schmerz! Welcher Art mögen nicht die
höhern, ferner gelegenen und uns noch unsichtbaren Vollkommenheiten des Sinnen-
nnd Geisteslebens der Sphären des Alls sein, wenn wir an diese wundervollen
Lebeusüußeruugen so kleiner und für das "gewöhnliche Ange so unbedeutender
Geschöpfe denken! Kein Märchenbuch des Orients enthält auch uur halb so
interessante Blätter als die Sammlung von Erfahrungen ans der Wirklichkeit,
die uns unser Ameisenfreund nach zehnjähriger Beobachtung hier vorgelegt hat.




Ameisenloben.

Ferner: giebt es einen andern als einen gradweisen Unterschied zwischen
den Feldzügen Napoleons und den Expeditionen derVorrniva, me68k6ii8, welche
weite Märsche macht, feindliche Ameisenhaufen mit Sturm nimmt und darauf
triumphirend mit Gefangenen und Bente heimkehrt? Die Invasion der Insel
Grenada durch ein Ameisenheer, die vor etwa hundert Jahren erfolgte, erinnerte
durch ihre Großartigkeit an althellenische, germanische und sarazenische Eroberungs-
züge. „Sie stiegen von den Bergen herab, lesen wir, wie reißende Sturzbäche,
und füllten Straßen, Fußpfade und Anpflanzungen meilenweit mit ihren Schnaren
um. Ratten, Mäuse und Reptilien aller Gattungen wurden ihnen eine leichte
Beute, und selbst Vögel, die sich, um Nahrung zu suchen, aus der Luft auf
deu Erdboden herabließen, wurden von ihnen so bedrängt, daß sie ihnen schlie߬
lich keinen Widerstand zu leisten vermochten. Wasserläufe, die auf ihren: Wege
waren, bildeten nur für kurze Zeit ein Hemmnis für ihren Durchzug. Die
vordersten Reihen der Heranstürmeuden stürzten sich blindlings in den sichern
Tod, andre sprangen ihnen ans den Rücken, weitere Heere hinter ihnen thaten
desgleichen, bis sich aus den Leichen ein neues Ufer und weiterhin eine schwan¬
kende Brücke nach der andern Seite bildete, die der Hanptnrmee den sichern
Übergang gestattete. Selbst Feuer wurde ohne Erfolg gegen ihren Andrang
zur Anwendung gebracht. Nicht lange war die feurige Schranke gezogen, so
wimmelte es in solchen Myriaden in der Glut, daß sie nach kurzem Flackern
zum Erlöschen kam." Die Verwüstung aber, welche diese unwiderstehliche Jn-
vasionsarmee an Hab und Gut der Bewohner des Landes anrichtete, war so
schrecklich, daß eine Belohnung für ihre Vertilgung ausgesetzt wurde, die uach
heutiger deutscher Rechnung viermalhnnderttausend Mark betrag. Vergeblich,
erst ein starker, wvlkcnbruchartiger Platzregen, der sie von Lande in die großen
Ströme und ins Meer schwemmte, machte dem Notstand ein Ende.

Wenn es in den Ameisengemeinden eine so gewaltige Welt denkenden Lebens
nnter der Stufe des Menschengeschlechts giebt, eine Welt gesellschaftlich organi-
sirter Insekten, welche sich feiner Sinne erfreut und rührig und energisch ihre
Zwecke verfolgt, was für neue Ausblicke öffnet uns diese Thatsache in Reihen
ans Reihen von Resultaten der das Universum durchdringenden Schöpferkraft
und in die Tiefen und Höhen eines allgegenwärtigen Lebens voll reicher Ge¬
staltung, voll Empfindung, Glück und Schmerz! Welcher Art mögen nicht die
höhern, ferner gelegenen und uns noch unsichtbaren Vollkommenheiten des Sinnen-
nnd Geisteslebens der Sphären des Alls sein, wenn wir an diese wundervollen
Lebeusüußeruugen so kleiner und für das "gewöhnliche Ange so unbedeutender
Geschöpfe denken! Kein Märchenbuch des Orients enthält auch uur halb so
interessante Blätter als die Sammlung von Erfahrungen ans der Wirklichkeit,
die uns unser Ameisenfreund nach zehnjähriger Beobachtung hier vorgelegt hat.




