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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Zur Unserm unsrer Universitäten.

Ferien beschränkt werden, dnß die Zahl der Stunden, zu denen die Dozenten
verpflichtet sind, irgendwie erhöht werden solle. Die Ferien sind es fast allein,
in welchen dein Universitätslehrer Zeit und Ruhe zu eigner wissenschaftlicher
Thätigkeit verbleibt, eine Überzeugung, welche erst noch kürzlich an dieser Stelle
mit beredten Worten vertreten worden ist. Wir können mich, wenn der Ruf
nach einer Verlängerung der Semester im Interesse der Studenten laut wird,
einer Beschränkung der Ferienzeit nicht das Wort reden. In sechs bis acht
Semestern akademischen Studiums kann der ganze von einem zukünftigen Exa¬
minanden zu bewältigende Stoff unmöglich gelehrt werde". Die Vorlesungen
sollen der Regel nach nur eine Einführung und Anregung zu weiteren Studium
sein; auch bei ernstem Fleiße während des Semesters wird noch manche Lücke
bleiben, zu deren Ausfüllung mir eine hinreichend bemessene Ferienzeit die er¬
wünschte Gelegenheit giebt. Vermögen wir also in einer Einschränkung dieser
Ferienzeit, oder sagen wir sinngemäßer dieser vvrlesnngsfreien Zeit, nichts weniger
als eine direkte Schädigung der Wissenschaft zu erblicken, so scheint es uns andrer¬
seits von Unkenntnis akademischer Verhältnisse zu zeugen, wenn man eine Er¬
höhung der Zahl der Stunden, welche die Professoren unterrichten sollen, be¬
fürwortet. "Ein Kolleg gut durchzuführen, sagt einer unsrer namhaftesten
Gelehrten,") ist eine große Arbeit, die sich in jedem Semester erneuert," und
zwar steigern sich die in dieser Hinsicht an den Dozenten gemachten Ansprüche
in demselben Maße, als er dein Erfordernis eines klaren, wohldurchdachten
Vortrages, der Pflicht, die neuesten Erscheinungen auf dein behandelte" Gebiete
mit kritischem Auge zu verfolgen, gerecht werden will. Endlich sei es auch fern
von uns, die akademische Freiheit deutscher Universitäten, deren Vorzüge Helm-
holtz in seiner angezogenen Schrift aufs trefflichste geschildert hat, antaste" zu
wollen. Sie bildet die Lebenslust freier wissenschaftlicher Entwicklung und
Forschung, und gerade sie ist es nicht zum wenigsten gewesen, welche der deutschen
Wissenschaft zum Glanze ihres Namens verholfen hat.

Wohl aber glauben wir, daß in der bestehenden Unterrichtsweise, in der
gegenwärtigen Verfassung des Privatdvzententnms, in dem jetzigen Modus der
Verleihung des Doktortitels, in der Lage der akademischen Ferien, in der Be¬
zahlung von Kollegiengeldern Mißstände vorhanden sind, welche früher oder
später einer Abhilfe bedürfen werden.

Verweilen wir zunächst bei dem ersten, dem wichtigsten Punkte. Im all¬
gemeinen verhält der Student sich rezeptiv; er geht, wenn er seiner Pflichten sich
bewußt ist, in Vorlesungen, er liest, um sich im Zusammenhange der Vorlesung
zu halten, wenn er schon fleißiger ist, das Vorhergegangene durch, orientirt sich
Wohl auch über den einen oder andern ihm dunkel gebliebenen Punkt und dis-
kutirt gelegentlich eine der vorgetragenen Fragen mit befreundeten Kommilitonen;



*) Helmholtz, Über die akademische Freiheit der deutschen Universitäten. Berlin, 1878.
Zur Unserm unsrer Universitäten.

Ferien beschränkt werden, dnß die Zahl der Stunden, zu denen die Dozenten
verpflichtet sind, irgendwie erhöht werden solle. Die Ferien sind es fast allein,
in welchen dein Universitätslehrer Zeit und Ruhe zu eigner wissenschaftlicher
Thätigkeit verbleibt, eine Überzeugung, welche erst noch kürzlich an dieser Stelle
mit beredten Worten vertreten worden ist. Wir können mich, wenn der Ruf
nach einer Verlängerung der Semester im Interesse der Studenten laut wird,
einer Beschränkung der Ferienzeit nicht das Wort reden. In sechs bis acht
Semestern akademischen Studiums kann der ganze von einem zukünftigen Exa¬
minanden zu bewältigende Stoff unmöglich gelehrt werde». Die Vorlesungen
sollen der Regel nach nur eine Einführung und Anregung zu weiteren Studium
sein; auch bei ernstem Fleiße während des Semesters wird noch manche Lücke
bleiben, zu deren Ausfüllung mir eine hinreichend bemessene Ferienzeit die er¬
wünschte Gelegenheit giebt. Vermögen wir also in einer Einschränkung dieser
Ferienzeit, oder sagen wir sinngemäßer dieser vvrlesnngsfreien Zeit, nichts weniger
als eine direkte Schädigung der Wissenschaft zu erblicken, so scheint es uns andrer¬
seits von Unkenntnis akademischer Verhältnisse zu zeugen, wenn man eine Er¬
höhung der Zahl der Stunden, welche die Professoren unterrichten sollen, be¬
fürwortet. „Ein Kolleg gut durchzuführen, sagt einer unsrer namhaftesten
Gelehrten,") ist eine große Arbeit, die sich in jedem Semester erneuert," und
zwar steigern sich die in dieser Hinsicht an den Dozenten gemachten Ansprüche
in demselben Maße, als er dein Erfordernis eines klaren, wohldurchdachten
Vortrages, der Pflicht, die neuesten Erscheinungen auf dein behandelte» Gebiete
mit kritischem Auge zu verfolgen, gerecht werden will. Endlich sei es auch fern
von uns, die akademische Freiheit deutscher Universitäten, deren Vorzüge Helm-
holtz in seiner angezogenen Schrift aufs trefflichste geschildert hat, antaste» zu
wollen. Sie bildet die Lebenslust freier wissenschaftlicher Entwicklung und
Forschung, und gerade sie ist es nicht zum wenigsten gewesen, welche der deutschen
Wissenschaft zum Glanze ihres Namens verholfen hat.

