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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Das heutige Feuilleton.

eben dieser Zeit, die bei aller wissenschaftlich geschichtlichen Richtung in furchtbar
harter Spannung der Gegensatze alle Streitfragen des Tages mit subjektivster
Leidenschaft auskämpft. Aber nirgends tritt diese subjektiv charakterisirende Rich¬
tung unseres Geistes so verzerrt und widerwärtig hervor als im Feuilleton.
Die "interessante Beleuchtung," die "geistvoll originelle Auffassung," die "eigen¬
artig reizvolle, pikante Darstellung" ist ihm das erste, fast das einzig wichtige;
die Thatsachen schlendern halb unbeachtet hinterher; sie werden gepreßt, ge¬
zwungen, verstümmelt, wie es dem Herrn Journalisten nach seinem augenblick¬
lichen "Standpunkte" beliebt. So erleben wir täglich die Seltsamkeit, Bilder
anschauen zu sollen, die aus lauter Beleuchtung bestehen, und Suppen vorgesetzt zu
bekommen, die nichts als Würze sind. Die Kunst der Charakteristik, deren höchstes
Gesetz früher sorgsam schonendes Eingehen auf die Eigenart des zu charakteri-
sirenden war, ist unter den Händen der Zcitnngscharnkteristiker zu einer Afterknnst
geworden, die es verstehen muß, die widersprechendsten Dinge unter eine grelle
Beleuchtung so zu vereinen, daß ein Schein der Zusammengehörigkeit entsteht.
Die Formen und die gestaltgebcnden Umrisse der Dinge schont diese "Kunst"
so wenig wie die neueste farbeuschwelgerische Malerei, der es auch nur um Be-
leuchtnngseffekte zu thun ist. Daß die also entstandenen Bilder nicht Charak¬
teristiken, sondern Karikaturen sind, kann die künstlich grelle Beleuchtung kaum
notdürftig verdecken; wie bald aber schwindet die hin, und jene "Meisterwerke"
hören überhaupt auf, Bilder zu sein. Ein berühmter Charakteristiker der jüngsten
Vergangenheit, nebenbei noch ein wirklicher Schriftsteller, Karl Gutzkow, hat
diese zarte Grenzlinie zwischen Charakteristik und Karikatur schon überschritten.
Uns dünkt, als ruhe der wirksamste Hebel seiner für ehrliche Chnrcckterzeich-
unug allzu geistreichem Charakteristiken aus der Übertreibung, die das eigenste
Kennzeichen der Karikatur ist.

Von den äußern, sinnlichen Mitteln, mit denen die Feuilletonisten den eben
bezeichneten Zielen zustreben, ist das vornehmste die Sprache, welche die Herren
zu einem eignen Feuilletvnstil ausgebildet haben. Im Hinblick ans diesen Stil,
dessen Wesen dein Unkundigen ein Geheimnis bleibt, hat irgend jemand aus der
Zunft gesagt, es wäre leichter, ein Buch zu schreiben als ein gutes Feuilleton.
Das wäre nun freilich ein Buch, das besser ungeschrieben bliebe. Die Feuille¬
tonisten rühmen das ungezwungene, gefällige, absichtslose ihrer Schreibweise, die
elegante, zierlich geschickte Satzfügnng, die glänzenden Antithesen, die schneidige
Klarheit ihres Satzbaues. Wir lasten das alles als allgemeine Vorzüge jeder
guten Schreibart gelten, können jedoch die besondern Merkmale des feuille-
tonistischen Stiles darin nicht erblicken. Dieser kennzeichnet sich einerseits durch
eine gewisse Nachlässigkeit im Aufbau der Gedanken, deren wir schon oben als
einer von der Poesie erborgten Freiheit gedachten. Die wesentlichste Eigenschaft
der feuilletonistischen Schreibart aber ist eine Überladung, die in flüchtigen
Blättchen erträglich sein kann, in längeren Aufsätzen unausstehlich wird. Die