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[0262] Ameisenloben. Ferner: giebt es einen andern als einen gradweisen Unterschied zwischen den Feldzügen Napoleons und den Expeditionen derVorrniva, me68k6ii8, welche weite Märsche macht, feindliche Ameisenhaufen mit Sturm nimmt und darauf triumphirend mit Gefangenen und Bente heimkehrt? Die Invasion der Insel Grenada durch ein Ameisenheer, die vor etwa hundert Jahren erfolgte, erinnerte durch ihre Großartigkeit an althellenische, germanische und sarazenische Eroberungs- züge. „Sie stiegen von den Bergen herab, lesen wir, wie reißende Sturzbäche, und füllten Straßen, Fußpfade und Anpflanzungen meilenweit mit ihren Schnaren um. Ratten, Mäuse und Reptilien aller Gattungen wurden ihnen eine leichte Beute, und selbst Vögel, die sich, um Nahrung zu suchen, aus der Luft auf deu Erdboden herabließen, wurden von ihnen so bedrängt, daß sie ihnen schlie߬ lich keinen Widerstand zu leisten vermochten. Wasserläufe, die auf ihren: Wege waren, bildeten nur für kurze Zeit ein Hemmnis für ihren Durchzug. Die vordersten Reihen der Heranstürmeuden stürzten sich blindlings in den sichern Tod, andre sprangen ihnen ans den Rücken, weitere Heere hinter ihnen thaten desgleichen, bis sich aus den Leichen ein neues Ufer und weiterhin eine schwan¬ kende Brücke nach der andern Seite bildete, die der Hanptnrmee den sichern Übergang gestattete. Selbst Feuer wurde ohne Erfolg gegen ihren Andrang zur Anwendung gebracht. Nicht lange war die feurige Schranke gezogen, so wimmelte es in solchen Myriaden in der Glut, daß sie nach kurzem Flackern zum Erlöschen kam." Die Verwüstung aber, welche diese unwiderstehliche Jn- vasionsarmee an Hab und Gut der Bewohner des Landes anrichtete, war so schrecklich, daß eine Belohnung für ihre Vertilgung ausgesetzt wurde, die uach heutiger deutscher Rechnung viermalhnnderttausend Mark betrag. Vergeblich, erst ein starker, wvlkcnbruchartiger Platzregen, der sie von Lande in die großen Ströme und ins Meer schwemmte, machte dem Notstand ein Ende. Wenn es in den Ameisengemeinden eine so gewaltige Welt denkenden Lebens nnter der Stufe des Menschengeschlechts giebt, eine Welt gesellschaftlich organi- sirter Insekten, welche sich feiner Sinne erfreut und rührig und energisch ihre Zwecke verfolgt, was für neue Ausblicke öffnet uns diese Thatsache in Reihen ans Reihen von Resultaten der das Universum durchdringenden Schöpferkraft und in die Tiefen und Höhen eines allgegenwärtigen Lebens voll reicher Ge¬ staltung, voll Empfindung, Glück und Schmerz! Welcher Art mögen nicht die höhern, ferner gelegenen und uns noch unsichtbaren Vollkommenheiten des Sinnen- nnd Geisteslebens der Sphären des Alls sein, wenn wir an diese wundervollen Lebeusüußeruugen so kleiner und für das "gewöhnliche Ange so unbedeutender Geschöpfe denken! Kein Märchenbuch des Orients enthält auch uur halb so interessante Blätter als die Sammlung von Erfahrungen ans der Wirklichkeit, die uns unser Ameisenfreund nach zehnjähriger Beobachtung hier vorgelegt hat.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/262>, abgerufen am 25.08.2024.