Wohl aber glauben wir, daß in der bestehenden Unterrichtsweise, in der
gegenwärtigen Verfassung des Privatdvzententnms, in dem jetzigen Modus der
Verleihung des Doktortitels, in der Lage der akademischen Ferien, in der Be¬
zahlung von Kollegiengeldern Mißstände vorhanden sind, welche früher oder
später einer Abhilfe bedürfen werden.

Verweilen wir zunächst bei dem ersten, dem wichtigsten Punkte. Im all¬
gemeinen verhält der Student sich rezeptiv; er geht, wenn er seiner Pflichten sich
bewußt ist, in Vorlesungen, er liest, um sich im Zusammenhange der Vorlesung
zu halten, wenn er schon fleißiger ist, das Vorhergegangene durch, orientirt sich
Wohl auch über den einen oder andern ihm dunkel gebliebenen Punkt und dis-
kutirt gelegentlich eine der vorgetragenen Fragen mit befreundeten Kommilitonen;



*) Helmholtz, Über die akademische Freiheit der deutschen Universitäten. Berlin, 1878.
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[0171] Zur Unserm unsrer Universitäten. Ferien beschränkt werden, dnß die Zahl der Stunden, zu denen die Dozenten verpflichtet sind, irgendwie erhöht werden solle. Die Ferien sind es fast allein, in welchen dein Universitätslehrer Zeit und Ruhe zu eigner wissenschaftlicher Thätigkeit verbleibt, eine Überzeugung, welche erst noch kürzlich an dieser Stelle mit beredten Worten vertreten worden ist. Wir können mich, wenn der Ruf nach einer Verlängerung der Semester im Interesse der Studenten laut wird, einer Beschränkung der Ferienzeit nicht das Wort reden. In sechs bis acht Semestern akademischen Studiums kann der ganze von einem zukünftigen Exa¬ minanden zu bewältigende Stoff unmöglich gelehrt werde». Die Vorlesungen sollen der Regel nach nur eine Einführung und Anregung zu weiteren Studium sein; auch bei ernstem Fleiße während des Semesters wird noch manche Lücke bleiben, zu deren Ausfüllung mir eine hinreichend bemessene Ferienzeit die er¬ wünschte Gelegenheit giebt. Vermögen wir also in einer Einschränkung dieser Ferienzeit, oder sagen wir sinngemäßer dieser vvrlesnngsfreien Zeit, nichts weniger als eine direkte Schädigung der Wissenschaft zu erblicken, so scheint es uns andrer¬ seits von Unkenntnis akademischer Verhältnisse zu zeugen, wenn man eine Er¬ höhung der Zahl der Stunden, welche die Professoren unterrichten sollen, be¬ fürwortet. „Ein Kolleg gut durchzuführen, sagt einer unsrer namhaftesten Gelehrten,") ist eine große Arbeit, die sich in jedem Semester erneuert," und zwar steigern sich die in dieser Hinsicht an den Dozenten gemachten Ansprüche in demselben Maße, als er dein Erfordernis eines klaren, wohldurchdachten Vortrages, der Pflicht, die neuesten Erscheinungen auf dein behandelte» Gebiete mit kritischem Auge zu verfolgen, gerecht werden will. Endlich sei es auch fern von uns, die akademische Freiheit deutscher Universitäten, deren Vorzüge Helm- holtz in seiner angezogenen Schrift aufs trefflichste geschildert hat, antaste» zu wollen. Sie bildet die Lebenslust freier wissenschaftlicher Entwicklung und Forschung, und gerade sie ist es nicht zum wenigsten gewesen, welche der deutschen Wissenschaft zum Glanze ihres Namens verholfen hat. Wohl aber glauben wir, daß in der bestehenden Unterrichtsweise, in der gegenwärtigen Verfassung des Privatdvzententnms, in dem jetzigen Modus der Verleihung des Doktortitels, in der Lage der akademischen Ferien, in der Be¬ zahlung von Kollegiengeldern Mißstände vorhanden sind, welche früher oder später einer Abhilfe bedürfen werden. Verweilen wir zunächst bei dem ersten, dem wichtigsten Punkte. Im all¬ gemeinen verhält der Student sich rezeptiv; er geht, wenn er seiner Pflichten sich bewußt ist, in Vorlesungen, er liest, um sich im Zusammenhange der Vorlesung zu halten, wenn er schon fleißiger ist, das Vorhergegangene durch, orientirt sich Wohl auch über den einen oder andern ihm dunkel gebliebenen Punkt und dis- kutirt gelegentlich eine der vorgetragenen Fragen mit befreundeten Kommilitonen; *) Helmholtz, Über die akademische Freiheit der deutschen Universitäten. Berlin, 1878.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/171>, abgerufen am 24.08.2024.