Das heutige Feuilleton.

eben dieser Zeit, die bei aller wissenschaftlich geschichtlichen Richtung in furchtbar
harter Spannung der Gegensatze alle Streitfragen des Tages mit subjektivster
Leidenschaft auskämpft. Aber nirgends tritt diese subjektiv charakterisirende Rich¬
tung unseres Geistes so verzerrt und widerwärtig hervor als im Feuilleton.
Die „interessante Beleuchtung," die „geistvoll originelle Auffassung," die „eigen¬
artig reizvolle, pikante Darstellung" ist ihm das erste, fast das einzig wichtige;
die Thatsachen schlendern halb unbeachtet hinterher; sie werden gepreßt, ge¬
zwungen, verstümmelt, wie es dem Herrn Journalisten nach seinem augenblick¬
lichen „Standpunkte" beliebt. So erleben wir täglich die Seltsamkeit, Bilder
anschauen zu sollen, die aus lauter Beleuchtung bestehen, und Suppen vorgesetzt zu
bekommen, die nichts als Würze sind. Die Kunst der Charakteristik, deren höchstes
Gesetz früher sorgsam schonendes Eingehen auf die Eigenart des zu charakteri-
sirenden war, ist unter den Händen der Zcitnngscharnkteristiker zu einer Afterknnst
geworden, die es verstehen muß, die widersprechendsten Dinge unter eine grelle
Beleuchtung so zu vereinen, daß ein Schein der Zusammengehörigkeit entsteht.
Die Formen und die gestaltgebcnden Umrisse der Dinge schont diese „Kunst"
so wenig wie die neueste farbeuschwelgerische Malerei, der es auch nur um Be-
leuchtnngseffekte zu thun ist. Daß die also entstandenen Bilder nicht Charak¬
teristiken, sondern Karikaturen sind, kann die künstlich grelle Beleuchtung kaum
notdürftig verdecken; wie bald aber schwindet die hin, und jene „Meisterwerke"
hören überhaupt auf, Bilder zu sein. Ein berühmter Charakteristiker der jüngsten
Vergangenheit, nebenbei noch ein wirklicher Schriftsteller, Karl Gutzkow, hat
diese zarte Grenzlinie zwischen Charakteristik und Karikatur schon überschritten.
Uns dünkt, als ruhe der wirksamste Hebel seiner für ehrliche Chnrcckterzeich-
unug allzu geistreichem Charakteristiken aus der Übertreibung, die das eigenste
Kennzeichen der Karikatur ist.

Von den äußern, sinnlichen Mitteln, mit denen die Feuilletonisten den eben
bezeichneten Zielen zustreben, ist das vornehmste die Sprache, welche die Herren
zu einem eignen Feuilletvnstil ausgebildet haben. Im Hinblick ans diesen Stil,
dessen Wesen dein Unkundigen ein Geheimnis bleibt, hat irgend jemand aus der
Zunft gesagt, es wäre leichter, ein Buch zu schreiben als ein gutes Feuilleton.
Das wäre nun freilich ein Buch, das besser ungeschrieben bliebe. Die Feuille¬
tonisten rühmen das ungezwungene, gefällige, absichtslose ihrer Schreibweise, die
elegante, zierlich geschickte Satzfügnng, die glänzenden Antithesen, die schneidige
Klarheit ihres Satzbaues. Wir lasten das alles als allgemeine Vorzüge jeder
guten Schreibart gelten, können jedoch die besondern Merkmale des feuille-
tonistischen Stiles darin nicht erblicken. Dieser kennzeichnet sich einerseits durch
eine gewisse Nachlässigkeit im Aufbau der Gedanken, deren wir schon oben als
einer von der Poesie erborgten Freiheit gedachten. Die wesentlichste Eigenschaft
der feuilletonistischen Schreibart aber ist eine Überladung, die in flüchtigen
Blättchen erträglich sein kann, in längeren Aufsätzen unausstehlich wird. Die


