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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Bakchen und Thyrsosträger.

kurze Zeit nachher ihre Liebe einem andern Studenten zu, einem vornehmen
Jüngling aus Curland, der bei den Saxoborussen eine der besten Klingen führte,
einem schlank gewachsenen, braunlockigen, etwas blasirten und etwas verschwende¬
rischen Herrn mit ausländischem Accent, der Flörchens Reize sowohl bei winter¬
lichen Schlittenfahrten als auch später unter Rvsenlauben zu schätzen wußte.
Aber auch diese Liebe war uicht von Bestand. Der Curländer ging im nächsten
Herbst schon uach Berlin, und Flörcheu begann sich nach einem solideren Freunde
umzusehen. Ihr prachtvolles Haar und ihre strahlenden Angen dienen jedem
Gartenkonzert und jedem Ball innerhalb ihrer Gesellschaftskreise zur Zierde, sie
scheinen so notwendig zum Schmucke Heidelberger Feste zu gehören wie Musik,
Blumen lind funkelnder Wein; aber man fürchtet in der Familie, daß es immer
so bleiben wird, denn die jungen Männer mit Heiratsgedanken zeigen ein be¬
denkliches Gedächtnis für den blassen Ephraim und die elegante Klinge der
Saxoborussen und finden das goldige Haar und die blauen Augen zu glänzend
für die von ihnen ersehnte Häuslichkeit.

Adolf Schnitte lächelt zu dem allen, wenn er überhaupt seine Veachtnng
den Familienangelegenheiten zuwendet. Er hat sein Examen gemacht, steht auf
der ersten Stufe zum Justizminister und beginnt ein Bäuchlein umzusetzen. Er
spielt die Nibelnngentetralogie aus dem .Kopfe und trinkt selbst ältere Beamte
der großherzoglichen Verwaltung unter den Tisch.

Frau von Vlnnkendorff erholte sich nicht wieder von dein Schlage, den sie
im Pfarrhause von Kürbisdvrf erhalten hatte. Es war ihr schlimmer geschehen,
als wenn sie gestorben wäre. Diese Frau voll Leidenschaft und Elastizität war
von jener Stunde an, wo ihre Tochter sich von ihr wandte, willenlos und schwer¬
fällig. Sie ward in wenig Wochen eine Greisin, und wenn sie auch noch
mechanisch eine elegante Toilette zu macheu imstande war, so verschwand doch
die frühere unnachahmliche Grazie ihrer Bewegungen, und ihre Lebenskraft
siechte bis auf einen ärmlichen Nest dahin, eben genug, um sie nicht in das
trostbriugeude Grab sinken zu lasse"?. Der harte Egoist, an den das Geschick
und die eigne Schuld sie gefesselt hatten, und der in seinem engen Kopfe niemals
andre Interessen als die eignen Wohlergehens und der Eitelkeit beherbergte, sah
gar bald in der gebrochenen Frau eine unerträgliche Last und wußte sich ihrer
zu entledigen. So schützte nnr das Mitleid entfernter Verwandten sie vor dem
Äußersten. Sie fand Aufnahme anf dem Nittergute eines Vetters im dritten
Grade, der sie dereinst einmal geliebt hatte, und dort muß sie sich, geduldet
unter dem Namen einer Gesellschaftsdame, die Launen der Hausfrau gefallen
lassen. Sie hat ein schweres Loos. Die Kvusine, welche ihr Aufnahme gewährt
hat, leidet an den Nerven und rächt sich für eine ihr vor fünfunddreißig Jahren
von Lilli zugefügte Beleidigung dnrch Wohlthaten. Wäre Lilli nicht dnrch ihr
Schicksal völlig gebrochen, so würde sie dies Dasein nicht ertragen können, so
aber ist ihr Leben ein seelenloses. Still und doch ohne Ruhe, teilnahmlos für


Bakchen und Thyrsosträger.

kurze Zeit nachher ihre Liebe einem andern Studenten zu, einem vornehmen
Jüngling aus Curland, der bei den Saxoborussen eine der besten Klingen führte,
einem schlank gewachsenen, braunlockigen, etwas blasirten und etwas verschwende¬
rischen Herrn mit ausländischem Accent, der Flörchens Reize sowohl bei winter¬
lichen Schlittenfahrten als auch später unter Rvsenlauben zu schätzen wußte.
Aber auch diese Liebe war uicht von Bestand. Der Curländer ging im nächsten
Herbst schon uach Berlin, und Flörcheu begann sich nach einem solideren Freunde
umzusehen. Ihr prachtvolles Haar und ihre strahlenden Angen dienen jedem
Gartenkonzert und jedem Ball innerhalb ihrer Gesellschaftskreise zur Zierde, sie
scheinen so notwendig zum Schmucke Heidelberger Feste zu gehören wie Musik,
Blumen lind funkelnder Wein; aber man fürchtet in der Familie, daß es immer
so bleiben wird, denn die jungen Männer mit Heiratsgedanken zeigen ein be¬
denkliches Gedächtnis für den blassen Ephraim und die elegante Klinge der
Saxoborussen und finden das goldige Haar und die blauen Augen zu glänzend
für die von ihnen ersehnte Häuslichkeit.

Adolf Schnitte lächelt zu dem allen, wenn er überhaupt seine Veachtnng
den Familienangelegenheiten zuwendet. Er hat sein Examen gemacht, steht auf
der ersten Stufe zum Justizminister und beginnt ein Bäuchlein umzusetzen. Er
spielt die Nibelnngentetralogie aus dem .Kopfe und trinkt selbst ältere Beamte
der großherzoglichen Verwaltung unter den Tisch.