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[0227] Das heutige Feuilleton. eben dieser Zeit, die bei aller wissenschaftlich geschichtlichen Richtung in furchtbar harter Spannung der Gegensatze alle Streitfragen des Tages mit subjektivster Leidenschaft auskämpft. Aber nirgends tritt diese subjektiv charakterisirende Rich¬ tung unseres Geistes so verzerrt und widerwärtig hervor als im Feuilleton. Die „interessante Beleuchtung," die „geistvoll originelle Auffassung," die „eigen¬ artig reizvolle, pikante Darstellung" ist ihm das erste, fast das einzig wichtige; die Thatsachen schlendern halb unbeachtet hinterher; sie werden gepreßt, ge¬ zwungen, verstümmelt, wie es dem Herrn Journalisten nach seinem augenblick¬ lichen „Standpunkte" beliebt. So erleben wir täglich die Seltsamkeit, Bilder anschauen zu sollen, die aus lauter Beleuchtung bestehen, und Suppen vorgesetzt zu bekommen, die nichts als Würze sind. Die Kunst der Charakteristik, deren höchstes Gesetz früher sorgsam schonendes Eingehen auf die Eigenart des zu charakteri- sirenden war, ist unter den Händen der Zcitnngscharnkteristiker zu einer Afterknnst geworden, die es verstehen muß, die widersprechendsten Dinge unter eine grelle Beleuchtung so zu vereinen, daß ein Schein der Zusammengehörigkeit entsteht. Die Formen und die gestaltgebcnden Umrisse der Dinge schont diese „Kunst" so wenig wie die neueste farbeuschwelgerische Malerei, der es auch nur um Be- leuchtnngseffekte zu thun ist. Daß die also entstandenen Bilder nicht Charak¬ teristiken, sondern Karikaturen sind, kann die künstlich grelle Beleuchtung kaum notdürftig verdecken; wie bald aber schwindet die hin, und jene „Meisterwerke" hören überhaupt auf, Bilder zu sein. Ein berühmter Charakteristiker der jüngsten Vergangenheit, nebenbei noch ein wirklicher Schriftsteller, Karl Gutzkow, hat diese zarte Grenzlinie zwischen Charakteristik und Karikatur schon überschritten. Uns dünkt, als ruhe der wirksamste Hebel seiner für ehrliche Chnrcckterzeich- unug allzu geistreichem Charakteristiken aus der Übertreibung, die das eigenste Kennzeichen der Karikatur ist. Von den äußern, sinnlichen Mitteln, mit denen die Feuilletonisten den eben bezeichneten Zielen zustreben, ist das vornehmste die Sprache, welche die Herren zu einem eignen Feuilletvnstil ausgebildet haben. Im Hinblick ans diesen Stil, dessen Wesen dein Unkundigen ein Geheimnis bleibt, hat irgend jemand aus der Zunft gesagt, es wäre leichter, ein Buch zu schreiben als ein gutes Feuilleton. Das wäre nun freilich ein Buch, das besser ungeschrieben bliebe. Die Feuille¬ tonisten rühmen das ungezwungene, gefällige, absichtslose ihrer Schreibweise, die elegante, zierlich geschickte Satzfügnng, die glänzenden Antithesen, die schneidige Klarheit ihres Satzbaues. Wir lasten das alles als allgemeine Vorzüge jeder guten Schreibart gelten, können jedoch die besondern Merkmale des feuille- tonistischen Stiles darin nicht erblicken. Dieser kennzeichnet sich einerseits durch eine gewisse Nachlässigkeit im Aufbau der Gedanken, deren wir schon oben als einer von der Poesie erborgten Freiheit gedachten. Die wesentlichste Eigenschaft der feuilletonistischen Schreibart aber ist eine Überladung, die in flüchtigen Blättchen erträglich sein kann, in längeren Aufsätzen unausstehlich wird. Die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/227>, abgerufen am 22.07.2024.