Frau von Vlnnkendorff erholte sich nicht wieder von dein Schlage, den sie
im Pfarrhause von Kürbisdvrf erhalten hatte. Es war ihr schlimmer geschehen,
als wenn sie gestorben wäre. Diese Frau voll Leidenschaft und Elastizität war
von jener Stunde an, wo ihre Tochter sich von ihr wandte, willenlos und schwer¬
fällig. Sie ward in wenig Wochen eine Greisin, und wenn sie auch noch
mechanisch eine elegante Toilette zu macheu imstande war, so verschwand doch
die frühere unnachahmliche Grazie ihrer Bewegungen, und ihre Lebenskraft
siechte bis auf einen ärmlichen Nest dahin, eben genug, um sie nicht in das
trostbriugeude Grab sinken zu lasse»?. Der harte Egoist, an den das Geschick
und die eigne Schuld sie gefesselt hatten, und der in seinem engen Kopfe niemals
andre Interessen als die eignen Wohlergehens und der Eitelkeit beherbergte, sah
gar bald in der gebrochenen Frau eine unerträgliche Last und wußte sich ihrer
zu entledigen. So schützte nnr das Mitleid entfernter Verwandten sie vor dem
Äußersten. Sie fand Aufnahme anf dem Nittergute eines Vetters im dritten
Grade, der sie dereinst einmal geliebt hatte, und dort muß sie sich, geduldet
unter dem Namen einer Gesellschaftsdame, die Launen der Hausfrau gefallen
lassen. Sie hat ein schweres Loos. Die Kvusine, welche ihr Aufnahme gewährt
hat, leidet an den Nerven und rächt sich für eine ihr vor fünfunddreißig Jahren
von Lilli zugefügte Beleidigung dnrch Wohlthaten. Wäre Lilli nicht dnrch ihr
Schicksal völlig gebrochen, so würde sie dies Dasein nicht ertragen können, so
aber ist ihr Leben ein seelenloses. Still und doch ohne Ruhe, teilnahmlos für


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[0195] Bakchen und Thyrsosträger. kurze Zeit nachher ihre Liebe einem andern Studenten zu, einem vornehmen Jüngling aus Curland, der bei den Saxoborussen eine der besten Klingen führte, einem schlank gewachsenen, braunlockigen, etwas blasirten und etwas verschwende¬ rischen Herrn mit ausländischem Accent, der Flörchens Reize sowohl bei winter¬ lichen Schlittenfahrten als auch später unter Rvsenlauben zu schätzen wußte. Aber auch diese Liebe war uicht von Bestand. Der Curländer ging im nächsten Herbst schon uach Berlin, und Flörcheu begann sich nach einem solideren Freunde umzusehen. Ihr prachtvolles Haar und ihre strahlenden Angen dienen jedem Gartenkonzert und jedem Ball innerhalb ihrer Gesellschaftskreise zur Zierde, sie scheinen so notwendig zum Schmucke Heidelberger Feste zu gehören wie Musik, Blumen lind funkelnder Wein; aber man fürchtet in der Familie, daß es immer so bleiben wird, denn die jungen Männer mit Heiratsgedanken zeigen ein be¬ denkliches Gedächtnis für den blassen Ephraim und die elegante Klinge der Saxoborussen und finden das goldige Haar und die blauen Augen zu glänzend für die von ihnen ersehnte Häuslichkeit. Adolf Schnitte lächelt zu dem allen, wenn er überhaupt seine Veachtnng den Familienangelegenheiten zuwendet. Er hat sein Examen gemacht, steht auf der ersten Stufe zum Justizminister und beginnt ein Bäuchlein umzusetzen. Er spielt die Nibelnngentetralogie aus dem .Kopfe und trinkt selbst ältere Beamte der großherzoglichen Verwaltung unter den Tisch. Frau von Vlnnkendorff erholte sich nicht wieder von dein Schlage, den sie im Pfarrhause von Kürbisdvrf erhalten hatte. Es war ihr schlimmer geschehen, als wenn sie gestorben wäre. Diese Frau voll Leidenschaft und Elastizität war von jener Stunde an, wo ihre Tochter sich von ihr wandte, willenlos und schwer¬ fällig. Sie ward in wenig Wochen eine Greisin, und wenn sie auch noch mechanisch eine elegante Toilette zu macheu imstande war, so verschwand doch die frühere unnachahmliche Grazie ihrer Bewegungen, und ihre Lebenskraft siechte bis auf einen ärmlichen Nest dahin, eben genug, um sie nicht in das trostbriugeude Grab sinken zu lasse»?. Der harte Egoist, an den das Geschick und die eigne Schuld sie gefesselt hatten, und der in seinem engen Kopfe niemals andre Interessen als die eignen Wohlergehens und der Eitelkeit beherbergte, sah gar bald in der gebrochenen Frau eine unerträgliche Last und wußte sich ihrer zu entledigen. So schützte nnr das Mitleid entfernter Verwandten sie vor dem Äußersten. Sie fand Aufnahme anf dem Nittergute eines Vetters im dritten Grade, der sie dereinst einmal geliebt hatte, und dort muß sie sich, geduldet unter dem Namen einer Gesellschaftsdame, die Launen der Hausfrau gefallen lassen. Sie hat ein schweres Loos. Die Kvusine, welche ihr Aufnahme gewährt hat, leidet an den Nerven und rächt sich für eine ihr vor fünfunddreißig Jahren von Lilli zugefügte Beleidigung dnrch Wohlthaten. Wäre Lilli nicht dnrch ihr Schicksal völlig gebrochen, so würde sie dies Dasein nicht ertragen können, so aber ist ihr Leben ein seelenloses. Still und doch ohne Ruhe, teilnahmlos für

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/195>, abgerufen am 01.07.2024.